Dienstag, 30. April 2024

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Integration von Flüchtlingen
Werkstatt-Deutsch ist Grundbedingung

Fenster einglasen, Möbel bauen und Werkstatt-Deutsch. Das steht in dem Zertifikat für Hilfsarbeiten, das die Flüchtlinge der Schwäbisch-Gmünder Lernwerkstatt nach drei Monaten erhalten. Die Initiative ist bundesweit einmalig und sie ist erfolgreich: Bereits 400 Flüchtlinge haben die vorberufliche Qualifikation durchlaufen.

Von Anja Kempe | 08.06.2016
    Omar Ceesay und Schreiner Karl-Heinz Kübler arbeiten an einem Türrahmen.
    Wie können Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integriert werden? Die vorberufliche Qualifizierung für Hilfsarbeiten in Handwerk und Industrie ist eine Möglichkeit. (dpa / Felix Kästle)
    An der Werkbank steht Murzen M. aus Afghanistan, mit der Bohrmaschine in der Hand. Er trägt einen blauen Arbeitskittel. Aus einem Dorf in der Nähe von Kabul stammt er. Vor drei Monaten floh er nach Deutschland. Und nun bohrt er Löcher in Holzbretter.
    "Ja, Tische für kleine Kinder, Entschuldigung, Betten für kleine Kinder, die hier, die Sie sehen, wie heißt das? Ich weiß nicht, wie heißt das in deutsch? - Bett. Kinderbett."
    Zusammen mit anderen Flüchtlingen baut Murzen M. Babywiegen – mit einem ausgesägten Herz am Kopfende. Die Betten sind für die zentrale Erstaufnahmestelle in Ellwangen. Ein deutscher Handwerker hilft.
    "Hier haben wir ein Blech, dann bohren wir die Löcher rein. Und es sind nur Leute, die einem das Werkzeug fast aus der Hand nehmen und lernen."
    Murzen M. legt eine Handvoll Schrauben auf die Werkbank.
    "Gefällt mir. Das ist mit Hand. Und wir lernen wir auch etwas über Deutschland, und, naja."
    "Fürchterlich! Den versteht man nicht!"
    Mit Staccato-Deutsch, das schwer zu verstehen ist, könnte es Probleme geben, einen Job zu finden in Deutschland, mahnt Roland Kiesling, ein Theologe und früherer Pfarrer, der in der Werkstatt Deutsch unterrichtet.
    "Wenn die jetzt nicht lernen, dann hilft denen keiner!"
    Er zieht einen Hocker unter der Werkbank hervor, steigt hinauf und schaut Murzen M. und die anderen Flüchtlinge an.
    "Stellt euch auf einen Stuhl und stellt euch vor, da sind hundert Deutsche, die dich noch nie gesehen haben, und du musst jetzt so sprechen, dass jeder dich versteht. Das muss dein Interesse sein. Im Stehen musst du zuhause üben, du musst so sprechen, dass deutsche Kinder dich ohne Weiteres verstehen. Also nicht nur ich mit großer Mühe, sondern Kinder. Und dann lernt ihr die deutsche Sprache, und dann könnt ihr Fortschritte machen.
    An den Wänden der Werkstatt hängen riesige Plakate, auf denen in großen Buchstaben Bedeutsames geschrieben steht: Die Verben immer konjugieren, Ausrufezeichen. Ich säge, du sägst, er sägt.
    "Also! Holz hinlegen! Anzeichnen! Aber deutsch sprechen!"
    In der Werkstatt wird deutsch gesprochen. Darauf legen die Ausbilder wert. Denn die künftigen Arbeitgeber werden kaum Arabisch oder die Sprache der Paschtunen beherrschen. Die deutsche Sprache sei genauso wichtig wie die fachliche Qualifikation.
    Nach der Begrüßungskultur nun die Förderkultur
    "Flüchtlinge sollen die Anweisungen in der Firma verstehen! Deswegen machen wir Werkstatt-Deutsch. Das ist Grundbedingung!"
    Ludwig Majohr ist gelernter Ingenieur und Berufsschullehrer. Er hat die Lernwerkstatt für Flüchtlinge erfunden und gegründet - als sich abzeichnete, dass die Zahl der Flüchtlinge rapide ansteigen wird. Doch nach der Begrüßungskultur müsse nun die Förderkultur kommen. Viele Flüchtlinge beschwerten sich inzwischen darüber, dass sie in Deutschland meist bloß zum Kuchenessen und zum Volkstanz eingeladen werden.
    "Diese ehrenwerte Begrüßungskultur! Es kommen hier Flüchtlinge her und sagen, ich soll hier jeden Abend singen, tanzen und Musik zuhören. Das ist am Anfang ehrenwert, aber dann wollen die Flüchtlinge etwas anderes."
    "Öffnest du bitte eine Dose Erdnüsse. - Was öffnest du? - Eine Dose Erdnüsse."
    In einem kleinen Raum zwischen Eingang und Werkstatt, sitzt Hans Heilig mit zehn Flüchtlingen an einem großen Holztisch. Wie viele freiwillige Helfer hier, gibt er Deutschunterricht.
    "Bei mir geht’s in der Hauptsache um Artikel und um Verben. Die Verben müssen natürlich konjugiert werden. Sie wissen natürlich, dass wir auch Hilfsverben haben, die bei uns sehr wichtig sind, also ‚haben’ und ‚sein’, die müssen doch schon einmal drin sitzen."
    "Der Meter ist 4,50." Zwei der Flüchtlinge in Ausbildung prüfen die Länge eines Brettes. Es muss millimetergenau passen. "Wir machen das erste Mal."
    Zertifikat für handwerkliche Hilfsarbeiten
    Wer drei Monate lang durchgängig und mit Erfolg in der Werkstatt anwesend war, bekommt ein Zertifikat. Darin steht, wo er einsetzbar ist und was er gelernt hat, zum Beispiel Möbel bauen und Fenster einglasen oder reparieren. Das Zertifikat weist ihn für handwerkliche Hilfsarbeiten aus, erklärt der Leiter der Lernwerkstatt.
    "Wer das Zertifikat hat, kann überall in Deutschland das vorlegen. Im Zertifikat steht, was er kann, an welchen Maschinen er gearbeitet hat. Die haben gelernt, genau zu arbeiten, die sprechen die Sprache und die werden eingestellt."
    "Da ist es noch nicht durch." Über 400 Flüchtlinge haben bisher schon ihr Zertifikat erhalten. Auch Samuel B. aus Eritrea hat schleifen und sägen gelernt, einschließlich Werkstatt-Deutsch.
    "Ich gehe in die Werkstatt Nachmittag. Alles mit Holz, mit Metall und Glas, schneiden Glas. Wir arbeiten mit Handwerk und Deutschunterricht auch. Leute helfen uns bei deutscher Sprache und schreiben und lesen und alles."
    "So, als Nächstes die Dübel."
    "Ich arbeite in die Stadt jetzt. In Baustelle."
    Alfa B. aus Gambia gehört zu den Flüchtlingen, die mit ihrem Zertifikat aus der Lernwerkstatt eine Arbeit gefunden haben. Ein deutsches Bauunternehmen hat ihn eingestellt – für Abbrucharbeiten in einer alten Eisengießerei, aus der ein Museum werden soll.
    Alfa B. bekommt 11 Euro 50 Stundenlohn. Und es wurden ihm Aufstiegsmöglichkeiten zugesagt. Er will unbedingt weiter Deutsch lernen, erzählt er. Auch wenn englisch leichter ist.
    "Deutsch ist schwer! Ist schwer! Is difficult to speak."