Burkhard Müller-Ullrich: Die Stadtplanungsmoden kommen und gehen, aber die Menschen müssen ein paar Generationen lang mit dem jeweils Gebauten leben. Mal ist Abriss Trumpf und der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt, dann entstehen sozialutopische Kopfgeburten, in denen die Selbstmordrate auf astronomische Werte steigt, mal möchte man eine märchentraumhaft gute alte Zeit zurückhaben und setzt Kitsch-Bauernhäuschen in die Industrielandschaft. In der Evangelischen Akademie Loccum wird heute und morgen über das Aussehen unserer Innenstädte debattiert; mit dabei ist Christa Reicher, Architektur- und Stadtplanungsprofessorin an der TU Dortmund, und vielleicht fangen wir mal mit dem Wandel an: Vor 30, 40, 50 Jahren leerten sich ja die Innenstädte, die Leute wollten ins Grüne, an die Peripherie. Nun ist der Traum vom Häuschen im Grünen natürlich noch lange nicht ausgeträumt, aber die Innenstadtlagen sind attraktiver denn je. Frau Reicher, was erwarten wir denn heute von einer Innenstadt?
Christa Reicher: Na ja, wir erwarten vieles von einer Innenstadt. Wir erwarten auf der einen Seite, dass die Innenstadt das räumische Zentrum ist, also quasi der räumliche Nucleus einer Stadt; wir erwarten aber genauso, dass die Innenstadt kulturelles Zentrum und auch Ort des Handels und der Dienstleistung ist. Und zugleich erwarten wir heute mehr denn je, dass das Zentrum auch ein Wohnstandort ist. Also wir konzentrieren viele Erwartungen auf unsere Innenstädte und wir sehen eben, dass gerade die Innenstädte wieder im Fokus der politischen, der architektonischen und auch gesellschaftlichen Diskussionen stehen, und verbinden damit auch eine Menge an Widersprüchen, für die wir eigentlich noch gar keine Lösung haben.
Müller-Ullrich: Jetzt heißt die Tagung ja "Konstruktion und Rekonstruktion". Zunächst mal: man ist ein bisschen eingeengt mit beidem, Konstruktion und Rekonstruktion, weil so wahnsinnig viel Gestaltungsspielraum ist da ja nicht, man muss immer mit dem vorhandenen Platz erst mal umgehen.
Reicher: Genau. Die Innenstädte sind ja in großen Teilen gebaut. Das heißt, wir haben eine Auseinandersetzung mit der Vitalisierung des Bestandes zu führen, und in dem Zusammenhang spielt natürlich heute die historische Bausubstanz eine zunehmend große Rolle, denn wir merken, dass es eine ganz große Sehnsucht nach dem Bestehenden, nach der historischen Architektur, nach dem historischen Baubestand gibt. Und da gibt es natürlich viele Erklärungsversuche dazu und ich glaube, es hat auch etwas damit zu tun, dass wir zunehmend durch unsere neuen Medien, durch die Überforderung, durch neue Technologien auch überfordert sind und daraus auch eine Sehnsucht, einen Wunsch nach bleibenden Werten, nach bleibenden historischen Räumen entwickeln.
Müller-Ullrich: Und wie kann man dieser Sehnsucht jetzt entsprechen? Architektur hat ja immer was mit Materialien und Formen zu tun.
Reicher: Ja. Also ich glaube, wir haben aus der Geschichte gelernt, dass wir heute auch wieder Bauten und Stadträume entwerfen müssen, die Atmosphären, spezifische Atmosphären schaffen und die auch die Emotionen von uns Menschen ansprechen. In einer gewissen Phase der Stadtentwicklung und auch des Städtebaus haben wir zu stark neutrale akademische Räume entworfen und geschaffen, und von daher, glaube ich, müssen wir uns mit einer neuen atmosphärischen Dimension von Stadträumen auseinandersetzen.
Müller-Ullrich: Das wurde ja verlacht vor einiger Zeit von Architekten, diese Rekonstruktion von ursprünglichen Häuschen, ich denke an die Frankfurter Innenstadt, die Altstadt da um den Römerberg herum, aber auch an anderen Stellen, Stadtschloss in Berlin, auch lustig, jetzt wieder als Betongerippe neu erstanden.
Reiche: Also ich meine nicht damit, dass wir jetzt nur rekonstruieren müssen. Aber ich meine, dass die augenblickliche Diskussion uns zeigt, wie wichtig Atmosphären sind und dass wir auch aufgerufen sind, neue Architekturen zu schaffen, die genau das als Sehnsuchtsbild bedienen. Also ich denke, an der einen oder anderen Stelle kann es auch richtig sein, etwas wiederherzustellen, gerade wenn es sozusagen die Bürgerschaft initiiert und auch weitertreibt. Aber das, was jetzt passiert, ist eigentlich eine Aufforderung an uns Architekten, Stadtplaner und Städtebauer, uns auf den Weg zu machen, Räume zu schaffen, die den menschlichen Maßstab bedienen, Gebäude zu entwickeln, die zeitgemäß sind und zugleich den Bestand respektieren, und die ganz spezifische Qualitäten und Atmosphären schaffen.
Müller-Ullrich: Könnte ich mal ein Beispiel hören, nur ein Beispiel, was das konkret bedeutet, auf den Weg machen? Ich meine, über die Ziele sind sich wahrscheinlich alle einig.
Reicher: Das bedeutet, dass unser Handeln, also das, was wir im Prinzip heute machen, sich einfügen muss. Das heißt, es muss den historischen Bestand bedienen und sich mit dem auseinandersetzen, es darf aber ruhig auch als Gebäude aus dem Jahre 2012 oder 13 erkennbar sein. Aber wir haben ja eine Zeit lang sozusagen architektonische Statements propagiert, und ich würde einfach für etwas mehr Zurückhaltung und weniger sozusagen das architektonische Statement plädieren als vielmehr das Bescheidene einfügen und das auseinandersetzen mit dem Stadtraum.
Müller-Ullrich: Vielen Dank für die Auskünfte über die Tagung in der Evangelischen Akademie Loccum – es geht um "Konstruktion und Rekonstruktion". Wie sollen unsere Innenstädte aussehen? Das ist das Thema, und Auskunft gab uns Christa Reicher, Architektur- und Stadtplanungsprofessorin an der TU Dortmund.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Christa Reicher: Na ja, wir erwarten vieles von einer Innenstadt. Wir erwarten auf der einen Seite, dass die Innenstadt das räumische Zentrum ist, also quasi der räumliche Nucleus einer Stadt; wir erwarten aber genauso, dass die Innenstadt kulturelles Zentrum und auch Ort des Handels und der Dienstleistung ist. Und zugleich erwarten wir heute mehr denn je, dass das Zentrum auch ein Wohnstandort ist. Also wir konzentrieren viele Erwartungen auf unsere Innenstädte und wir sehen eben, dass gerade die Innenstädte wieder im Fokus der politischen, der architektonischen und auch gesellschaftlichen Diskussionen stehen, und verbinden damit auch eine Menge an Widersprüchen, für die wir eigentlich noch gar keine Lösung haben.
Müller-Ullrich: Jetzt heißt die Tagung ja "Konstruktion und Rekonstruktion". Zunächst mal: man ist ein bisschen eingeengt mit beidem, Konstruktion und Rekonstruktion, weil so wahnsinnig viel Gestaltungsspielraum ist da ja nicht, man muss immer mit dem vorhandenen Platz erst mal umgehen.
Reicher: Genau. Die Innenstädte sind ja in großen Teilen gebaut. Das heißt, wir haben eine Auseinandersetzung mit der Vitalisierung des Bestandes zu führen, und in dem Zusammenhang spielt natürlich heute die historische Bausubstanz eine zunehmend große Rolle, denn wir merken, dass es eine ganz große Sehnsucht nach dem Bestehenden, nach der historischen Architektur, nach dem historischen Baubestand gibt. Und da gibt es natürlich viele Erklärungsversuche dazu und ich glaube, es hat auch etwas damit zu tun, dass wir zunehmend durch unsere neuen Medien, durch die Überforderung, durch neue Technologien auch überfordert sind und daraus auch eine Sehnsucht, einen Wunsch nach bleibenden Werten, nach bleibenden historischen Räumen entwickeln.
Müller-Ullrich: Und wie kann man dieser Sehnsucht jetzt entsprechen? Architektur hat ja immer was mit Materialien und Formen zu tun.
Reicher: Ja. Also ich glaube, wir haben aus der Geschichte gelernt, dass wir heute auch wieder Bauten und Stadträume entwerfen müssen, die Atmosphären, spezifische Atmosphären schaffen und die auch die Emotionen von uns Menschen ansprechen. In einer gewissen Phase der Stadtentwicklung und auch des Städtebaus haben wir zu stark neutrale akademische Räume entworfen und geschaffen, und von daher, glaube ich, müssen wir uns mit einer neuen atmosphärischen Dimension von Stadträumen auseinandersetzen.
Müller-Ullrich: Das wurde ja verlacht vor einiger Zeit von Architekten, diese Rekonstruktion von ursprünglichen Häuschen, ich denke an die Frankfurter Innenstadt, die Altstadt da um den Römerberg herum, aber auch an anderen Stellen, Stadtschloss in Berlin, auch lustig, jetzt wieder als Betongerippe neu erstanden.
Reiche: Also ich meine nicht damit, dass wir jetzt nur rekonstruieren müssen. Aber ich meine, dass die augenblickliche Diskussion uns zeigt, wie wichtig Atmosphären sind und dass wir auch aufgerufen sind, neue Architekturen zu schaffen, die genau das als Sehnsuchtsbild bedienen. Also ich denke, an der einen oder anderen Stelle kann es auch richtig sein, etwas wiederherzustellen, gerade wenn es sozusagen die Bürgerschaft initiiert und auch weitertreibt. Aber das, was jetzt passiert, ist eigentlich eine Aufforderung an uns Architekten, Stadtplaner und Städtebauer, uns auf den Weg zu machen, Räume zu schaffen, die den menschlichen Maßstab bedienen, Gebäude zu entwickeln, die zeitgemäß sind und zugleich den Bestand respektieren, und die ganz spezifische Qualitäten und Atmosphären schaffen.
Müller-Ullrich: Könnte ich mal ein Beispiel hören, nur ein Beispiel, was das konkret bedeutet, auf den Weg machen? Ich meine, über die Ziele sind sich wahrscheinlich alle einig.
Reicher: Das bedeutet, dass unser Handeln, also das, was wir im Prinzip heute machen, sich einfügen muss. Das heißt, es muss den historischen Bestand bedienen und sich mit dem auseinandersetzen, es darf aber ruhig auch als Gebäude aus dem Jahre 2012 oder 13 erkennbar sein. Aber wir haben ja eine Zeit lang sozusagen architektonische Statements propagiert, und ich würde einfach für etwas mehr Zurückhaltung und weniger sozusagen das architektonische Statement plädieren als vielmehr das Bescheidene einfügen und das auseinandersetzen mit dem Stadtraum.
Müller-Ullrich: Vielen Dank für die Auskünfte über die Tagung in der Evangelischen Akademie Loccum – es geht um "Konstruktion und Rekonstruktion". Wie sollen unsere Innenstädte aussehen? Das ist das Thema, und Auskunft gab uns Christa Reicher, Architektur- und Stadtplanungsprofessorin an der TU Dortmund.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.