Dienstag, 14. Mai 2024

Archiv


Inmitten der Terrorhysterie

Die Dokumentarfilmerin Marita Neher beschäftigt sich seit Langem mit Sicherheitspolitik. In ihrem Film "Freiheit oder Sicherheit" aus dem Jahr 2011 hat sie Antiterrormaßnahmen nach 9/11 zusammenfasst. Ihre Recherchen hat sie nun aktualisiert und in einem Buch veröffentlicht.

Von Daniel Blum | 05.08.2013
    "Also für mich geht Sicherheit immer auf Kosten von Freiheit. Denn je höher die Sicherheit ist, desto geringer ist unsere Freiheit. Das müssen wir uns immer wieder deutlich machen. Denn wie müssen wir uns das denn dann vorstellen: diese Sicherheit. Ist das dann nicht wie in einem großen Gefängnis – total sicher, aber eben auch total überwacht?"

    So fragt Marita Neher. Zusammen mit ihrem Kollegen Niels Bökamp hatte sie den Film "Freiheit oder Sicherheit" gedreht und dafür viele Interviews geführt, mit Behördenvertretern, kritischen Beobachtern und vor allem mit Betroffenen. Menschen aus dem In- und Ausland, die von Behörden des Terrors verdächtigt und eingesperrt wurden. Längere Ausschnitte aus diesen Gesprächen hat Neher jetzt auch in ihr Buch eingebettet. Hinzu kommen drei neue Interviews, die die Autorin erst nach der Veröffentlichung des Filmes geführt hat. Sie schreibt:

    Mehr als einmal mochte ich kaum glauben, dass sich die von Terrorverdächtigen erlebten Geschichten in Europa zugetragen hatten. Zwar war mir klar, dass man schon mal versehentlich den "Falschen" verhaften kann. Ich glaubte aber fest daran, dass ein Mensch so lange als unschuldig gilt, bis das Gegenteil bewiesen ist. Doch dieses Prinzip gilt offenbar nur für "normale" Kriminelle, für potentielle Terroristen gilt es nicht. Unter Umständen muss ein Terror-Verdächtiger wochen-, monate-, jahrelange Einzelhaft erdulden, bis ihm der Prozess gemacht wird. Seine Persönlichkeit, sein Berufs- und Familienleben und seine Ehre sind ruiniert.

    Höhepunkte des Buches sind die Interviews mit Bürgern, die Opfer der staatlichen Hatz auf vermeintliche Terroristen wurden. Wie zum Beispiel die beiden Studenten Rizwaan Sabir und sein Freund Hicham Yeeza. Sabir studierte an der Universität von Nottingham in Großbritannien und forschte dort unter anderem über Terroristen. Für seine Dissertation über deren militärische Taktiken lud er von der Internetseite des amerikanischen Justizministeriums das offen zugängliche Handbuch der Al-Kaida herunter und schickte es in Kopie auch an seinen Freund Hicham. Daraufhin wurden beide verdächtigt, einen Terroranschlag vorzubereiten, und 2008 von den englischen Behörden verhaftet. Die Verfahren gegen sie wurden bald wieder eingestellt. Der Engländer Sabir kam mit sechs Tagen Untersuchungshaft davon. Yeeza hingegen blieb ein halbes Jahr in Haft, die Polizei versuchte, ihn in sein Geburtsland Algerien abzuschieben. Nach einem zweijährigen Rechtsstreit mussten die Behörden schließlich nachgeben, Yeeza darf in Großbritannien bleiben.

    Dass (...) auch Unschuldige ins Netz der Anti-Terror-Fahnder geraten können, erscheint nahezu unvermeidlich, als ein womöglich notwendiges Übel, denn "wo gehobelt wird", fallen bekanntlich Späne. Da die allermeisten Menschen keinerlei Terrorpläne hegen und entsprechend davon ausgehen, dass man sie dessen auch nicht verdächtigen wird, glauben sie, vor falschen Anschuldigungen gefeit zu sein – nach dem Motto: "Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten." Aber das kann sich schnell als verhängnisvoller Irrtum erweisen.

    Wie bei dem Deutschen Andrej Holm. Der Berliner war als kritischer Sozialwissenschaftler vielfach politisch aktiv geworden und hatte dadurch einen großen Bekanntenkreis, zu dem auch drei Männer gehörten, die als Mitglieder der so genannten Militanten Gruppe versucht hatten, drei Lastwagen der Bundeswehr in Brandenburg an der Havel anzuzünden. Das Bundeskriminalamt vermutete dahinter eine Terrorzelle und verdächtigte Holm, deren Mitglied, vielleicht sogar Kopf zu sein, und ließ ihn 2007 für drei Wochen inhaftieren. Zu Unrecht: Das Verfahren gegen ihn wurde eingestellt. In den Akten hatten die Ermittler notiert, verdächtig sei unter anderem, dass Holm regelmäßig Bibliotheken besuche und intellektuell fähig sei, die akademisch klingenden Texte der Militanten zu verfassen. Außerdem habe der promovierte Stadtsoziologe in seinen Veröffentlichungen Schlagwörter wie Gentrifizierung benutzt, die auch die militanten Zündler im Munde führten.

    "Dass morgens die Tür aufgebrochen wird, eine maskierte Einheit von zehn mit Maschinengewehren bewaffneten Polizisten die Wohnung stürmen, die Familie fesseln, die Mutter auf den Boden schmeißen, man wird stundenlang verhört, man kommt eine Woche lang in Untersuchungshaft, dann ist das einfach ganz erschreckend. Also wenn man das erzählt bekommt, direkt von jemandem, dann ist das etwas ganz anderes, als wenn ich das irgendwo in der Zeitung lese, dass jemand verhaftet worden ist und dass eben auch Leben zerstört werden im Sinne der Sicherheit."

    Schreiben gute Filmemacher auch gute Bücher? In diesem Falle: ja und nein. Kristallisationspunkte des Buches sind die Interviews, die Neher vorzugsweise wörtlich in großen Blöcken einbindet. Das ist in gedruckter Form nicht gerade lesefreundlich. Hier merkt man, dass die Autorin aus dem Filmgeschäft kommt und es für sie ungewohnt ist, als Printautorin zu arbeiten. Wünschenswert wäre gewesen, wenn sie das Interviewmaterial aufwendiger aufgearbeitet hätte. Auch ist bei den zitierten Aussagen mitunter nicht nachvollziehbar, ob Neher sie auf ihre Faktentreue überprüft hat. Manche Gesprächsausschnitte lassen den Leser daher ein wenig ratlos zurück.

    Lobenswert ist aber, dass die Autorin ansonsten ihre Recherchen und deren Bewertungen stilistisch klar vorträgt und gut verdichtet. Allerdings: Wer regelmäßig die Presse und Internetmedien verfolgt, wird aus diesem Buch kaum etwas Neues erfahren. Gerade deswegen ist dieser Titel wohl vor allem solchen Lesern zu empfehlen, die in das Thema einsteigen möchten: Sie erhalten eine inhaltlich vielfältige Zusammenfassung dessen, was in der aufgeklärten Medienöffentlichkeit zu diesem Thema bekannt ist. Die Interviews mit den Betroffenen berühren und illustrieren nachdrücklich, wie leicht und zufällig es geschehen kann, dass man in Zeiten allgemeiner Terrorhysterie als Unschuldiger beschuldigt werden kann.


    Marita Neher: "Albtraum Sicherheit. Interessen und Geschäfte hinter der Sicherheitspolitik"
    S. Fischer Verlag, 240 Seiten, 14,99 Euro
    ISBN: 978-3-100-53705-8