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Impfdebatte
Gönnen können als Aufgabe in der Krise

Statt auf Geimpfte, Getestete und Genesene neidisch zu sein, sollte man ihnen gönnen, dass sie ihre Freiheiten zurückerhalten. Das fordert der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm. Anderen etwas zu gönnen, das könnte uns allen guttun, meint auch die Psychologin Brigitte Dorst.

Von Christian Röther |
Eine mögliche Visualisierung des geplanten digitalen Impfpass liegt neben einem analogen Impfpass. Die EU-Staats- und Regierungschefs hatten am Donnerstag eine europäische Lösung beim Corona-Impfpass beschlossen. Themenbild, Symbolbild *** A possible visualisation of the planned digital vaccination card lies next to an analogue vaccination card The EU heads of state and government had decided on Thursday on a European solution for the Corona vaccination card Topic image, symbol image Foto:xC.xHardtx/xFuturexImage
Sehr begehrt: Covid-Schutzimpfung und Eintrag im Impfpass (imago / Future Image / C. Hardt)
"Wenn von den Geimpften und den Genesenen wirklich keine Gefahr mehr ausgeht, warum sollten sie dann nicht wieder die Freiheiten ausüben können, die ja nur aus Gesundheitsschutzgründen eingeschränkt worden sind?"
Fragt Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, in einer Videobotschaft.
"Können wir denen - das ist die Frage für mich dahinter -, die kein Risiko mehr bedeuten, das nicht gönnen, dass sie sich wieder freier bewegen können und uns darauf freuen, dass wir es bald auch wieder können?"
"Die Letzten werden die Ersten sein"
Und auch ein biblisches Gleichnis bringt der bayerische Landesbischof ein in die Impfdebatte: das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg aus dem Matthäus-Evangelium. Alle Arbeiter sollen vom Herrn des Weinbergs den gleichen Lohn erhalten, unabhängig davon, ob sie nur eine Stunde geschuftet haben oder zwölf Stunden. Das Gleichnis gipfelt in dem berühmten Jesus-Zitat:
"So werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein."
Und das passe auch heute noch, beim Impfen unter Corona-Bedingungen, meint der höchste Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland.
"Von den Glücksforschern kann man lernen: Wer zuletzt dran ist und den anderen einfach gönnt, dass sie vor ihm dran sind, wird am Ende der Glücklichere sein."
"Das kommt mir sehr zynisch vor"
Müssten wir uns also glücklich schätzen, falls wir im Sommer noch ungeimpft zu Hause hocken, während andere schon wieder vom Schwimmbad zum Biergarten unterwegs sind?
"Na ja, ich weiß nicht, ob man dieses biblische Gleichnis auf Alltagssituationen so einfach übertragen kann. 'Die Letzten werden die Ersten sein', ob das für die Impfproblematik gilt – machen wir mal ein Fragezeichen dran", sagt Brigitte Dorst. Sie ist Psychologie-Professorin, Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin, außerdem ehemalige Vorsitzende der C.G. Jung-Gesellschaft Köln.
"Diejenigen, die länger warten, haben – bis jetzt jedenfalls – das größere Infektionsrisiko. Also das kommt mir sehr zynisch vor, wenn man das auf den Beispielfall des Wartens auf den Impftermin anwenden würde. Das würde ich so nicht mitmachen wollen."
So ausgeprägt, wie manche meinen, sei der Corona-Impfneid aber auch gar nicht, beobachtet die Psychologin.
"Zur gegenwärtigen Lage nehme ich vor allen Dingen wahr, dass da ganz viel Missmut ist, ganz viel Groll, ganz viel Verdrossenheit und mehrfache Enttäuschung über Ankündigungen, die nicht eingehalten worden sind, sehr viel Erschöpfung und Gereiztheit."
Neid hat zwei Seiten
Und wenn in den Fragen von Impfungen und Öffnungen doch auch Neid dabei sei, dann sei das nicht weiter verwunderlich. Denn Neidgefühle seien normal und im Menschen tief verwurzelt.
"Es ist ja einfach auch etwas, was in der Evolution schon vorhanden ist. Also wenn wir an die Tiere denken, da gibt es ja diesen Futterneid zum Beispiel. Also da hat es diesen Aspekt, dass das offensichtlich was ganz Archaisches auch ist, was durch die Evolution mitgewachsen und entstanden ist in der emotionalen Grundausstattung."
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Einen Menschen, der niemals Neid empfindet, kann man also vermutlich lange suchen. Jetzt bringt auch die Psychologin die Bibel ins Spiel:
"Das ist ja im Grunde schon die Urgeschichte: Wenn wir an die Geschichte von Kain und Abel in der Bibel denken. Was ist da der Aspekt des Neides? Der Vergleich der Opfergaben zwischen Kain und Abel, der dann zu diesem brutalen Mord geführt hat."
Neid kann also destruktiv sein, wie bei Kain, der seinen jüngeren Bruder Abel erschlägt, weil dessen Opfergabe bei Gott besser ankommt. "Das kann sich steigern von Missstimmung, Eifersucht bis zu tödlichem Hass." Neid muss aber nicht zwingend etwas Schlechtes sein, sagt Brigitte Dorst. Es gebe auch konstruktiven Neid: "Wenn derjenige es konstruktiv so verarbeiten kann, dass er sagt: Was der oder die jetzt hat, das wünsche ich mir für mich auch."
Gönn' dir
Aus dem Neidgefühl könnte so ein Antrieb werden, ein Wunsch für das eigene Leben, ein positives Gefühl – etwa wenn man sagt:
"Oh, ich beneide dich darum, aber ich gönn's dir. Also Neiden und Gönnen kann durchaus auch parallel gehen."
Ich gönn's dir. Oder, wie es in der sogenannten Jugendsprache seit ein paar Jahren zu hören ist: Gönn' dir! Die Psychologin Brigitte Dorst versteht diesen Ausspruch so:
"Ich wünsche, dass es dir gut geht. Ich bin okay, du bist okay. Mich kränkt das nicht, wenn du dir was Gutes gönnen kannst."
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Also: Gönn' dir! Eine Art neidfreies "Viel Spaß!" Vielleicht könnte "Gönn dir" ein passender Gruß sein für eine mögliche nächste Phase der Corona-Pandemie.
Falls ein europäischer Impfausweis – oder welche Regelung auch immer – es möglich macht, dass Geimpfte, Getestete und Genesene wieder ins Kino gehen können, ins Konzert und in die Kneipe. Und die anderen? Die könnten sich freuen, "dass der Wirt von der Kneipe gegenüber wenigstens wieder einige Gäste haben kann, statt bankrott zu gehen", meint der Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche, Heinrich Bedford-Strohm, in seinem Video: "Anderen etwas gönnen können, das ist vielleicht eine unserer größten Aufgaben in diesen verrückten Zeiten."