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In Berlin entsteht ein Hindu-Tempel
Stahl stört die Konzentration

Im Berliner Stadtteil Neukölln wird ein Hindu-Tempel gebaut – und das schon seit zehn Jahren. Mal fehlten Gelder, mal Gutachten, ein Priester wird auch noch gesucht. Doch schneller als der Flughafen BER werden sie trotzdem fertig, scherzen die Bauherren.

Von Anna Marie Goretzki | 16.03.2020
Abendliche Puja im provisorischen Übergangstempel
Für die Zeit der Bauarbeiten findet die abendliche Puja in einem provisorischen Übergangstempel statt (Deutschlandradio / Anna Marie Goretzki)
Berlin-Neukölln, am Rande des Volksparks Hasenheide: Mit schnellen Schritten steuert Vilwanathan Krishnamurthy durch Pfützen und Matsch auf den Sri Ganesha Hindu Tempel zu. Kalter Wind treibt Regenwolken tief über die zwei Rohbauten. Überall stehen Baugerüste, unverbaute Poroton-Steine stapeln sich. Die Bauarbeiten ruhen.
Vilwanathan Krishnamurthy aber, einer der Bauherren und Pressesprecher des Sri Ganesha Hindu Tempel Vereins, schaut mit strahlenden Augen hinauf zum 18 Meter hohen Tempelturm in Pyramidenform. So als würde der Stapati, der Tempel-Bauer, dort oben gerade ein neues Götterbild formen: "Daran sieht man wirklich eine künstlerische Arbeit. Es geht um die ganzen Meisterwerke. Man sitzt oben und modelliert ohne Zeichnungen. Das ist eine Begabung. Stapati nennt man den. Der sitzt und programmiert, welche Götter in welche Richtung kommen sollen."
Symbolisches Flurstück
Die Tempel-Künstler reisen extra aus Indien an. Wenn es wärmer wird, gehen die Modellierungen der Götter-Figuren weiter. Eine Besonderheit dieses Berliner Hindu-Tempels ist - so Krishnamurthy -, dass am Rajagopuram, dem Tempelturm, ausschließlich Götter dargestellt sein werden. Statt wie in Indien üblich auch Heilige und menschliche Figuren.
Der Architekt Govindan Ravishankar entschied sich für dieses Alleinstellungsmerkmal, sagt Krishnamurthy: "Architektonische Freiheit. Er will sagen: für ihn ist es eine große Ehre, einen Tempel zu bauen in Deutschland und weltweit zu zeigen, dass in Berlin ein besonderer Tempel gebaut ist."
Vilwanathan Krishnamurthy, einer der Bauherrn, beim Besuch der Baustelledes entstehenden Hindu-Tempels in Berlin
Vilwanathan Krishnamurthy, einer der Bauherrn, beim Besuch der Baustelle (Deutschlandradio / Anna Marie Goretzki)
Wird in Indien ein Tempel errichtet, spielen für die Auswahl des Bauplatzes drei wesentliche Kriterien eine Rolle: Es muss ein Ort sein, der eine Beziehung zwischen der Stadt und dem Tempel ermöglicht, der in der Nähe eines Gewässers liegt und der astrologisch bedeutsam ist.
Bei der Bauplatzwahl in Berlin konnte diese Voraussetzungen nicht alle berücksichtigt werden. Stattdessen bestimmten Glück und Zufall den Bauplatz auf dem Flurstück mit der Nummer 108. "Das ist für uns ein Omen. Die Zahl neun ist sehr wichtig im Hinduismus. Eins plus acht ist neun. Und diesen Platz haben wir sofort gewählt. Wir haben ja 108 Flüsse in Indien, also Flüsse sind heilig. Und wir haben 18 Puranas, also über Götter geschriebene Bücher. Dadurch ist die Nummer neun für uns sehr wichtig."
Deutsche Bauvorschriften stören die Meditation
2009 starteten die Bauarbeiten. Doch immer wieder kam es zu Verzögerungen. Mal ließen Baugutachten auf sich warten, mal flossen Spendengelder nicht so schnell wie erhofft.
Selbstironisch begannen die Bauherren des Hindutempels, eine Parallele zum Bau des Berliner Großflughafens zu ziehen, dessen Eröffnung sich auch immer weiter verschoben hat. "Also wir haben damals immer im Scherz gesagt: Wir wollen einen Tag vor dem Berliner Flughafen eröffnen, und wir halten uns daran."
Geplanter neuer Eröffnungstermin des Flughafens ist der 31. Oktober 2020. Die Einweihung des Tempels soll in der letzten Oktoberwoche stattfinden, also kurz vor dem Flughafen.
Bis dahin scheint aber noch einiges zu tun zu sein. Noch ragen überall Baustahlstangen aus dem Betonboden des zentralen Tempelgebäudes. Dabei stört nach hinduistischem Verständnis Stahl die Meditationsruhe. Aber nach deutschen Bauvorschriften ist dieser unvermeidbar.
"Ein Tempel soll dazu dienen, wenn sie rein kommen, im gesamten Körper soll Konzentration stattfinden. Wenn es Eisenteile im Tempel gibt, gibt es Störungen. Das ist ein Unterschied. In Indien wird nur mit reinem Naturstein gebaut. Dadurch gibt es keine Eisenteile, die die magnetischen Kräfte stören." Der Bauherr betont, dass die Konzentrationsfähigkeit beim Besuch des Berliner Tempels besonders gefordert sein wird, um innere Ruhe zu erlangen.
Ganesha und das Berliner Bildungswesen
Krishnamurthy weist auf die Mitte und in die vier Ecken des Gebäudes - dort werden die Götterstatuen ihre Plätze finden, die gerade in Indien aus Stein gemeißelt werden.
Unerlässlich sind sie für das Tempelinnere: "In die Mitte kommt Gott Ganesha, dann kommt sein Vater Gott Shiva hier und rechte Seite hier seine Mutter, Göttin Shakti. Und linke Seite sein Onkel Vishnu und an die rechte Seite kommt sein Bruder Kartikeya. Dieser Tempel ist ja Gott Ganesha gewidmet. Als die Pisa-Studie in Berlin so schlecht war, da haben wir gedacht, wenn Ganesha hierher kommt, vielleicht bringt er Glück nach Berlin. Er ist ja zuständig für Bildung, dass er auch das Bildungswesen verbessern kann. Man glaubt daran."
Der Eingangsturm des entstehenden Hindu-Tempels in Berlin
Die Baustelle des Sri Ganesha Hindu-Tempels in der Berliner Hasenheide (Deutschlandradio / Anna Marie Goretzki)
Bis zu 150 Gläubige sollen gleichzeitig im Tempel Platz finden können. Andrang wird es wohl vor allem an besonderen Hindu-Feiertagen geben. Die hinduistische Gemeinde in Berlin wächst stetig.
Wachsende hinduistische Gemeinde in Berlin
Vor allem junge IT-Fachkräfte ziehen aus Indien zu. Auch sie wollen ihre Religion in der deutschen Hauptstadt leben. Aber - das betont Vilwanathan Krishnamurthy - der Tempel wird allen Interessierten offenstehen: "In diesem Tempel werden alle herzlich willkommen sein. Wir müssen andere Menschen respektieren. Wenn wir andere respektieren, bekommt man Akzeptanz."
Und von Akzeptanz ist der Tempel abhängig. Denn er steht auf heißem Pflaster. Der Volkspark Hasenheide ist bekannt als zentraler Ort des Berliner Drogenhandels. Mit Sicherheit eine Herausforderung für den Priester, der hauptberuflich im Tempel arbeiten soll.
Noch sucht der Verein einen Priester, der die Berufsanforderungen erfüllt: Bereitschaft, für mindestens drei Jahre in Deutschland zu leben, und fließend mehrere indische Sprachen sowie Englisch zu sprechen.
Bis der Priester gefunden und der Tempel eröffnet ist, gehen die täglichen Pujas in einem provisorischen Tempel weiter. Ein ehrenamtlicher Priester leitet die Gottesdienste am Abend in einer Halle direkt hinter der Tempel-Baustelle.
In einem kleinen Schrein sitzt verziert mit Blumengirlanden der Elefantengott Ganesha. Ein reges Kommen und Gehen mehrheitlich junger Menschen. Mit Vorfreude sehen sie der Eröffnung des neuen Tempels entgegen: Sie sei sehr stolz, dass sie anderen Indern sagen könne, dass es in Berlin einen Hindu-Tempel gibt, meint diese Besucherin. Und ein anderer Gläubiger sagt: In diesem Tempel fühlt er sich, als wäre er zu Hause.