Autismus und Impfen
US-Gesundheitsminister jenseits der Wissenschaft

Ein Impfkritiker im Amt: US-Gesundheitsminister Kennedy liegt mit Forschenden im Clinch. Speziell für Autismus hatte er in der Vergangenheit wiederholt Impfungen verantwortlich gemacht. Woher kommt diese widerlegte Theorie und was macht sie so gefährlich?

Von Christopher Weingart |
    Ein alter Mann im Anzug, im Profil zu sehen: US-Gesundheitminister Robert F. Kennedy Jr.
    US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. ist entschiedener Gegner von Impfungen. (picture alliance / USA TODAY / Josh Morgan)
    Am 16. April 2025 lädt US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. zur Pressekonferenz nach Washington D. C.. Es geht unter anderem um die neuen Zahlen zu Autismus. Die, so Kennedy, seien schockierend, er spricht von einer „Epidemie“, vor der man die Kinder „beschützen“ müsste. Und auch der Auslöser sei klar: „Wir wissen, dass es sich um Umweltfaktoren handelt. Gene verursachen keine Epidemien. Wir werden eine neue Serie an Studien starten, die diese Umweltgifte finden und verbieten werden.“
    Bereits seit Jahren hat Kennedy das Thema Autismus in das Zentrum seiner Arbeit gerückt. Was genau er mit „Umweltfaktoren“ meint, hat er in der Vergangenheit immer wieder gezeigt. Beispielsweise 2015, als er meinte, dass Impfungen an Kindern ein „Holocaust“ seien. Außerdem ist er der Meinung, dass Impfungen, genauer, die Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR), Autismus auslösen würden.
    Das ist falsch, erklärt Alycia Halladay, Chefwissenschaftlerin der Autism Science Foundation. „Wir wissen heute, dass es besondere Genmutationen sind, die Autismus hervorrufen. Es gibt zwar Umweltfaktoren wie Luftverschmutzung und Chemikalien, die während der Schwangerschaft auf den Fötus einwirken können, aber Impfungen lösen keinen Autismus aus.“ Auch von einer Epidemie zu sprechen, sei nicht zutreffend. Tatsächlich steigen die Neudiagnosen zwar an, das liege aber daran, dass man nun bessere Möglichkeiten zur Diagnose habe. Es gebe also nicht mehr autistische Menschen, sondern man sei nun lediglich in der Lage, sie zu diagnostizieren.

    Eine gekaufte Studie als Urknall

    Die Idee, dass der MMR-Impfstoff Autismus auslöse, stammt von einem britischen Kinderarzt: Andrew Wakefield. Der hatte 1998 eine Studie mit einer Stichprobe von zwölf Kindern im Fachmagazin „The Lancet" veröffentlicht und behauptet, seitdem bewiesen zu haben, dass die Quecksilberverbindung Thiomersal, die zur Haltbarmachung Impfstoffen zugesetzt wurde, Autismus auslöse. Ein weltweiter Skandal, der dazu führte, dass auch andere Wissenschaftler der Theorie nachgingen. Zum Beispiel in den dänischen Kohortenstudien, die Gesundheitsdaten Hunderttausender dänischer Kinder über Jahrzehnte ausgewertet haben, und zu dem Ergebnis kamen, dass geimpfte Kinder sogar leicht seltener eine Autismusdiagnose erhalten.
    Keine seriöse Studie konnte Wakefields Ergebnisse replizieren und das hat einen bestimmten Grund, erklärt Medizinhistoriker Malte Thießen. „Im Nachhinein wurde aufgedeckt, dass Wakefield von Eltern autistischer Kinder und deren Anwälten finanziert worden ist, um eine Studie zu inszenieren, die den Nachweis liefern soll, dass MMR-Impfstoffe Autismus auslösen. Die Studie war gekauft, das muss man ganz klar so sagen.“
    Trotzdem hält sich Wakefields Theorie bis heute. Einer der wichtigsten Vertreter ist Robert F. Kennedy Jr.. Der berichtet davon, 2005 erstmals auf das Thema aufmerksam geworden zu sein. Damals gehörte Kennedy zu den angesehensten Umweltanwälten der USA, legte sich mit großen Konzernen an, die die Umwelt verschmutzten – zum Beispiel mit Quecksilber.
    „Kennedy hat selbst immer wieder erzählt, dass eines Tages die Mutter eines autistischen Kindes bei ihm im Vorgarten gestanden habe. Sie sei überzeugt gewesen, dass die Impfungen den Autismus ihres Kindes hervorgerufen hätten, und trug einen Stapel von Dokumenten bei sich, die das belegen sollten. Sie habe dann gesagt: "Ich gehe erst wieder, wenn Sie sich diese Dokumente ansehen." So beschreibt es Jonathan Jarry von der McGill Universität im kanadischen Montreal, wo er sich mit dem Problem der Wissenschaftsleugnung beschäftigt. Kennedy habe dann tatsächlich die Unterlagen durchgearbeitet – und sei überzeugt gewesen: Das Quecksilber in den Impfungen habe den Autismus verursacht.

    Kennedy, ein Impfskeptiker oder ein Impfgegner?

    Seitdem inszeniert sich Robert F. Kennedy Jr. als Kämpfer für die Gesundheit von Kindern und die Sicherheit von Impfstoffen. „Deshalb halten ihn viele für einen Impfskeptiker, also für jemanden, der sich nur Sorgen macht", sagt Jarry. "Aber das stimmt nicht. Kennedy ist ein Impfgegner. Er lehnt Impfungen kategorisch ab.“
    Peter Hotez, Virologe und Impfforscher aus Texas, ist derselben Meinung wie Jarry. Er erzählt, dass er 2017 auf Bitten der US-Gesundheitsbehörde CDC ein Jahr lang im Austausch mit Kennedy gestanden habe, weil der durch seine Prominenz immer mehr Eltern davon abbrachte, ihre Kinder impfen zu lassen. Hotez gehört nicht nur zu den führenden Impfexperten des Landes, sondern forscht an günstigen patentfreien Impfstoffen, an denen die von Kennedy verhassten Pharmakonzerne nichts verdienen. Und: Bei Hotez‘ Tochter Rachel wurde ebenfalls Autismus diagnostiziert.
    „Ich habe mir keine großen Hoffnungen gemacht,“ erklärt Virologe Hotez. „Ich habe mein Bestes gegeben, aber die Unterhaltungen waren sehr unproduktiv.“ Kennedy sei schon damals komplett festgefahren gewesen. Wann immer man einen seiner Standpunkte widerlegt habe, habe er sich einen neuen ausgedacht. "Moving the goalposts" nennt man diese manipulative Taktik.
    Eines habe ihn dann aber doch überrascht. „Es gibt ja tatsächlich Umweltfaktoren, Medikamente gegen Epilepsie, die, wenn Frauen sie während der Schwangerschaft einnehmen, Genmutationen beim Fötus auslösen können und im Verdacht stehen, Autismus auszulösen. ‚Bobby‘ habe ich gesagt, damals habe ich ihn noch Bobby genannt, das ist doch genau dein Thema! Darauf solltest du dich stürzen.‘ Doch ihn hat das gar nicht interessiert. Er war zu beschäftigt damit, Impfhersteller zu verklagen. Und da wurde mir klar: Die wirklichen Auslöser von Autismus sind ihm egal.“
    Im Kern handelt es sich beim Glauben an die Verbindung von Autismus und Impfungen um eine Verschwörungserzählung. Die wissenschaftliche Grundlage ist fehlerhaft, aus der Korrelation, dass Autismus häufig etwa zu der Zeit der MMR-Impfungen diagnostiziert wird, wird eine Kausalität konstruiert und jeder Widerspruch ist Teil der Verschwörung. Die sich als aufgeklärt sehenden Impfkritiker werfen Forschenden vor, korrupt zu sein und zudem von staatlichen Stellen gedeckt zu werden. Doch damit sei nun Schluss, erklärt Kennedy.

    Alternativmediziner ersetzen Wissenschaftler

    Im April 2025 berichtet das „Wall Street Journal“ davon, dass Kennedy von Peter Marks, dem Direktor für Impfsicherheit der Medikamentenbehörde FDA, verlangt habe, Daten vorzulegen, die beweisen, dass MMR-Impfungen Hirnschwellungen und sogar Todesfälle verursacht hätten. Marks antwortet: Diese Daten existieren nicht. Daraufhin wird er zum Rücktritt gezwungen und ersetzt. „Jetzt soll David Geier die Gesundheitsdatenbanken der USA durchgehen und nach einer Verbindung von Autismus und Impfungen suchen. Und wenn man die Daten nur lange genug verrenkt, wird man irgendetwas finden, was die Meinung stützt, die man schon vorher hatte und nur beweisen will“, erklärt Jonathan Jarry.
    David Geier ist kein Unbekannter. 2011 wird er zu einer Strafe von 10.000 US-Dollar verurteilt, weil er ohne ärztliche Approbation im US-Bundesstaat Maryland Kinder mit Autismus mit Lupron behandelt hat: einem Hormonblocker, der zur chemischen Kastration eingesetzt wird. Jetzt soll David Geier beweisen, was Kennedy und er ohnehin schon glauben: dass MMR-Impfungen Autismus auslösen. Bis September 2025 kenne man die Ursache von Autismus, hat Kennedy verkündet.
    Was bedeutet das für die USA? Zunächst einmal, dass das Gesundheitsministerium nun fest in Händen von Impfgegnern ist. Das hat auch direkte Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit. Derzeit grassiert eine Masernepidemie in den USA, besonders in Texas. Erstmals seit zehn Jahren gab es wieder Maserntote zu vermelden, zwei ungeimpfte Grundschulkinder und ein ungeimpfter Mann aus New Mexico. „Es steht außer Frage, dass dieser Masernausbruch durch die gesunkene Impfquote hervorgerufen wurde“, erklärt Holden Thorp, Chefredakteur des Wissenschaftsmagazins „Science“. „Und ich vermute, dass solche Ausbrüche häufiger werden.“
    Zwar hat Kennedy zuletzt zögerlich Eltern empfohlen, ihre Kinder mit dem MMR-Vakzin impfen zu lassen, gleichzeitig aber immer wieder Desinformation zum Impfstoff verbreitet: Der sei nie auf seine Sicherheit getestet worden, der Impfschutz nehme rasant ab, und – natürlich – es gebe schwerwiegende Impffolgen. Dafür empfiehlt Kennedy alternative Behandlungsweisen. „Ich glaube aber nicht, dass Fischöl und Vitamin A, was Kennedy als Behandlung vorgeschlagen hat, in Studien diesen Effekt zeigen können", meint Holden Thorp, "aber es wird jetzt mehr in diese Richtung geforscht werden."
    Am Beispiel Autismus und Impfungen zeigt sich die Haltung der neuen US-Regierung zu Wissenschaft und Forschung. An ihre Stelle solle nun eine Art der Pseudowissenschaft gesetzt werden, erklärt Jonathan Jarry. Peter Hotez fürchtet: „Die Masern sind nur der Anfang, weil sie sich so gut übertragen. Aber wenn die Entwicklung so weitergeht, werden auch andere Krankheiten zurückkehren, die eigentlich durch Impfungen vermieden werden können, so wie Keuchhusten und die Kinderlähmung.“

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