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Im Namen der Ehre

Dass Schulstunden oftmals nicht reichen, um Kinder erfolgreich zu einem Abschluss zu bringen, wissen viele Eltern aus eigener Erfahrung. Doch was machen die, die sich keine Nachhilfe leisten können? Eine Möglichkeit sind städtische Lernzentren.

Von Stephanie Kowalewski | 24.10.2009
    In Essen-Vogelheim leben knapp 7000 Menschen, viele mit Migrationshintergrund, die Arbeitslosigkeit ist ein großes Problem. Hier sind vor gut sechs Jahren 32 Container gestrandet, in denen einst Maschinen oder Getreide über die Weltmeere geschippert wurden. Eine Spende von Sponsoren, denen Vogelheim am Herzen liegt. Heute sind sie bunt angemalt, übereinander gestapelt und eine Art Lern- und Begegnungszentrum für die Menschen im Viertel.

    "Hallo Frau Wolter."

    "Hallo Eda."

    "Na, wie ist es?"

    "Gut."

    "Zum Glück hab ich heute nicht so viele Hausaufgaben auf."

    "Das ist ja prima, was liegt denn an heute?"

    "Was hast du denn auf?"

    "Mathe und Englisch."

    "Womit fangen wir an?"

    "Englisch."

    Eda ist elf, besucht die sechste Klasse einer Realschule und kommt seit eineinhalb Jahren regelmäßig in den Computainer, wie das vom Jugendamt getragene Lernzentrum offiziell heißt. Hier warten dann schon Helfer wie Brigitte Wolter auf sie, um ihr bei den Hausaufgaben zu helfen und mit ihr für Klassenarbeiten zu üben. Ehrenamtlich.

    "Die kümmern sich hier auch um jeden, nicht wie bei mir an der Schule. Ich hab etwas bessere Noten gekriegt. Ich hatte in Mathe eine Vier und danach in einem Halbjahr hab ich mich dann auf eine Zwei verbessert. Also hier ist es viel besser."

    Eda weiß, dass die frühpensionierte Hauptschullehrerin ihr ehrenamtlich hilft.

    "Das ist auch eine ganz nette Person, dass die das ohne Geld macht. Finde ich sehr nett von ihr."

    Brigitte Wolter war leidenschaftliche Lehrerin an einer Hauptschule in Gelsenkirchen, doch aus gesundheitlichen Gründen musste sie ihren Beruf aufgeben. Das schmerzt sie noch heute. Auf der Suche nach einer neuen sinnvollen Aufgabe entdeckte sie das Ehrenamt für sich. In den Computainer kam sie zunächst, weil sie ein Freizeitangebot dort interessiert hatte. Doch als die Leiterin Esther Stabenow sie bat, sich um die Hausaufgabenbetreuung zu kümmern, musste sie nicht lange überlegen.

    "Das sind für mich Beziehungen, Erfolgserlebnisse, Freude. Und die Kinder hier merken, dass ich gerne komme. Und das sind ja viele Kinder hier, mit nicht deutschen Wurzeln, und von daher darf ich auch noch so ein bisschen unterrichten. Und ich halte meinen Kopf fit. Ich bin ja nicht mehr so ganz jung."

    Brigitte Wolter ist 61 Jahre alt und voller Tatendrang. Deshalb macht sie auch bei den Ferienangeboten im Computainer gerne mit, organisiert Stadtrallyes und Bastelangebote für Kinder. Auf solche Ehrenamtlichen sind Lernzentren wie der Computainer dringend angewiesen, sagt die Leiterin Esther Stabenow, auch wenn sie von der Kommune getragen werden.

    "Vieles geht eben nur, indem wir Leute finden, die sich engagieren, die einen entsprechenden Erfahrungshintergrund haben, um diese Arbeit machen zu können. Das heißt das gesamte PC-Kurs-Angebot ist im Grund über Ehrenamt möglich und auch die Unterstützung in Kinderbildungsprogrammen geht nur mit Ehrenamtlichen."

    In Essen-Vogelheim werden mehr als 60 Prozent aller Bildungskurse von Ehrenamtlichen angeboten. Gäbe es den Computainer und die engagierte Brigitte Wolter nicht, müsste Eda also entweder selbst mit ihren Hausaufgaben klar kommen, oder sie wäre eine von 50 Schülerinnen, die bei der Hausaufgabenhilfe in ihrer Schule gleichzeitig betreut werden. Teure Nachhilfe kann sich die Familie nicht leisten. Gleicht Brigitte Wolter mit ihrem ehrenamtlichen Engagement also die Versäumnisse von Schule und Politik aus? Kopfschütteln bei der 61-jährigen.

    "Ich sehe mich nicht in meiner Arbeit als Ergänzung von Defiziten der staatlichen Bildungsarbeit. Sondern was wir tun können, ist ein zusätzliches Angebot hier machen. Bildung findet nie nur an offiziellen Plätzen und staatlich organisierten Stellen statt. Und ein Kind lernt nur dann, wenn der Ort passt, wenn die Person passt, wenn die Situation die richtige ist und manchmal treffen wir das hier so."

    So sieht das auch Ester Stabenow. Doch selbst, wenn das Ehrenamt eine richtige und notwendige Ergänzung zur staatlichen Bildungsarbeit ist, könne die Politik doch deutlich mehr tun, finden beide Frauen. Politiker könnten sich beispielsweise für bessere Rahmenbedingungen in solchen Lernzentren einsetzten, meint Esther Stabenow.

    "Man könnte zum Beispiel so Stadtteilprojekte wie der Computainer hier in Essen-Vogelheim eines ist, und es gibt viele, viele andere, die sehr gut angenommen werden und sehr akzeptiert sind von den Menschen vor Ort, sich mal anschauen und überlegen, ob man das nicht in jedem Stadtteil einrichtet. Also natürlich könnte man das flächendeckend machen."

    Weil das aber auch auf längere Sicht wohl nur ein Traum bleibt, ist Esther Stabenow dankbar, dass sie immer wieder Menschen wie Brigitte Wolter findet, die sich um die Bildung der Menschen in ihrem Stadtteil kümmern. Für sie ist sie eine Art Heldin des Bildungsalltags. Doch davon will die engagierte Ehrenamtlerin nichts wissen.

    "Ich bin absolut keine Heldin. Ich bin einfach da. Und wenn irgend jemand in dem Moment was davon hat, dann macht es Sinn."