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Im schlimmsten Fall "wäre der Steuerzahler der Leidtragende"

Sollten Banken und Versicherungen die Verluste durch einen Schuldenschnitt für Griechenland nicht tragen können, müsse die Politik über deren Zukunft entscheiden, sagt der Chefvolkswirt der Barcleys Bank, Thorsten Polleit. Im schlimmsten Fall seien staatliche Hilfen nötig, um die Geldinstitute am Leben zu halten.

Thorsten Polleit im Gespräch mit Christoph Heinemann | 03.02.2012
    Christoph Heinemann: Zu seinem Abschied aus der Führung der Deutschen Bank hat sich Josef Ackermann gestern noch einmal zu jener Krise geäußert, die je nach Betrachtung eine Banken- oder eine Schuldenkrise bildet, oder den politischen Offenbarungseid der in der Euro-Zone zusammengeschlossenen Staaten mit unterschiedlicher Wirtschaftskraft und dennoch gemeinschaftlicher Währung. Josef Ackermann, der scheidende Vorstandschef der Bank, kündigte an, dass die privaten Gläubiger - zum Beispiel Banken oder Fonds - bereit seien, den Schuldenschnitt von mehr als 70 Prozent hinzunehmen. Nun läge der Ball im Spielfeld der griechischen Regierung. – Vor einer Stunde habe ich Thorsten Polleit, den Chefvolkswirt der Barcleys Bank, gefragt, was die privaten Gläubiger von der griechischen Regierung erwarten.

    Thorsten Polleit: Die Schuldenlage ist natürlich nach wie vor dramatisch. ich glaube nicht, dass die Investorenschaft derzeit noch davon ausgeht, dass es einen Weg um den Schuldenschnitt herum geben wird. Es gibt bereits Zahlen, die ausstehende Schuldenlast für die privaten Gläubiger um etwa 70 Prozent zu reduzieren. Die Finanzmärkte zeigen an, dass man mit so einer Rückführung der Schulden rechnet, und von der griechischen Regierung im folgenden wird natürlich nun erhofft, dass der Sparkurs fortgesetzt wird, denn die angestrebte Reduzierung ist natürlich auch noch vermutlich keine endgültige Lösung des Schuldenproblems in Griechenland.

    Heinemann: Was passiert, wenn der griechische Staat endgültig zahlungsunfähig ist?

    Polleit: In diesem Falle kann er dann seine Zins- und Tilgungszahlungen nicht mehr leisten. Dann wären die entsprechenden Anleihen, die beispielsweise Banken und Versicherungen halten, auf null abzuschreiben. Das bedeutet Verluste für die Institute, die dann natürlich aufgefangen werden müssen – entweder durch Kapitalerhöhungen, oder aber im schlimmsten Falle müsste der Staat beziehungsweise der Steuerzahler wieder einmal sein Portemonnaie öffnen.

    Heinemann: Also wir retten entweder Griechenland oder die Banken?

    Polleit: In jedem Falle ist das so, dass die Verluste, die bei Banken oder Versicherungen anfallen, zunächst von den Instituten zu tragen sind. Ist das nicht möglich, ist es natürlich eine politische Entscheidung, wie man mit taumelnden Geldhäusern umgeht, ob man sie abwickelt, oder ob man versucht, sie durch Kapitalspritzen und sonstige Unterstützungsmaßnahmen über Wasser zu halten, und das hat natürlich dann, sollte so eine Entscheidung getroffen werden, der Steuerzahler zu tragen.

    Heinemann: Herr Polleit, ein Gläubiger Griechenlands ist die Europäische Zentralbank. Es wird immer eine Zahl von 55 Milliarden Euro genannt, die ist aber offiziell nicht bestätigt. Bislang ist die EZB nicht bereit, auf Forderungen zu verzichten. Was nun?

    Polleit: Sicherlich: Der Druck nimmt zu auf die Europäische Zentralbank, beim Schuldenschnitt mitzumachen. Der Widerstand erklärt sich natürlich dadurch, dass die Europäische Zentralbank griechische Anleihen aufgenommen hat. Wenn sie jetzt an dem Schuldenschnitt beteiligt wird, sieht das wie Haushaltsfinanzierung aus, was nicht vorgesehen ist im Maastricht-Vertrag. Und man muss natürlich auch berücksichtigen, das Kapital der Europäischen Zentralbank ist recht gering, nur etwa 10,8 Milliarden. Das heißt, eine Herabsetzung der Schulden würde bei der Europäischen Zentralbank sofort ein gewaltiges Loch in die Bilanz reißen, das natürlich dann zu stopfen wäre, und wieder einmal wäre der Steuerzahler der Leidtragende.

    Heinemann: Zumal Ende vergangenen Jahres ja die EZB schon ihre Geldschleusen geöffnet und den europäischen Banken 500 Milliarden Euro für drei Jahre zu Niedrigstzinsen zur Verfügung gestellt hat. – Wird die EZB häufiger noch als Feuerwehr benötigt?

    Polleit: Die Banken werden jetzt künftig weitaus stärker auf die Kredite zurückgreifen, die sie von der Europäischen Zentralbank direkt erhalten können, denn diese Kredite sind natürlich weitaus günstiger als die Kredite im Kapitalmarkt. Insofern gibt es jetzt eine Anreizwirkung, dass die Banken verstärkt auf das Geld der Europäischen Zentralbank zurückgreifen werden.

    Heinemann: Baut sich da nicht möglicherweise die nächste Blase auf, zumal ja auch die US-Notenbank gesagt hat, mindestens bis Ende 2014 gibt es den Leitzins nahe null Prozent?

    Polleit: In jedem Falle ist eine akute Inflationsgefahr entstanden, die täglich größer wird, denn das Drucken von neuem Geld ist natürlich keine Lösung. Das wird natürlich früher oder später in steigenden Preisen sich niederschlagen. Es ist allerdings derzeit international eine allgemein befürwortete Politik, die Ausweitung der Geldmenge zu forcieren, um die Geld- und Kreditprobleme im Finanzmarkt zu lösen.

    Heinemann: Herr Polleit, die Abschreibungen sind für die privaten Gläubiger das eine. Gleichzeitig müssen Banken ja deutlich mehr Geld auf die hohe Kante legen, Kernkapital bis 2018 mindestens sieben Prozent. Wie wird sich das auswirken, wenn man dann obendrein auch noch die geplante Finanztransaktionssteuer hinzurechnet?

    Polleit: Die Banken haben derzeit ein Eigenkapitalproblem. Der deutsche Bankensektor insgesamt verfügt über ein bilanziell ausgewiesenes Kapital von etwa knapp 400 Milliarden. Kommen nun Abschreibungen beispielsweise durch griechische Anleihen hinzu, dann mindert sich dieses Kapital, und das bedeutet, dass die Banken möglicherweise sogar ihre Kredite zurückrufen müssen, zumindest einschränken müssen gegenüber der Privatwirtschaft. Das kann durchaus in eine Kreditklemme münden, und erste Anzeichen im Euro-Raum insgesamt sind zu erkennen, obwohl man sagen muss, in Deutschland selber scheint die Lage noch relativ entspannt zu sein.

    Heinemann: Bleibt die Grundsatzfrage. Wenn sich der Chef einer Imbissbude großflächig verrechnet, dann muss er schließen. Wenn Bankenvorstände vollkommen falsch investieren, betteln sie den Staat an. Entspricht das Ihren Vorstellungen von Marktwirtschaft?

    Polleit: Nein, das ist sicherlich eine Aushebelung der Grundprinzipien einer marktwirtschaftlichen Ordnung, die Privatisierung der Gewinne und die Sozialisierung der Verluste. Das ist ein ganz großes Problem. Das ist natürlich auch ein sehr heikles Problem. Derzeit entscheiden sich die Regierungen allerdings dafür, die Banken am Leben zu halten, auch zum Preis einer weiteren Belastung der Steuerzahler und natürlich dem Drucken von neuem Geld, und das, meiner Meinung nach, wird nachfolgend noch große Probleme mit sich bringen.

    Heinemann: Das Gespräch mit Thorsten Polleit, dem Chefvolkswirt der Barcleys Bank, haben wir vor einer Stunde aufgezeichnet.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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