Archiv


"Ich habe nicht den Eindruck, dass unsere Vorwürfe falsch waren"

Im September gab der damalige Bundeswehr-Kommandeur Georg Klein in Kundus den Befehl, von Taliban entführte Tanklastzüge zu bombardieren. Mittlerweile existiert ein geheimer Nato-Bericht über den Vorfall. Omid Nouripour, Mitglied der Grünen im Verteidigungsausschuss, fordert mehr Transparenz in der Debatte.

Omid Nouripour im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Einblick in diesen geheimen Nato-Bericht hat unter anderem Omid Nouripour von Bündnis 90/Die Grünen nehmen dürfen, eines der wenigen Mitglieder des Verteidigungsausschusses, dem das gewährt wurde. Ihn begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Nouripour.

    Omid Nouripour: Schönen guten Morgen!

    Meurer: Solange dieser Bericht der Nato über die Bombardierung der Tanklastzüge geheim ist, wie kann dann die Bevölkerung sich ein Bild über das machen, was wirklich geschehen ist?

    Nouripour: Das geht eigentlich nicht. Das ist ja das Problem. Vor allem deswegen nicht, weil es nicht nur um Schuldzuweisungen geht. Es geht gewiss nicht darum, jetzt den Stab über einen Menschen zu brechen, der in einer unglaublichen Stress-Situation gesteckt hat, sondern es geht darum, dass wir uns darüber unterhalten, wie man eine Wiederholung solcher Vorfälle tatsächlich vermeiden kann. Deshalb brauchen wir eine Diskussion, damit wir zum Beispiel über Empfehlungen sprechen können, was man denn vor Ort ändern muss, und dafür brauchen wir aber einen Bericht, über den man auch öffentlich diskutieren darf. Deshalb muss die Bundesregierung dafür sorgen, dass es zumindest einen Teil gibt, den man öffentlich diskutieren kann.

    Meurer: Die Bundesregierung hat versucht, die Nato dazu zu bewegen, den Bericht in einer Version herauszugeben, die dann eben nicht geheim ist. Die Nato sagt, dann bleibt von dem Bericht nichts mehr übrig, können, wollen wir nicht machen. Was sagen Sie dazu?

    Nouripour: Es gibt andere Fälle. Ich meine, dass die Nato so handeln würde, das war absehbar, das war immer so die letzten Jahre. Aber wir hatten im Mai einen ähnlichen Vorfall, an dem die Amerikaner beteiligt waren, und die haben danach, damit es die Debatte im Parlament geben kann, einen eigenen Bericht vorgelegt. Die US-Regierung hat einen eigenen Bericht vorgelegt, jenseits des geheimen Berichts der Nato, und darüber wurde dann diskutiert. Das wäre zum Beispiel ein Weg. Also es geht schon!

    Meurer: Wie weit darf denn da die Bundesregierung gehen, ohne Geheimnisse der Nato preiszugeben?

    Nouripour: Die Bundesregierung hat ja beispielsweise seitens des Generals, der für den Norden Afghanistans zuständig ist, General Vollmer, eine eigene Untersuchungsgruppe gehabt, die am Anfang zumindest gestartet ist. Die hat dann nicht ganz so viel gearbeitet und nicht ganz so viele Interviews geführt, weil es ja eben danach diese andere Berichtsgruppe gegeben hat, die jetzt diesen Bericht vorgelegt hat. Aber es gab natürlich auch eigene Ermittlungen und da muss man sich überlegen, ob man, gerade weil so viel von dem, was in dem Bericht steht, schon in den Zeitungen stand, nicht auch etwas veröffentlicht, auf dessen Grundlage man tatsächlich endlich mal zu einer Diskussion kommen könnte.

    Meurer: Nun hat, Herr Nouripour, der Generalinspekteur der Bundeswehr Schneiderhan sehr schnell nach Übersendung des Nato-Berichts nach Berlin öffentlich geurteilt, das Verhalten des Kommandeurs in Kundus, Oberst Klein, sei militärisch angemessen gewesen. Auch Ihre Ansicht?

    Nouripour: Ich darf ja über das, was ich dort gelesen habe, nicht reden.

    Meurer: Ich habe es mit dieser Frage mal versucht, Herr Nouripour.

    Nouripour: Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir am Anfang, bevor der Bericht rauskam, auf der Grundlage der Medienberichterstattung Vorwürfe erhoben haben, beispielsweise ob die Aufklärung ausreichend war, bevor die Entscheidung für den Bombenangriff gefallen ist, und die Nachbereitung dessen, was dort vor Ort passiert ist, definitiv auch nicht ausreichend gewesen sein dürfte. Ich kann Ihnen nach der Lektüre des Berichts sagen, ich habe nicht den Eindruck, dass unsere Vorwürfe falsch waren.

    Meurer: Hat Schneiderhan voreilig geurteilt?

    Nouripour: Es geht, glaube ich, im Verteidigungsministerium ein Stückchen darum, nicht Vorschub zu leisten, dass Oberst Klein vor Gericht schon verurteilt ist, bevor es ein Verfahren gegeben hat. Dafür habe ich ehrlich gesagt Verständnis. Aber es geht hier nicht nur um Juristerei, es geht auch um Politik und es geht vor allem darum, dass die Öffentlichkeit die Wahrheit erfahren muss.

    Meurer: Nun spricht vieles dafür, melden jedenfalls die Agenturen und Vorabberichte, dass heute die Generalstaatsanwaltschaft in Dresden ein förmliches Ermittlungsverfahren gegen Oberst Klein einleiten wird. Das ist nur ein Ermittlungsverfahren, noch lange keine Anklage. Trotzdem: welcher Kommandeur in Kundus, in Afghanistan wird jetzt noch einen solchen oder ähnliche Befehle erteilen, weil er Angst vor einem Strafrechtsprozess haben muss?

    Nouripour: Wir wollen – und das ist nicht eine Grünen-Position, das ist eine Position, die alle Fraktionen die letzten Jahre vertreten haben – endlich dahin kommen, dass es eine Staatsanwaltschaft gibt, die schwerpunktmäßig sich mit dem Thema Afghanistan oder Auslandseinsätze beschäftigt. Wir erleben ja immer wieder, dass Staatsanwälte mit dieser hoch komplexen Materie einfach überfordert sind – nicht, weil sie dumm sind, sondern weil es wirklich so anders ist als das, womit sie sich sonst beschäftigen. Deshalb bräuchte man definitiv eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft nur für diesen Bereich. Aber jenseits davon kann ich sagen, ganz menschlich fände ich das nach dem, was ich erfahren durfte, sehr bedauerlich, wenn Oberst Klein jetzt Opfer einer Hexenjagd werden würde. Auf der anderen Seite ist die Justiz in diesem Land unabhängig und weder der Minister, noch die Abgeordneten sollten dort reinreden. Die müssen jetzt einfach selbst für sich entscheiden und alles andere geht mich nichts an.

    Meurer: In einem anderen Fall, Herr Nouripour, ging es um einen Oberfeldwebel in Afghanistan, der an einem Checkpoint drei Afghanen erschossen hat. Da sind die Ermittlungen eingestellt worden. Würde ein solcher Prozess eigentlich nach Kriegsvölkerrecht, oder nach herkömmlichem deutschen Strafrecht organisiert werden?

    Nouripour: Die Staatsanwaltschaften in Deutschland handeln natürlich nach deutschem Strafrecht. Ob jetzt das Kriegsvölkerrecht angewandt wird, ist ja auch die Frage, ob es juristisch einwandfrei ein Krieg ist in Afghanistan. Ich bin sehr froh, dass Guttenberg diesen Terminus endlich verwendet hat und für Klarheit gesorgt hat, aber das heißt noch nicht rechtlich, dass man jetzt andere Gesetze anwendet als das deutsche Strafrecht.

    Meurer: Welche Wirkung hatte der Vorfall Ihrer Einschätzung nach für die Akzeptanz der Bundeswehr in Afghanistan gehabt?

    Nouripour: Das ist eine hoch ambivalente Geschichte. Es gibt sehr viele Berichte, die paradoxerweise die Aussage treffen, dass vor Ort die Akzeptanz eher gestiegen sei. Ob das so ist, weiß ich nicht. Ich habe selbst fest vor, so schnell wie möglich dort hinzukommen und mir selber ein Bild von der Lage zu machen, zumal ich die Sprache der Menschen vor Ort verstehe und nicht nur auf militärische Dolmetscher angewiesen bin. Fest steht aber auch, wenn die Bundeswehr sich weiterhin ähnliche Vorfälle leistet, dass diese Akzeptanz im ganzen Land wahnsinnig schnell weg sein wird. Wir haben es bei den Amerikanern erlebt, dass sie eben einen solchen Ruf haben, den sie jetzt haben, aufgrund der zivilen Opfer, und das ist der Grund, warum General McChrystal die Schonung des Lebens von Zivilisten ganz nach oben gestellt hat und sagt, das hat Vorrang vor allem anderen. Das ist zweifelsfrei richtig.

    Meurer: Das war Omid Nouripour, Mitglied für Bündnis 90/Die Grünen im Verteidigungsausschuss des Bundestages. Besten Dank, Herr Nouripour, und auf Wiederhören.

    Nouripour: Herzlichen Dank, Herr Meurer.