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IG Metall: "Wir brauchen Mindestlöhne!"

Der stellvertretende Vorsitzende der IG Metall, Berthold Huber, hat sich für Mindestlöhne ausgesprochen. Dabei solle aber nicht ein gesetzlicher Mindestlohn vorgegeben werden, der für alle Berufsgruppen gleich ist, sondern der unterste Lohn, den die Tarifparteien einer Branche festgelegt haben, soll dann als Mindestlohn für diesen Bereich gelten.

Moderation: Detlef Karg |
    Karg: Drei, vier, fünf oder sechs Euro pro Stunde - wer möchte dafür arbeiten? Die Zustände an deutschen Schlachthöfen etwa, die deutsche Mitarbeiter entlassen und Polen und Ungarn zu Niedrigstlöhnen beschäftigen, zeigen, dass etwas schief läuft im vereinten Europa. Die Dienstleistungsrichtlinie innerhalb der EU ist wieder in der Diskussion und damit auch das Thema "Mindestlöhne: ja oder nein". In der Union gab es in dieser Woche neuerdings Stimmen, die gesetzliche Mindestlöhne zumindest in dem Sinne gutheißen, als dass sie massives Dumping durch Ausländer in Hochlohnländern wie Deutschland verhindern. Gewerkschaften und SPD reiben sich die Augen. Was ist dran an der Diskussion? Ich bin jetzt verbunden mit Berthold Huber, er ist stellvertretender Vorsitzender der IG Metall. Herr Huber, brauchen wir Mindestlöhne?

    Huber: Ja sicher brauchen wir das. Das heißt, man braucht gar nichts. Also wenn man die Leute arm machen will und flächendeckend Zustände wie auf den Schlachthöfen - so ist das ja in den letzten Wochen breit in der Öffentlichkeit erschienen - wenn man das haben will, dann braucht man sie nicht. Wenn man Dumping-Löhne haben will, braucht man sie auch nicht. Aber wenn man anständige, einigermaßen anständige Verhältnisse für die Leute haben will, dann braucht man Mindestlöhne, selbstverständlich.

    Karg: Sollen die gesetzlich vorgeschrieben sein oder dennoch eine Sache der Tarifparteien, wie bisher?

    Huber: Ja gut, es gibt grundsätzlich unterschiedliche Modelle, auch in Europa. In Frankreich, in Spanien, in England haben wir gesetzlich festgelegte Mindestlöhne, das heißt der Gesetzgeber legt einen untersten Lohn fest - in Amerika haben wir das auch, im Übrigen - und der ist in der Regel einheitlich über alle Branchen hinweg. So ist das in diesen anderen europäischen Ländern, die ich genannt habe.

    Eine andere Alternative ist, dass man sagt, das, was die Tarifvertragsparteien für eine Branche festlegen, der unterste Lohn, das ist dann der Mindestlohn, der gilt, und das kann man - wie Sie ja in Ihrem Beitrag gesagt haben - über Allgemeinverbindlichkeitserklärungen machen oder über einen anderen Weg. Die IG Metall und der Deutsche Gewerkschaftsbund favorisieren den Weg, dass wir nicht einen generell einheitlichen Mindestlohn machen, sondern dass wir sagen: Die untersten Löhne werden allgemein verbindlich erklärt, die über Tarifverhandlungen erreicht werden.

    Karg: Das heißt, also nach wie vor verschiedene Branchen machen verschiedene Mindeststandards aus?

    Huber: Ja, das würde das bedeuten. Das wäre das Konzept, wo wir meinen, dass es eine Chance bietet, weil wir ja nicht in jeder Branche die gleichen Produktivitäten haben, die gleichen wirtschaftlichen Bedingungen haben und man so auch eine gewisse Differenzierung erreichen könnte.

    Karg: Die Metallbranche hat zum Beispiel ein wesentlich höheres Niveau als die Branche Nahrung, Genussmittel und Gaststätten. Würden Sie es für möglich halten, dass es in der Metallbranche zu ähnlichen Zuständen kommt wie etwa auf den deutschen Schlachthöfen?

    Huber: Ja da steht die IG Metall davor, aber ich will ja den Mund nicht zu voll nehmen. Man kann in dieser Konkurrenzsituation, in dieser internationalen Konkurrenzsituation ja auch nicht etwas versprechen, was man nicht halten kann. Wir stehen ja auch in der Metallbranche - ob wir stark sind oder nicht, also organisatorisch stark sind und viele Mitglieder haben - stehen wir ja immer vor der Problematik, dass uns Arbeitgeber, wenn wir in Verhandlungen sind, in Gesprächen sind, sagen: "Wenn Ihr dies und jenes nicht akzeptiert, dann gehen wir hierhin, dahin, dorthin." Und das ist natürlich ein unendlicher Erpressungsdruck auf die Arbeitnehmer, aber natürlich auch auf uns als Gewerkschafter. Deswegen will ich den Mund nicht zu voll nehmen, aber wir sind wild entschlossen, nicht jede miserable Bedingung zu akzeptieren. Es ist doch empörend, dass Leute für drei Euro und so weiter und teilweise drunter arbeiten.

    Karg: Das stimmt nur - für die Leute, die aus dem Osten kommen, ist das viel Geld. Das ist ja ein europäisches Problem. Brauchen wir also eine europäische Vereinbarung? Wir haben es ja vorhin gehört, es wird unwahrscheinlich sein, dass die zehn neuen Mitgliedsländer mit sich verhandeln lassen. Das heißt, wo kann man ansetzen, Herr Huber?

    Huber: Als erstes müssen wir mal national das lösen und man kann das ja national lösen. Ich habe ja vorher schon das Beispiel gebracht: wir haben gesetzliche Mindestlöhne, die gehen - in Luxemburg haben sie einen gesetzlichen Mindestlohn, der liegt in etwa bei 1.350 Euro, dann haben sie in Irland einen gesetzlichen Mindestlohn, der liegt darunter - also auch dort hat man Spielräume. Und in Deutschland als Hochlohnland müsste man einen gesetzlichen Mindestlohn machen, der ganz gewiss nicht am unteren Ende der Skala ist. Nur, wie gesagt, wir als Gewerkschaften im Deutschen Gewerkschaftsbund plädieren - das ist jedenfalls unsere Verabredung - nicht für einen generell einheitlichen Mindestlohn, den der Gesetzgeber festlegt, sondern wir sagen: Das, was wir in freien Tarifverhandlungen erreichen, der unterste Lohn sollte über eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung verallgemeinert werden und insofern ein Mindestlohn sein.

    Karg: Sollte das dann so funktionieren wie bei der Entsenderichtlinie, wie das jetzt auch in die Diskussion gekommen ist?

    Huber: Im erweiterten Sinn, ja. Um es jetzt nicht zu juristisch zu machen, ja, so sollte das gehen. Also das, was Sie auch in Ihrem Beitrag gesagt haben auf dem Bau soll auch möglich sein in anderen Gewerken, vom Schlachthof bis - was weiß ich - in die Landwirtschaft, und da haben wir ja unterschiedliche Verhältnisse. Wenn ich noch etwas anmerken darf: Sie sagten, für Menschen, die aus Osteuropa kommen, ist das viel Geld. Man darf nur eines nicht vergessen: Unter welchen Bedingungen diese Leute leben. Wir haben doch teilweise katastrophale Bedingungen - Beispiel: Schlachthöfe - wo die Leute unter unglaublichen Verhältnissen vegetieren müssen, anders kann man das doch nicht nennen.

    So, und die Frage ist: Wollen wir, als zivilisiertes Land, als wirtschaftsstärkstes in Europa, wollen wir solche Verhältnisse flächendeckend haben? Und da kann ich nur sagen: Nein. Und wenn man das nicht will, dann muss man handeln. Und es ist ein ermutigendes Zeichen, dass jetzt auch - beziehungsweise wenn man den Äußerungen glaubt - wichtige Leute aus CSU und CDU das Problem endlich erkennen.

    Karg: Sehen Sie da eine generelle Bereitschaft der CDU zum Mitmachen? Denn Stoiber hat ja darauf hingewiesen, ein generelles Ausschließen von Mindestlöhnen will er nicht.

    Huber: Nein, das will ich positiver hervorheben: Jetzt sind eben neben den Worten schlicht und ergreifend Taten gefragt. Weil Europa und die schlechten Verhältnisse, die in einzelnen Ländern da sind und bei uns auch schon angekommen sind, warten ja nicht auf Worte, sondern dass man etwas tut. Die Diskussion geht ja jetzt schon seit Jahren. Also endlich was tun muss man.

    Karg: Die Diskussion geht schon länger, das stimmt, es gab ja auch Ende des vergangenen Jahres bereits einen Anlauf, aber die Gewerkschaften waren sich nicht einig. Wer sind denn da die Bremser gewesen?

    Huber: Ja, nein, nicht Bremser. Wir waren uns einig, dass man Mindestlöhne braucht, aber es gibt verschiedene Formen und Arten von Mindestlöhnen - auch existierende in Europa. Also, zum Beispiel ein gesetzlicher Mindestlohn - also den der Gesetzgeber festlegt - der über alle Branchen gilt, das ist eine Variante. Eine andere ist das, was ich gerade gesagt habe. Und die Gewerkschaften haben nur Dispute gehabt untereinander über die Art und Weise, aber nicht über die Frage, dass wir so etwas brauchen.

    Karg: Die Entsenderichtlinie ist ja ein Modell in der Bauwirtschaft. Da hat es aber gezeigt, dass trotzdem der Abbau von Arbeitsplätzen und die Dumping-Löhne nicht gestoppt werden konnten. Wo sind denn da die Defizite? Muss man das in anderen Branchen dann nicht auch befürchten?

    Huber: Ja, es gibt immer schlechte Erfahrungen. Sie haben ganz unterschiedliche Situationen: In Großbritannien, wo in einem spezifisch englischen Verfahren Mindestlöhne vom Gesetzgeber fixiert werden, haben wir die Situation, dass rund 250.000 - das sagen die Untersuchungen, die es gibt - 250.000 Leute immer noch unter schlechteren Bedingungen arbeiten; wir haben in Frankreich höhere Zahlen. Also man muss immer die Frage stellen: Ja wer überprüft das? Sie können nicht ausschließen, wenn Sie eine Norm festsetzen, dass es immer noch einige Gauner gibt, die versuchen, die Leute zu bescheißen und weiter herunterzudrücken.

    Und man kann mit Menschen, die Arbeit suchen, vieles veranstalten. Das kann man überall auf der Welt, von China bis Deutschland. So, und die Frage ist doch: Wie kann man das dingfest machen? Und in der Bauwirtschaft gibt es solche schwarzen Schafe von Arbeitgebern, die die Not der Leute rigoros ausnutzen. Also kommt es darauf an, dass man nicht nur sagt, und wir brauchen Mindestlöhne, und solche in welcher Form auch immer festlegt, sondern man braucht natürlich Mechanismen, das zu überprüfen.