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Indiens erster Ministerpräsident
Vor 50 Jahren starb Jawaharlal Nehru

Jawaharlal Nehru war enger Weggefährte Gandhis und erster Premierminister Indiens. Die geistigen Väter der heutigen Machthaber der hindunationalistischen Indischen Volkspartei BJP waren seine politischen Gegner. Am 27. Mai 1964 starb der Anhänger sozialistischer Ideale.

Von Gerhard Klas | 27.05.2014
    Der frühere indische Ministerpräsident Jawaharlal Nehru – aufgenommen am 3. März 1959.
    Der frühere Ministerpräsident Jawaharlal Nehru 1959. (picture alliance / Homai Vyarawalla)
    Wenn es Mitternacht schlage und der Rest der Welt schlafe, werde Indien zum Leben und zur Freiheit erwachen. Mit diesen Worten leitete Jawaharlal Nehru vor der verfassungsgebenden Versammlung in Neu Delhi eine neue Epoche in der Geschichte seines Landes ein: die Unabhängigkeit von der britischen Kolonialherrschaft. An diesem 15. August 1947 trat Nehru sein Amt als erster Premierminister an.
    Jetzt sei der seltene historische Moment gekommen, so Nehru, in dem man von einem alten in ein neues Zeitalter schreite und die lange unterdrückte Seele der Nation sich endlich entfalten könne. Zusammen mit Mahatma Gandhi hatte Nehru Jahrzehnte lang das Gesicht der indischen Unabhängigkeitsbewegung geprägt. Für seinen Widerstand gegen die Kolonialmacht war er immer wieder festgenommen und mehrere Jahre inhaftiert worden. Doch während Nehru stolz den Höhepunkt seiner politischen Karriere beging, sah Gandhi keinen Grund zu feiern, denn die Unabhängigkeit hatte einen hohen Blutzoll gefordert. Hindus und Muslime hatten sich überall auf dem Subkontinent mit hasserfüllter Gewalt bekämpft. Eine Million Menschen kamen dabei ums Leben, mehr als zehn Millionen waren betroffen von Umsiedlung, Vertreibung und Flucht.
    Verfechter sozialistischer Ideale
    Nehru hatte die Teilung des Kolonialreiches in zwei unabhängige Staaten, ein mehrheitlich hinduistisches Indien und ein muslimisches Pakistan, nicht verhindern können. Die Feindschaft zwischen Hindus und Muslimen war für ihn eine Folge der alten Kolonialpolitik des "Teile und Herrsche": Die Briten hatten die Religionsgemeinschaften gegeneinander ausgespielt, um ihre eigene Macht zu festigen.
    Doch für Nehru, den britisch erzogenen Agnostiker, zählte vor allem der Blick nach vorne. 1889 als Sohn eines Rechtsanwaltes geboren, hatte er in Cambridge und London Natur- und Rechtswissenschaften studiert. Er war begeisterter Anhänger des technischen Fortschritts in Europa und ein Verfechter sozialistischer Ideale.
    Während seiner Amtszeit als Premierminister kümmerte sich Nehru nicht nur um die Belange Indiens, sondern mischte sich als Begründer der Bewegung der Blockfreien Staaten auch in die internationale Politik ein. Zusammen mit dem jugoslawischen Präsidenten Tito und dem ägyptischen Staatschef Nasser plädierte er für eine friedliche Koexistenz und Abrüstung. Nehru kritisierte die Niederschlagung des ungarischen Aufstands durch die Sowjetunion 1956 ebenso wie die Unterdrückung antikolonialer Befreiungskämpfe in der "Dritten Welt" durch den westlichen Imperialismus. Besonders bemühte er sich um die Gunst des maoistischen China, das er quasi als natürlichen Verbündeten ansah. Umso größer war die Enttäuschung Nehrus, als es wegen Grenzstreitigkeiten mit China 1962 zum Krieg kam, der für die indische Armee mit einem militärischen Debakel endete.
    "Vielleicht waren wir zu naiv und hielten den Frieden für selbstverständlich. Aber der Friede ist nicht selbstverständlich, er verlangt von uns stets aufmerksam zu sein und stark und bereit zu entsagen. Was auch immer uns noch bevorstehen mag, ich möchte, dass wir erhobenen Hauptes und mit Zuversicht auf die große Zukunft vertrauen, die unser Land erwartet. Lang lebe Indien."
    In den darauffolgenden Jahren verschlechterte sich Nehrus gesundheitlicher Zustand. Seine Regierung sah sich lauter werdender Kritik ausgesetzt, unter anderem wegen Korruption und Nepotismus. 17 Jahre lang war er an der Macht, so lange wie kein anderer indischer Premierminister nach ihm. Der ihm eigene Optimismus, den er sich bis zum Schluss bewahrte, tritt auch in einer Reportage über seine letzte Pressekonferenz, die er kurz vor seinem Tod am 27. Mai 1964 gab, deutlich hervor.
    "Meine Lebenszeit geht so bald nicht zu Ende, waren Nehrus letzte Worte an uns. Fünf Tage später trug man den Toten, von ungezählten Millionen Menschen betrauert, vor die Tore der Hauptstadt, wo seine sterblichen Überreste in unmittelbarer Nachbarschaft der Verbrennungsstätte Mahatma Gandhis eingeäschert wurden. Das Feuer der Sandelholzscheite, in denen Nehrus körperliche Hülle verging, ist verglüht. Aber das Feuer, das sein Geist in Indien entzündet hat, wird noch jahrhundertelang weiterleuchten und Indiens Weg in die Zukunft erhellen."