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Impfdebatte
"Impfpflicht nicht geeignet"

Brauchen wir angesichts der Berliner Masernfälle eine Impfpflicht? Nein, meint Kordula Schulz-Asche. Sie bezweifle, dass eine Pflicht zu einer höheren Impfquote führe, sagte die Grünen-Gesundheitspolitikerin im DLF. Wichtiger seien stattdessen gute Beratung und eine gründliche Impfkontrolle.

Kordula Schulz-Asche im Gespräch mit Peter Kapern | 25.02.2015
    Die Grünen-Politikerin Kordula Schulz-Asche vor dem Sonnenblumen-Logo ihrer Partei
    Keine Impfpflicht, mehr Beratung: Die Grünen-Politikerin Kordula Schulz-Asche (picture alliance / dpa / Frank Rumpenhorst)
    Klar sei, dass die Impfquote vor allem bei den Erwachsenen verbessert werden müsse, betonte Kordula Schulz-Asche. Schließlich seien die Masern eine schwere Erkrankung mit ebenso schweren möglichen Nebenwirkungen. Als Ziel nannte sie eine Impfquote von 95 Prozent in allen Altersgruppen.
    Hier sei eine Impfpflicht aber nicht das geeignete Mittel, so die Grünen-Politikerin. Denn während es die Beratungs- und Kontrollsysteme bereits gebe, müsste die Impfpflicht erst eingeführt werden. Außerdem wären zahlreiche Ausnahmeregelungen etwa für durch Krankheiten geschwächte Kinder nötig, bei denen dann wieder geschummelt werden könne.
    Schulz-Asche verwies darauf, dass nur ein Prozent der Eltern Impfungen grundsätzlich ablehnten. "Auf diese Gruppe muss man eingehen, und dafür haben wir genug ausreichende Möglichkeiten, dies zu tun. Man muss es nur tun."
    Impfen aus Solidarität
    Schulz-Asche forderte, bei der Überzeugungsarbeit stärker auf den Solidaritätsgedanken zu setzen: Das Impfen sei nötig, um auch jene zu schützen, die sich nicht impfen lassen könnten.
    Eine Versachlichung der Debatte sei wichtig, so die die Grünen-Politikerin. Dies gelte auch für die Politiker: "Manche versuchen, sich mit dem Thema Impfpflicht in den Vordergrund zu spielen".

    Das Interview in voller Länge
    Peter Kapern: Am Telefon bei uns ist Kordula Schulz-Asche, in der Bundestagsfraktion der Grünen zuständig für Fragen der Gesundheitsprävention. Guten Morgen!
    Kordula Schulz-Asche: Guten Morgen!
    Kapern: Frau Schulz-Asche, Gesundheitsminister Gröhe hält sie nicht für ein Tabu, der Präsident der Berliner Ärztekammer will sie, der Präsident der Bundesärztekammer auch. Also ist es Zeit für eine Impfpflicht in Deutschland?
    Schulz-Asche: Es ist wichtig, dass wir es schaffen, diese Diskussion endlich zu versachlichen und zu sagen, wo sind die Probleme und was sind die geeigneten Maßnahmen, um diese Infektion in den Griff zu bekommen. Masern sind eine schwere Erkrankung, die mit schweren, sehr schweren Nebenwirkungen einhergehen kann. Wir haben die Möglichkeit, diese Krankheit durch eine Impfung zu vermeiden, mit einer zweiten Impfung sicher zu vermeiden, und deswegen muss es unser aller Ziel sein, die Impfquote tatsächlich zu erhöhen.
    Wenn wir uns die Berliner Situation, auf die ja gerade eingegangen wurde, anschauen, dann sehen wir, dass die Hälfte der Erkrankten Erwachsene sind, und ich denke, dass man wirklich sagen kann, alle Erwachsenen, die nicht geimpft sind und die nach 1970 geboren wurden, sollten sich auf jeden Fall impfen lassen.
    "Impfpflicht nicht das geeignete Mittel"
    Auch bei Kindern ist es so: Die Impfung dient zum eigenen Schutz der Kinder. Aber das gilt für Erwachsene und Kinder. Es ist notwendig, auch aus Solidarität gegenüber anderen Menschen, die geschwächt sind, die selber nicht geimpft werden können aus medizinischen Gründen, allein schon aus Solidarität diese Impfung vorzunehmen, denn Masern wie gesagt können zum Tode führen, und von daher sollte man sehen, dass man die Impfquote erhöht. Wir sind nur der Meinung, dass die Impfpflicht dazu nicht das geeignete Mittel ist.
    Kapern: Warum das nicht?
    Schulz-Asche: Wir sehen, dass bei den Schuleingangsuntersuchungen die Impfquote bei Kindern, die eingeschult werden, in den letzten Jahren, also zwischen 2000 und 2013, nach Auskunft des Robert-Koch-Instituts von 91 auf 96,7 Prozent gestiegen ist. Das heißt, die Impfbereitschaft bei Schulkindern hat zugenommen. Das ist ein gutes Zeichen. Wir müssen allerdings sehen: Das Ziel für 2015, dass 95 Prozent in allen Altersgruppen geimpft sind, das werden wir nicht schaffen. Aber darum geht es genau, nämlich dass man jetzt es schafft, die Impfquote so zu fördern, dass man diese 95 Prozent in allen Altersgruppen erreicht.
    Kapern: Frau Schulz-Asche, lassen Sie mich da mal eben zwischenfragen. Ich kann diese Skepsis, was eine Impfpflicht angeht, nicht ganz nachvollziehen. Vielleicht können Sie mich da ja überzeugen. Es gibt in Deutschland eine Pflicht, im Auto den Sicherheitsgurt anzulegen. Es gibt die Pflicht, Winterreifen aufzuziehen. Es gibt die Pflicht, auf der Baustelle Sicherheitsschuhe zu tragen. Warum gibt es keine Impfpflicht?
    Schulz-Asche: Weil natürlich mit Impfungen auch Risiken verbunden sind. Deswegen braucht man eine gute Aufklärung und muss gerade auch Eltern aufklären über die möglichen Risiken.
    Kapern: Sind denn die Risiken größer als die Chancen, Gefahren zu vermeiden?
    Schulz-Asche: Nein. Aber das Entscheidende ist doch, wie man die Eltern oder wie man Menschen davon überzeugt, sich impfen zu lassen und ob man das dadurch macht, dass man sie dazu zwingt oder dass man angepasst an die Fragestellung, die die Personen haben, eine angemessene Beratung macht.
    "Lediglich ein Prozent der Eltern sind Impfgegner"
    Kapern: Wenn man sie zwingt, muss man sie nicht mehr überzeugen.
    Schulz-Asche: Ich weiß nicht, ob Zwang das Richtige ist, weil wie gesagt: Wenn Risiken auftreten können, dann sollten die Menschen darüber informiert werden, und ich weiß nicht, ob der Staat das Recht hat, diese Risiken zu ignorieren. Wir wissen aus Untersuchungen - und das möchte ich jetzt auch gerne zu Ende sagen -, dass ungefähr 64 Prozent der Eltern Impfungen bedenkenlos akzeptieren, dass 35 Prozent nach der Beratung problemlos impfen lassen und dass lediglich ein Prozent der Eltern Impfgegner sind, und wie wir diese Gruppen erreichen, die Skeptiker, die man aber überzeugen kann - und diese ein Prozent, da sind ja sehr viele Gruppen drin von religiösen Überzeugungen bis hin zu Menschen, die auch Angst haben, dass Pharmaunternehmen die Impfempfehlungen beeinflussen -, auf diese Gruppen muss man eingehen und dafür haben wir genug ausreichende Möglichkeiten, dies zu tun. Man muss es nur tun.
    Kapern: Genau auf diese Gruppen rekurrieren auch Gesundheitspolitiker in den Vereinigten Staaten. Dort ist es ja so, dass viele Schulen beispielsweise, Kindergärten Impfungen vorschreiben, zwingend vorschreiben für alle Kinder, die dort hingehen. Es gibt dann Ausnahmen, beispielsweise aus religiösen Motiven, so wie Sie das gerade erläutert haben. Auch in den USA ist eine gravierende Zunahme der Zahl der Masernfälle beobachtet worden und auch dort wird jetzt darüber geredet, diese Impfpflicht lückenlos zu machen, um diese Ausnahmen nicht zum Sicherheitsrisiko für alle werden zu lassen.
    Schulz-Asche: Wir haben in den USA das Problem mit der Tea Party, der Republikaner, die grundsätzlich ablehnen, dass der Staat sich um solche Fragen kümmert. Der Meinung bin ich nicht und ich finde auch, dass man da massiv gegen vorgehen sollte. Es gibt das Recht von Kindern, auch geschützt zu werden, wenn es diese Möglichkeit gibt, und so sollte man auch damit vorgehen.
    Wir sollten nur sehen, dass wir ein gut ausgebautes System von U-Untersuchungen haben, in denen regelmäßig eine Impfberatung stattfindet, in denen auch regelmäßig der Impfstatus geprüft wird. Ich fordere eine zielgruppenspezifische Beratung, das heißt, auch die Eltern, die aus welchen Gründen auch immer Bedenken haben, zu überzeugen und entsprechend auch aufklären zu können, und wir sehen aus der Schweiz aus Untersuchungen, dass gerade die Frage der Solidarität, also eines noch über dem Kind stehenden Solidaritätsgedankens gegenüber anderen Menschen, deren Gefährdung man verhindern kann, dass das durchaus auch dazu führt, dass die Impfbereitschaft steigt.
    Wir haben Probleme oder Nachfragen zur Frage, wie entstehen Impfempfehlungen, welche Interessen stehen dahinter. Da kann man für mehr Transparenz sorgen. Und letztendlich brauchen wir auch öffentliche Gesundheitsdienste, die zum Beispiel auch zu Elternabenden gehen können, die in den Kindergarten gehen können und die Eltern beraten können, die vor allem aber auch in Flüchtlingsunterkünften die Flüchtlinge beraten können, denn der Ausbruch in Berlin ist ja zum großen Teil darauf zurückzuführen, dass durch Flüchtlinge aus Ländern, in denen nicht ausreichend geimpft wurde, die Infektion hierher getragen wurde.
    Impfpflicht sorgt für zusätzliche Probleme
    Kapern: Ziemlich viel Aufwand, Frau Schulz-Asche, um das eine Prozent der Eltern von einer anderen Haltung zu überzeugen. Da wäre eine Impfpflicht doch viel einfacher und kostengünstiger oder müssen wir da nicht aufs Geld achten?
    Schulz-Asche: Nein. Entschuldigen Sie bitte! Die Impfpflicht müsste erst eingeführt werden. Das was ich gerade aufgezählt habe, gibt es alles schon, und von daher geht es darum, dort die Qualität zu verbessern, dort noch mal hinzuschauen, wie man unter Umständen bestimmte Gruppen von Eltern tatsächlich zielgerichtet ansprechen kann und zielgerichtet überzeugen kann.
    Mit einer Impfpflicht haben Sie zusätzliche Probleme. Zum Beispiel: Sie werden wieder Ausnahmeregelungen für bestimmte Gruppen treffen müssen, zum Beispiel für Kinder, die nicht geimpft werden können aufgrund ihrer Immunschwäche, die sie aufgrund von anderen Krankheiten haben. Und ich kann mir gut vorstellen, dass auch da geschummelt wird. Das heißt, die Frage, ob wir am Ende eine höhere Impfquote durch die Impfpflicht haben, würde ich stark bezweifeln.
    Wir haben ein gutes System der Beratung. Wir haben ein gutes System der Kontrolle des Impfstatus. Und ich glaube, wenn man sich auf das stützt, was man bereits hat, dann ist das sehr viel versachlichter in der Diskussion als im Moment, wo verschiedene Politiker versuchen, sich mit dem Thema Impfpflicht in den Vordergrund zu spielen.
    Kapern: ..., sagt Kordula Schulz-Asche, in der Bundestagsfraktion der Grünen zuständig für Fragen der Gesundheitsprävention. Frau Schulz-Asche, danke, dass Sie heute Morgen Zeit für uns hatten. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.
    Schulz-Asche: Ja, gleichfalls. Danke schön. Tschüss!
    Kapern: Auf Wiederhören nach Berlin!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.