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"Ich halte das nicht für eine sinnvolle Maßnahme, um den Krieg zu beenden"

Im Streit um die Verlängerung des EU-Embargos gegen Syrien hält Franziska Brantner, außenpolitische Sprecherin der Grünen im Europaparlament, einen Kompromiss noch für möglich. Sie fordert aber eine politische Lösung des Bürgerkriegs und humanitäre Hilfe statt der Unterstützung der syrischen Rebellen mit Waffen.

Franziska Brantner im Gespräch mit Sandra Schulz | 27.05.2013
    Sandra Schulz: Wenn sich die EU nicht einigt, dann läuft das Waffenembargo in Syrien am Freitag um Mitternacht aus. Darum haben in der EU die Gegner dieses Waffenembargos ganz gute Karten. Vor allem Großbritannien und Frankreich wollen das Waffenembargo lockern und damit den Aufständischen im Kampf gegen Assad den Rücken stärken. Damit stoßen sie aber auf ganz entschiedenen Widerstand: Am Vormittag sind in Brüssel die EU-Außenminister zusammengekommen, um genau darüber zu beraten. Telefonisch bin ich jetzt verbunden mit Franziska Brantner, außenpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen im Europäischen Parlament. Guten Tag!

    Franziska Brantner: Guten Tag, hallo!

    Schulz: Welche Chancen sehen Sie, das Waffenembargo zu verlängern?

    Brantner: Ich glaube, es wird auf einen Kompromiss rauslaufen. Ich – um es vorweg zu sagen – bin gegen Waffenlieferungen, ich halte das nicht für eine sinnvolle Maßnahme, um den Krieg zu beenden. Aber das Risiko ist natürlich – EU streitet über Waffenembargo gegen Syrien (MP3-Audio) Ihre Kollegin aus Brüssel hat es gesagt –, dass, wenn das Embargo fällt, alle Embargos fallen, also auch zum Beispiel die eingefrorenen Gelder von Assad in Europa würden wieder frei werden. Das heißt, es gibt schon einen großen Druck, sich auch auf etwas zu einigen, damit man nicht alles rausschmeißt, alle Sanktionen, auf die man sich mal endlich schon in der Vergangenheit drauf geeinigt hat. Von daher wird es wahrscheinlich irgendeinen Kompromiss geben, welche Waffen an wen, wann – das sind die Detailfragen. Der Druck ist einfach so groß, dass man einen Kompromiss findet.

    Schulz: Können Sie uns das näher skizzieren, was für eine Art von Kompromiss sehen Sie?

    Brantner: Also die eine Debatte ist, ob man das vielleicht noch mal verlängert bis nach den nächsten Gesprächen, den sogenannten Genf-2-Gesprächen. Das ist eine Option. Die andere Option ist, dass man eben eine weiße Liste aufstellt, eine schwarze Liste, welche Waffen exportiert werden dürfen, welche nicht exportiert werden dürfen, an wen – wobei die Frage mit an wen besonders schwierig ist. Dann gibt es noch die Frage, wann sie geliefert werden dürfen, zum Beispiel erst nach den Genf-2-Verhandlungen, wenn diese gescheitert sein sollten, oder ab sofort. Das sind alles die Fragen, um die sich mögliche Kompromisse gerade drehen. Wie gesagt, ich bin gegen die Waffenlieferungen, aber natürlich ist zum Beispiel auch Deutschland hier heute noch mal wieder unter Druck gekommen, weil ja grade die Neuigkeit rausgekommen ist, dass zum Beispiel Deutschlands Kleinwaffenexporte auch in die Region sich verdoppelt haben im letzten Jahr, gerade auch nach Saudi-Arabien. Und natürlich mutmaßlich viele dann auch nach Syrien dann gelangen. Von daher ist die Frage, was ist denn heute noch das Waffenembargo, wenn zum Beispiel aus Deutschlands Waffenschmieden, die Kleinwaffen, die ja genutzt werden, so massiv im Export zugenommen haben in die Region.

    Schulz: Jetzt sitzen Frankreich und Großbritannien ja durchaus am längeren oder an einem sehr langen Hebel, denn die Beschlüsse müssen ja einstimmig sein.

    Brantner: Einstimmig, ja.

    Schulz: Was macht Sie denn da so zuversichtlich, dass die noch umzustimmen sind?

    Brantner: Ich glaube, dass die Franzosen und Briten momentan auch sehen, dass es eine Chance gibt für Gespräche in Genf-2, und wenn jetzt die Europäer sich komplett aufteilen und keinerlei gemeinsame Position mehr haben, dass das dann nicht zuträglich wäre für diese Gespräche. Und ich glaube, dass das eigentlich auch der Fokus sein sollte heute in Brüssel, der leider eben übertüncht wird durch diese Waffenfrage. Dass man nämlich eigentlich diskutieren müsste, was kann die EU dazu beitragen, dass diese Gespräche erstens stattfinden und zweitens erfolgreich sind. Und da ist leider die Debatte etwas schwach, aber ich glaube, dass sie im Hinterkopf von allen sind.

    Schulz: Was kann die EU dazu beitragen?

    Brantner: Also gerade eben hat Herr Westerwelle gesagt, er ist besorgt. Ich glaube, man muss mehr sein als besorgt, und etwas tun. Wir wissen zum Beispiel, dass auch Teile der Opposition, die auch von Katar und Saudi-Arabien unterstützt werden, auch nicht bereit sind, an Gesprächen teilzunehmen. Da könnte zum Beispiel Deutschland auch mal seinen Einfluss wirklich ausüben und sagen, wir wollen, dass alle jetzt sich an diesen Gesprächen beteiligen. Wir haben die Opposition in Istanbul, die tagt heute auch zeitgleich, wo, glaube ich, noch wesentlich mehr auch noch mal Druck kommen müsste, auch, dass jetzt die Opposition wirklich geschlossen an den Gesprächen teilnimmt. Ich glaube, die Europäer müssten fordern, dass Iran Teil der Verhandlungen wird, weil ohne Iran wird man zu keiner Lösung dieses politischen Konfliktes kommen. Frau Merkel ist gerade mit China sehr stark beschäftigt, vielleicht könnte sie auch noch mal, statt nur über die Solarexporte, über Syrien mit dem Kollegen reden. Ud dann, sage ich mal, natürlich immer noch die Frage: Wie wird dann so eine Konferenz gestaltet? Ist man bereit, als internationale Gemeinschaft auch einen politischen Transformationsprozess dann abzusichern? Das sind, glaube ich, die wirklich wichtigen Fragen, wenn man noch daran glaubt, dass es eine politische Lösung geben muss.

    Schulz: Wenn wir noch mal beim Waffenembargo bleiben und dem Streit darum: Großbritannien und Frankreich legen ja so großen Wert darauf, dass die Aufständischen unterstützt werden müssen aus dem Ausland, so wie ja Assad auch Unterstützung aus dem Ausland bekommt. Welche andere Art von Unterstützung wäre denn noch denkbar?

    Brantner: Das ist eine sehr gute Frage, und das ist auch eine unserer Forderungen. Einerseits wissen wir, dass in den sogenannten befreiten Gebieten im Norden so gut wie keine humanitäre Hilfe ankommt. Das syrische Rote Kreuz ist de facto nicht neutral in dem Prozess. Die Vereinten Nationen kommen nicht auch in den Norden. Wir bräuchten deswegen dringend Hilfe, die über die türkische Grenze kommt. Das ist eine, sage ich mal, etwas politischere Einmischung, weil eigentlich offiziell Assad dafür sein Okay geben müsste. Ich glaube, man müsste das für die humanitären Gründe trotzdem tun im Norden. Wir haben dort Operationen wie im Mittelalter ohne Strom, die Kinder sterben, es ist wirklich grausam. Und der zweite Punkt ist, dass auch im Norden die befreiten Gebiete Aufbauhilfe brauchen, zum Beispiel Brotöfen, also nicht nur direkte humanitäre Hilfe. Und das ist, glaube ich, sehr wichtig, weil de facto ist die gesamte Finanzierung im Norden momentan durch die Financiers aus den Golfstaaten geleistet. Und die vertreten eine Agenda, die nicht unserer entspricht. Von daher, glaube ich, kann man noch die Opposition, die moderate, um die es uns ja geht, stark im Norden unterstützen, ohne Waffen zu liefern.

    Schulz: Das sind doch aber alles, oder zumindest vieles, Forderungen, die ja auch schon ein bisschen länger im Raum stehen, die sich …

    Brantner: Ja, aber sie werden nicht gemacht.

    Schulz: … allerdings bisher nicht haben umsetzen lassen. Was macht Sie denn da so zuversichtlich, dass diese Forderungen überhaupt noch Sinn haben?

    Brantner: Sinn haben sie auf jeden Fall, die Frage ist nur, ob man endlich den politischen Willen und den Mut hat, es zu machen. Die Amerikaner und Briten sind da jetzt schon etwas aktiver. Die Deutschen tasten sich ganz langsam ran. Und natürlich ist auch dort das Risiko, dass man nicht hundertprozentig garantieren kann, dass die Gelder in den richtigen Händen ankommen, auch die Hilfsgelder. Aber ich glaube, dass das ein wesentlich geringeres Risiko ist, als dass Waffen in die falschen Hände gelängen. Aber es braucht einen politischen Mut, es geht über die türkische Grenze, es ist zum Teil deswegen nicht legal, durch internationales Gesetz nicht unbedingt gedeckt, aber ich glaube, dass das Risiko dort wesentlich geringer ist. Und ich hoffe, dass eben auch endlich in diese Richtung die Diskussionen eher gehen und pragmatisch umgesetzt werden. Ich gebe Ihnen ein Beispiel, im Norden zum Beispiel funktioniert der Strom nicht mehr. Die Türkei ist angeschlossen ans Netz – die Türkei könnte wieder Strom liefern an den Norden, die Frage ist: Wer bezahlt es? Sind wir bereit als Deutsche, als Europäer, zu sagen: Gut, liebe Türkei, wir zahlen die Rechnung, legt den Haken um. Das sind Sachen, die sind machbar, relativ schnell sogar, und würden unglaublich die Situation im Norden der befreiten Gebiete ändern und dadurch auch, glaube ich, moderatere Kräfte stärken.

    Schulz: Und Sie haben gerade die geplante Friedenskonferenz angesprochen, die ja für Mitte Juni wohl geplant ist. Welche Hoffnungen setzen sie daran?

    Brantner: Ich glaube, es ist eine der großen Chancen, die man jetzt noch hat. Ich glaube, man muss alles dafür tun, dass das auch wirklich …

    Schulz: Warum ist das eine große Chance nach all den gescheiterten Versuchen und Konferenzen, die es schon gegeben hat.

    Brantner: Weil Russland und Amerika gemeinsam bereit sind, das auszurichten, und die beiden sich geeinigt haben. Und wir alle wissen dass, wenn die zwei nicht zusammenkommen, schon gar keine Chance besteht. Von daher hat man schon mal einen Schritt mehr als in der Vergangenheit. Es geht jetzt darum, alle Akteure an den Tisch zu bekommen. Aber immerhin hat man schon mal Russland und die USA, die sagen: Wir richten diese Konferenz aus. Es ist ein kleiner Hoffnungsschimmer, die Regierung hat jetzt heute signalisiert, sie ist bereit, sich daran zu beteiligen. Hoffentlich kommt heute aus Istanbul auch das Zeichen, dass die Bereitschaft für die Gespräche da ist, und dann, glaube ich, muss wirklich alle Konzentration, alle diplomatische Kraft auch genutzt werden, um sie zumindest so weit zu führen, dass hier etwas, sagen wir mal, nicht sofort wieder abbricht, sondern vielleicht man die Konferenz nicht als eine Veranstaltung von ein, zwei Tagen sieht, sondern ein Prozess, der etwas länger dauert. Aber dafür braucht man natürlich wirklich viel Kraft, und eigentlich eben keine Diskussion über Waffenexporte.

    Schulz: Die außenpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen im Europaparlament, Franziska Brantner, heute hier in den "Informationen am Mittag" im Deutschlandfunk. Danke Ihnen!

    Brantner: Ich danke Ihnen!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.