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Ins Zentrum des Bebens

Geologie. – Die kalifornische San-Andreas-Verwerfung ist vermutlich eine der aktivsten Bebenzonen der Welt – und sicherlich gehört sie zu denjenigen, bei denen Beben den größten materiellen Schaden anrichten können. Um besser zu verstehen, was sich im Untergrund tut, bohren Geologen im Rahmen des internationalen kontinentalen Bohrprogramms ICDP mehr als drei Kilometer tief mitten in die Störung hinein.

Von Dagmar Röhrlich | 25.08.2005
    Sie zielen direkt ins "Herz" der Erdbeben: Mehr als drei Kilometer tief haben die Seismologen ihre Bohrung vorgetrieben: zunächst senkrecht, dann schräg, genau in die Nahtzone zwischen der pazifischen und der nordamerikanischen Platte hinein:

    "Es ist das erste Mal, dass wir direkt in eine ganz große, aktive Störungszone bohren. Wir errichten dort das weltweit erste Erdbebenobservatorium direkt am Bebenherd, um die Mechanik der Beben besser verstehen, wie der Bruch beginnt und sich dann über die Störung fortsetzt."

    Bill Ellsworth vom Geologischen Dienst der Vereinigten Staaten USGS in Menlo Park. Das Bohrloch liegt im Küstengebirge Kaliforniens, auf halbem Weg zwischen Los Angeles und San Francisco. Ellsworth:

    "Unser Bohrloch beginnt in Graniten, die die Wurzeln eines alten Gebirges am Rand der Pazifischen Platte sind. Dann queren wir die San Andreas Verwerfung und erreichen auf der Nordamerikanischen Platte Tonsteine, die vor vielen Millionen Jahren einmal der Meeresboden vor der damaligen Westküste Nordamerikas gewesen sind."
    Über Jahrmillionen haben sich die Schollen diesseits und jenseits der Verwerfung um mehrere hundert Kilometer gegeneinander bewegt - und die Landmassen schleifen unablässig weiter aneinander vorbei: Die Folge: Täglich zittert die Erde an dieser Störungszone Dutzende Male - meist unmerklich. Ellsworth:

    "Wir bohren in ein Gebiet, in dem keine großen Beben entstehen, weil sich die beiden Platten hier nur sehr langsam bewegen, aneinander vorbeikriechen. Die Erdbebenherde sind flach, so dass wir mit empfindlichen Instrumenten direkt in die "Erdbebenmaschine" selbst hinein sehen können. Diese Bebenherde haben hier die Größe eines Fußballfeldes."
    Beben entstehen, indem sich in der Erdkruste langsam Spannungen aufbauen, die sich - wenn die Kräfte zu groß werden - schlagartig entladen. Wie das abläuft, dem wollen die Geophysiker mit ihrem neuen Observatorium zuschauen. Die Stelle ist gut gewählt: Schon während des Bohrens hat es mehrere Beben gegeben, "die allerdings nicht durch uns verursacht worden sind", versichert Bill Ellsworth:

    "In dieser Woche sind wir in einem kritischen Stadium, denn nach dem Bohren haben wir nur ein instabiles Loch im Fels. Damit wir unsere Messinstrumente einsetzen können, stabilisieren wir es mit Beton und Stahl. Danach lassen wir die Geräte an Kabeln oder durch eine spezielle Stahlröhre bis direkt an die Störung hinunter."
    Wo sich die Instrumente sozusagen an den Wänden der Bohrung "festkrallen". Vor Ort wird die Temperatur gemessen werden, die Reibung, Veränderungen im Druck oder in der chemischen Zusammensetzung der Wässer im Untergrund, und vor allem sollen empfindliche Seismometer selbst feinste Bodenbewegungen wahrnehmen. Ellsworth:

    "Wir werden unter extremen Bedingungen arbeiten. Der Umgebungsdruck in drei Kilometern Tiefe ist sehr hoch, so, als wären wir am Boden der Tiefsee. Aber gleichzeitig ist es etwa 130 Grad C heiß. Trotz dieser rauhen Umgebung müssen unsere Instrumente über viele Jahre halten."
    Schließlich soll das Experiment 15 Jahre lang laufen. Die Seismologen wollen diverse Ideen dazu überprüfen, wie der Bruch beginnt: etwa die, dass vor einem Beben an Klüften Wasser aus den Steinen quillt und zum Schmiermittel wird. Derzeit sind die Geophysiker erst einmal froh, dass die Bohrung selbst problemlos war, und es keine Ausbrüche von heißen Gasen oder Flüssigkeiten aus verborgenen Taschen im Untergrund gegeben hat. Ellsworth:

    "Als nächstes würde ich gerne in einen Teil der San Andreas-Verwerfung bohren, von dem wir wissen, dass sich dort gerade große Spannungen aufbauen, die sich in einem starken Beben entladen könnten. Dann könnten wir das Geschehen dort besser verstehen, wo es wirklich große Beben gibt."