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Identität
Das Dritte Geschlecht in den Papieren

Bislang sehen deutsche Dokumente nur zwei Möglichkeiten vor, ein Geschlecht anzugeben: "M" oder "W". Doch intergeschlechtliche Personen haben sich das Recht auf eine dritte Option erstritten. Das Bundesinnenministerium schlägt dafür den Begriff "Weiteres" vor - die Betroffenen lehnen das ab.

Von Katharina Hamberger | 09.08.2018
    Ein Plakat für eine dritte Option für die Geschlechtsbezeichung intersexueller Menschen.
    Wenn im Geburtenregister Geschlechter eingetragen werden, dann müssen es künftig drei Optionen sein. (picture alliance / dpa / Jan Woitas)
    Ein Videostatement einer intergeschlechtlichen Person auf der Seite der Kampagne "Dritte Option", die sich für eine Änderung des Personenstandsrechts eingesetzt – und sich damit vor dem Bundesverfassungsgericht durchgesetzt hat:
    "Ich weiß, dass ich manchmal eine Frau bin, manchmal ein Mann bin, und manchmal irgendwas dazwischen. Ich würde mich selber definieren als weder*noch* und beides ein bisschen, und dann finde ich das echt schlimm, dass ich diesen Frauen-Stempel bei mir im Personalausweis mit mir rumtragen muss. Ich meine, ich will sichtbar sein, ich will sichtbar wahrgenommen werden als das, was ich bin, als ein Mensch."
    Menschen, die nicht in Mann/Frau-Schema passen
    Die Kampagne fordert Akzeptanz für Menschen, die eben nicht in das Schema Mann/Frau passen, aber trotzdem ein Geschlecht haben, das auch sichtbar werden soll. An Alltagsproblemen ist erkennbar, dass die bisherige Regelung, als intergeschlechtliche Person den Geschlechtereintrag in Dokumenten einfach wegzulassen, das noch nicht geschafft hat:
    "Manchmal ist es halt wirklich so, dass dann so ein blödes Formular, auf dem nur ‚m‘ oder ‚w‘ steht, einen dazu führen kann, sich erstmal wieder zwei, drei Stunden nur zu ärgern", erzählt Vanja in einem Video. Er_sie hatte erfolgreich vor dem Verfassungsgericht geklagt - und inzwischen liegt der Referentenentwurf aus dem Innenministerium für die "Dritte Option" vor: Eltern, deren Kind als weder eindeutig männlich oder weiblich auf die Welt kommt, sollen sich für die Option "Weiteres" entscheiden können.
    Vanja hat erfolgreich vor dem Bundesverfassungsgericht auf eine dritte Option beim Geschlechtereintrag geklagt
    Vanja hat erfolgreich vor dem Bundesverfassungsgericht auf eine dritte Option beim Geschlechtereintrag geklagt (Jan Woitas/dpa)
    Lieber "Inter" oder "Divers" als "Weiteres"
    Wenig zufriedenstellend findet das Lucie Veith, 62 Jahre alt, selbst intergeschlechtlich: "Stellen Sie sich vor, Sie hätten ein Kind bekommen und Sie lassen es eintragen, und Sie bekommen eine Eintragung "Weiteres", und die Oma fragt: Na, was ist es denn? Es ist Weiteres. Ja was, Weiteres? Das passt überhaupt nicht."
    Das belegen auch Umfragen, die der Verein intersexueller Menschen, den Veith gegründet hat, durchgeführt hat. Angehörige und Eltern intergeschlechtlicher Menschen bevorzugen demnach den Eintrag "divers". Und die betroffenen Menschen selbst?
    "Da zeigt sich, dass die erwachsenen intergeschlechtlichen Personen tatsächlich gesagt haben, ok, ein "inter*" mit einem kleinen Sternchen, wo das alles möglich ist, oder "Inter/divers" wäre eine positive Eintragung."
    Woher das Ministerium dann den Begriff "Weiteres" ableitet, wird aus dem Referentenentwurf nicht ersichtlich.
    "Es wäre sinnvoll, mit den Betroffenen zu sprechen, was die Bezeichnung angeht", moniert FDP-Politiker Jens Brandenburg. Er ist in seiner Fraktion für Themen, die Lesben, Schwule, Bisexuelle, transsexuelle, transgender, queere und intergeschlechtliche Personen, kurz LSBTQI betreffen, zuständig. Alle Bundestagsfraktionen außer der AfD haben dafür jemanden. In unregelmäßigen Abständen treffen sie sich zu einem Frühstück. Auch der CDU-Abgeordnete Stefan Kaufmann gehört dazu. Ihm ist ebenfalls klar, dass "Weiteres" von intergeschlechtlichen Personen eher abgelehnt wird:
    "Von daher ist jetzt die Frage, zu welchem anderen Begriff wir kommen. Ich habe aber den Eindruck, dass sowohl die Berichterstatter meiner Fraktion als auch das Ministerium selber hier offen sind."
    Jens Brandenburg (FDP) spricht am 26.04.2018 in Berlin im Plenum im Bundestag bei der Debatte zum Berufsbildungsbericht 2018.
    Jens Brandenburg (FDP) spricht im Plenum im Bundestag. (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
    Es geht nicht nur um einen Begriff
    Aber bei dem Gesetzentwurf geht es nicht nur die Frage nach einem Begriff. So spricht der Liberale Brandenburg von einer Minimallösung: "Herr Seehofer verschläft eigentlich die Chance, das Personenstandsrecht wirklich zu reformieren, anzupassen an das 21. Jahrhundert."
    Er verlangt, dass keine ärztlichen Gutachten mehr notwendig sein sollen für einen Eintrag eines anderen Geschlechts als weiblich oder männlich. Denn laut Referentenentwurf sollen körperliche Merkmale ausschlaggebend sein, festzustellen durch ärztlichen Befund.
    "Für die geschlechtliche Identität eines Menschen gibt es eigentlich keinen besseren Experten als diesen Menschen selbst. Das ist ja etwas, was mehr zwischen den Ohren als zwischen den Beinen stattfindet."
    Würde das Innenministerium die Definition den Betroffenen selbst überlassen, würden dadurch vermutlich auch transgeschlechtliche Personen miteingeschlossen. Die Identität im Sinne der Selbstdefinition würde dann eine deutlich größere Rolle spielen. Eine gute Idee? Für FDP-Mann Brandenburg ist das klar, CDU-Politiker Kaufmann reagiert zögerlicher:
    "Also, das ist jetzt nicht ganz einfach zu beantworten. Aus dem Bauch heraus würde ich sagen, auch transgender", meint er dann. Lucie Veith könnte sich noch einen weiteren Schritt vorstellen: "Es wird auch immer wieder die Frage gestellt von allen, warum muss es überhaupt einen Eintrag geben für alle Menschen, kann das nicht ein freiwilliger Eintrag sein?"
    Der CDU-Politiker Stefan Kaufmann hält auf einem CDU-Bundesparteitag in Hannover eine Rede.
    Stefan Kaufmann, CDU (imago/Simon)
    Abschaffung des Geschlechtseintrags unwahrscheinlich
    Aus Veiths Sicht wird die Diskussion zu sehr von Verwaltungsdenken bestimmt. Dabei müsse es viel mehr um Geschlechtlichkeit gehen. Für Veith ist die Zuordnung von Geschlecht auch mit Machtverhältnissen verbunden.
    Auch in der FDP-Fraktion wird das debattiert. Der 32-jährige Brandenburg wäre auch für eine Abschaffung des Geschlechtereintrags – unter anderem mit dem Aussetzen der Wehrpflicht könne der Staat eigentlich keine besonderen Gründe für die Geschlechtserfassung mehr haben.
    CDU-Politiker Kaufmann ist da zurückhaltender und bleibt etwas unbestimmt: "Also es würde in unserem Rechtssystem wohl Schwierigkeiten machen, wenn wir jetzt gar keine Geschlechtsbestimmung im Pass mehr eintragen würden."
    Es wäre wohl nicht nur das Rechtssystem. Eine so grundsätzliche Debatte dürfte Schwierigkeiten innerhalb der Union hervorrufen. So ein Schritt ist also vom CSU-geführten Innenministerium kaum zu erwarten.
    Mehr gesellschaftliche Akzeptanz
    Auch wenn der jetzige Entwurf manchem noch nicht weit genug geht - eine Hoffnung ist dann doch damit verbunden: Dass sich dadurch die gesellschaftliche Akzeptanz von Menschen, die nicht in das binäre Schema passen, verbessert.
    Lucie Veith:
    "Ich glaube, dass wir mehr zu einer Gleichstellung kommen werden. Und das ist meine persönliche Hoffnung, dass Gleichstellung nicht nur ein Wort ist, sondern Realität, und das Menschsein mit all dem Respekt, den wir dem einzelnen gegenüber bringen sollten und auch der Liebe für den einzelnen, dass das befördert werden kann. Auf alle Fälle wird’s ein bisschen mehr Gerechtigkeit bringen. Das wär doch schon ein ganz wichtiger Schritt."