Sonntag, 28. April 2024

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"Ich hoffe, sie scheitert"

Der Liedermacher Wolf Biermann hat sich klar gegen Gesine Schwan als Bundespräsidentin ausgesprochen. Schwan lasse sich von der SPD missbrauchen und von den "ehemaligen Spitzel des DDR-Regimes" wählen. Die Amtszeit von Horst Köhler bewertete der Sänger positiv. Biermann schlug Marianne Birthler als mögliche Kandidatin für die übernächste Wahl zum Bundespräsidenten vor.

Moderation: Christoph Heinemann | 20.06.2008
    Christoph Heinemann: Horst Köhler oder Gesine Schwan? Kandidatur und Gegenkandidatur haben inzwischen auch die Feuilletons erreicht. In der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" schrieb die Schriftstellerin Monika Maron: "obwohl sie Gesine Schwan vor vier Jahren die Daumen gedrückt habe, wünsche sie für die Bundesversammlung 2009, dass Gesine Schwan scheitern möge, weil sie um die Stimmen der Linken bittet, ohne die sie nicht gewinnen kann. Wer sich mit den Stimmen der Linkspartei wählen lässt, der relativiere deren Unrechtsvergangenheit", argumentiert Monika Maron. - Am Telefon ist der Liedermacher und Dichter Wolf Biermann. Guten Morgen!

    Wolf Biermann: Guten Morgen Herr Heinemann!

    Heinemann: Herr Biermann, wünschen Sie sich eine Bundespräsidentin Gesine Schwan?

    Biermann: Ich habe sie vor zwei oder zweieinhalb Jahren getroffen - in Berlin, im Bundestag - und ich war erstaunt: Es war eine kluge, frische, sympathische Frau. Ich dachte, die könnte ganz gut sein als Präsidentin. Aber jetzt, wo sie sich von der SPD missbrauchen lässt aus Gründen, die ich nicht ermessen kann - ich weiß nicht, ob es einfach Geltungsgier oder Naivität ist; beides keine Eigenschaften, die für das Amt eines Bundespräsidenten günstig sind -, kriege ich doch einen Schreck. Und wenn ich daran denke, dass sie sich nur mit Hilfe dieser linken Mumien des alten totalitären Machtapparates der DDR in dieses Amt wählen lassen will, dann kriege ich einen doppelten Schreck und denke, wie will die denn für mehr lebendige Demokratie in Deutschland sorgen - das hat sie nämlich neulich irgendwo geäußert -, wenn sie sich von diesen Kanaillen des alten Regimes wählen lässt. Ich kann mich dem Wunsch von Monika Maron nur anschließen. Ich hoffe sie, scheitert, und zwar sowohl ihr zu Liebe, ihr selbst zu Liebe als auch den Deutschen zu liebe. Das ist grauenhaft! Wenn ich solche Spottlieder noch schreiben würde, würde ich ein Spottlied darüber schreiben, dass sich diese kluge und schöne Frau Schwan rupfen lässt von diesem... - wie heißt er? - Beck und zu einem Suppenhuhn machen lässt und in den SPD-Topf hauen lässt. Und das Feuer da drunter, damit es gekocht wird, liefert noch die so genannte Linke. Das sind diese ehemaligen Spitzel des DDR-Regimes. Das sind diese Lichtgestalten "IM Notar" und "IM Bienert" und wie sie alle heißen und diese Trauergestalt des Populismus Lafontaine.

    Heinemann: Herr Biermann, Gesine Schwan hat im Gegensatz zu vielen anderen sozialistischen und kommunistischen Regimen nie Sympathie entgegen gebracht - auch nicht auf dem ideologisch verminten Gelände des Otto-Suhr-Instituts im 68er-Berlin. Zeigt das nicht, dass ihr Immunsystem intakt ist?

    Biermann: Ja! Das zeigt, dass ihr politisches Immunsystem immer gut funktioniert hat, aber auch so kluge Menschen scheitern dann möglicherweise auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten an ihrer Geltungsgier. Denn was kann das andere Gründe haben? Die ist doch nicht so neu in der Welt. Sie sieht doch, wie die Konstellation ist. Und wenn sie sich dafür missbrauchen lässt, na dann ist sie aus meiner Sicht nicht so viel wert wie ich dachte und dann wäre es wirklich ein Schaden, wenn sie Bundespräsidentin wird - ganz unabhängig davon, wie ich den Köhler finde.

    Heinemann: Wie denn?

    Biermann: Ich staune, dass so ein Wirtschaftsboss, der er ja war, ein Finanzmensch, dass der so eine tiefe humanistische und demokratische Kultur befördert als Präsident. Das hätte ich dem nie zugetraut und ich staune darüber. Und ich denke die Deutschen können froh sein, dass sie den erwischt haben. Es wäre schön, wenn das nächste Mal eine Frau Präsidentin der Bundesrepublik Deutschland wäre - nicht nur aus Proporzgründen und weil es sich so gehört, sondern ich fände das wirklich gut. Aber ich hätte da eine bessere Frau im Auge.

    Heinemann: Nämlich?

    Biermann: Ach das sage ich Ihnen nicht! Das ist mir zu schnell.

    Heinemann: Schade!

    Biermann: Ach Gott, es ist auch kein Geheimnis. Ich bin sehr beeindruckt von der Marianne Birthler, wie sie sich jetzt schlägt im Streit in ihrer Behörde. Wo es jetzt um die Stasi-Zusammenarbeit von Gregor Gysi mit dem MfS ging, mit dem "IM Notar", hat sie sich nach meiner Meinung sehr, sehr klug und sehr vernünftig und sehr menschlich verhalten. Das ist eine, die auch nie anfällig war für den Virus des totalitären Regimes in der DDR, die aber darüber hinaus offenbar mehr Lebensweisheit besitzt. So eine würde mir jedenfalls gefallen, aber nach mir geht es ja nicht.

    Heinemann: Herr Biermann, halten Sie Gregor Gysi für einen Zuträger der Stasi?

    Biermann: Das halte ich für stark untertrieben. Er hat neulich einen sehr klugen Satz im Parlament gesagt. Er sagte den Abgeordneten, weil er sie kränken und natürlich beleidigen wollte, sie hätten keine Ahnung von der Arbeit eines Rechtsanwalts in der DDR. Das ist auf unfreiwillige Weise eine wirklich wahre Wahrheit. Ein Anwalt wie Gysi, der für politische Prozesse zugelassen war - das war nur eine ganz kleine Schar; ich kenne noch einen anderen von der Sorte -, die waren natürlich, egal ob sie eine IM-Tätigkeit schriftlich geliefert haben oder mit Handschlag, ob sie mit dem Schwert und dem Schild der Partei, der Stasi - so nannte sie sich doch - verhandelten oder direkt mit der Partei, absolut abhängige Kanaillen des Regimes. Und wenn sie es nicht waren, dann flogen sie raus! Götz Berger, der Anwalt von Robert Havemann - unser Freund, alter Kommunist, Jude, Spanien-Kämpfer -, wurde am Ende seines Lebens rausgeschmissen als Anwalt. Er verlor seine Lizenz - stellen Sie sich das mal vor -, damit Robert Havemann keinen Anwalt mehr hatte, der wirklich sein Anwalt war im Sinne des Rechtsstaates. Und wen kriegte der Havemann dann aufs Auge gedrückt? - Na einmal dürfen Sie raten: den jungen kecken "IM Notar".

    Heinemann: Herr Biermann, zurück noch mal zur Präsidentenwahl und zur Linken. In manchen ostdeutschen Bundesländern ist die Linke inzwischen die Volkspartei und die SPD die Splitterpartei. Gehört Die Linke inzwischen nicht zur politischen Normalität in der Bundesrepublik Deutschland?

    Biermann: Wenn das Elend normal ist, gehört sie zur Normalität. Natürlich! Wenn eine Sklaverei zusammenbricht, dann bricht doch die Sklavenseele in den Menschen noch nicht deswegen zusammen. Die Ketten sind weg, aber der Stacheldraht ist eingewachsen ins Gehirn und in die Brust.

    Heinemann: Dort wo sie mitregiert verhält sich die Linkspartei ganz brav. Rot in Berlin ist doch vor allem der Rotstift von Finanzsenator Sarrazin - und der gehört der SPD an.

    Biermann: Ja natürlich, weil natürlich ein SPD-Regierender Bürgermeister Wowereit in Berlin lieber mit einer totalitären Erbenpartei regiert, die nach seiner Pfeife tanzt, weil sie Angst davor hat, an den Pranger gestellt zu werden, als mit den frechen Grünen, die immerhin noch Absichten haben und etwas bewirken wollen, während diese PDS-Leute oder Linke, wie sie sich neuerdings nennen, haben ja nur ein einziges politisches Ziel: Sie möchten gerne als Erben der DDR-Diktatur in der Demokratie akzeptiert werden und dafür werden die alles machen.

    Heinemann: Warum gelten die Bedenken, die Sie gerade geäußert haben, Ihrer Meinung nach in der SPD nicht?

    Biermann: Das dürfen Sie so nicht sagen. Sie wissen auch ohne meine Hilfe, dass es in der SPD sehr verschiedene Leute gibt. Da gibt es Leute, die im Grunde schon immer innerlich in der SED waren, wie Lafontaine, dieser Brutalpopulist. Und es gibt Leute, die sehr wohl ein Geschichtsbewusstsein haben und wissen, was die SPD für eine bedeutende demokratische Partei war, welche Quellen sie hat und wie sie auch von den Stalinisten nach dem Kriege in der DDR durch die Zwangsvereinigung platt gemacht wurde. Platt gemacht ist poetisch untertrieben, mein Lieber. Die wurden in die alten Nazi-KZs gesteckt und getötet, gefoltert und fertig gemacht. Und Leute, die Geschichtsbewusstsein haben in der SPD, na die denken nicht so lässig über die grandiose Liaison dangereuse mit den Erben der Nomenklatura.

    Heinemann: Herr Biermann, entwickelt sich in Deutschland die öffentliche Meinung dahin, dass die Gleichheit für wichtiger gehalten wird als die Freiheit?

    Biermann: Das ist nicht eine Entwicklung dahin. Das war bei den Deutschen wahrscheinlich schon immer eine Nationalkrankheit. Die Deutschen hatten nie ein Liebesverhältnis mit der Göttin der Freiheit wie die frechen Franzosen. Sie kennen doch den 100-Franc-Schein in Frankreich, der jetzt abgeschafft wurde, wo de la Croix "Göttin der Freiheit" das Volk auf der Barrikade vorantreibt und ihren schönen Busen dabei zeigt. Kennen Sie das Bild? - Natürlich kennen Sie das.

    Heinemann: Die Libertée.

    Biermann: Ja. Das ist eben eine französische Banknote und auf der deutschen ist eben der Pleitegeier.

    Heinemann: Von Johannes Rau stammt der Aufruf "Versöhnen statt Spalten". Muss man 20 oder knapp 20 Jahre nach dem Fall der Mauer ehemaligen SED-Funktionären nicht die Hand reichen, vorausgesetzt sie waren an den Verbrechen des Regimes nicht beteiligt?

    Biermann: Ich würde denen sogar die Hand reichen, wenn sie an den Verbrechen beteiligt waren! Es ist nicht so simpel, wie die Simpel immer meinen. Menschen sind Menschen und sie können sich und sollen sich doch ändern. Darauf spekulieren wir doch alle. Das ist doch die ganze Hoffnung der Aufklärung und des Humanismus. Aber sie müssen sich ändern und sich nicht nur geschickt wenden statt wandeln. Wir haben ja im Deutschen die schönen Worte. Es ist gut, wenn Menschen sich ändern. Natürlich soll man auch verzeihen und man soll sich wieder versöhnen und man soll nicht immer nachtragen und am alten Knochen kauen wie ein zahnloser Hund. Das ist doch klar! Das weiß doch jeder! Aber nicht mit diesem Pack, das sich verbrecherisch betätigt hat und heute frech leugnet und im Grunde die alten Machtpositionen nur mit demokratischen Mäntelchen wieder anstrebt und auch erworben hat - und im Osten sowieso. Das alte Pack ist wieder oben auf!

    Heinemann: Herr Biermann, von Theodor Heuss bis Horst Köhler. Welcher war oder ist Ihr Lieblingspräsident?

    Biermann: Keiner. Meine Liebesneigungen richten sich auf andere Menschen. Wissen Sie was mir gefallen hat? - Das ist nämlich auch ein wunderbarer SPD-Mann, den ich immer liebe und bewundere, nämlich den Schmidt, den alten Bundeskanzler. Als Köhler sich bewarb um das Amt des Bundespräsidenten - können Sie sich erinnern? -, da gab es eine Erklärung von Schmidt. Er sagte, "dieser CDU-Mann Köhler" - und jetzt erwartet natürlich jeder, dass er ihn in die Pfanne haut, aus parteitaktischen Gründen. Aber wie so oft: Er enttäuscht solche idiotischen Erwartungen und sagt: "Dieser Köhler versteht von Wirtschaft mehr als alle Wirtschaftsbosse der Bundesrepublik, Manager und als alle Wirtschaftspolitiker in den Parteien." Da fiel mir ja die Kinnlade runter. Ich dachte "sieh mal an!". Wenn das auch nur zur Hälfte wahr ist oder zu einem Viertel, dann müsste ja dieser Köhler lieber Bundeskanzler werden oder Wirtschaftsminister und nicht verbraten werden für das repräsentative Amt des Bundespräsidenten. Das ist ja fast so was wie eine Vergeudung. Ich freue mich, dass so ein welterfahrener Wirtschaftsmensch wie dieser Präsident Köhler jetzt so eine gute politische Rolle spielt für die Entwicklung des demokratischen Gedankens in Deutschland und der gefällt mir.

    Heinemann: Der Liedermacher und Dichter Wolf Biermann in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!