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Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz
CSU-Vorstoß zu "Armutsmigration" sehr misslich

Immer wenn ein neues EU-Land Freizügigkeit erlange, warne die CSU vor einer Masseneinwanderung in die deutschen Sozialsysteme, die aber nie eintrete, sagt die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), im Deutschlandfunk. Es sei ärgerlich, dass so ständig ganze Bevölkerungsgruppen verunglimpft würden.

Aydan Özoguz im Gespräch mit Peter Kapern | 30.12.2013
    Aydan Özoguz von der SPD fordert die doppelte Staatsbürgerschaft
    Aydan Özoguz: "Inzwischen gibt ein Lebensgefühl bei uns, als kämen tatsächlich nur Menschen, um bei uns Sozialleistungen zu bekommen. (dpa / picture-alliance / Hannibal Hanschke)
    Peter Kapern: “Wer betrügt, der fliegt“ - ein Satz, der seit Tagen für Aufsehen sorgt. Er findet sich in einer Beschlussvorlage für das Treffen der CSU-Landesgruppe in Wildbad Kreuth Anfang Januar. Gemünzt ist der nicht etwa auf Promotionsbetrüger wie Karl Theodor zu Guttenberg, der eben nicht aus der CSU geflogen ist, sondern auf Rumänen und Bulgaren, die vermeintlich nach Deutschland kommen, um sich hier Sozialleistungen zu erschleichen. Bei uns am Telefon die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz von der SPD. Guten Morgen, Frau Özoguz.
    Aydan Özoguz: Guten Morgen, Herr Kapern.
    Kapern: "Wer betrügt, der fliegt!" Wie viele Jahre Integrationsarbeit macht so eine politische Parole eigentlich zunichte?
    Özoguz: Ja das ist eine wirklich gute Frage. Man kann ja sagen, alle Jahre wieder grüßt die CSU. Es ist ein Stück weit tatsächlich so, dass immer, wenn ein Land in die EU beitritt beziehungsweise die Freizügigkeit erlangt, gewarnt wird von der CSU vor einer Masseneinwanderung in unsere Sozialsysteme, und jedes Mal stellen wir hinterher fest: na ja, hat so gar nicht stattgefunden. Ärgerlich ist daran natürlich, dass ständig ganze Bevölkerungsgruppen in so einer Art verunglimpft werden und man, anstatt sich zu freuen über die Freizügigkeit und gerade auch über Menschen natürlich, die wandern können, immer gleich erst mal das Ganze negativ beginnt. Das halte ich schon für sehr misslich.
    Kapern: Wie erklären Sie sich so eine Wortwahl?
    Özoguz: Es ist ja kein Geheimnis, dass wir in manchen Kommunen in Deutschland durchaus eine Situation haben, wo viel Armut zusammengekommen ist und wo auch auf dem Städtetag oder anderswo gesagt wird, wir brauchen Hilfen, wir müssen ein Stück weit Unterstützung finden, und genau das wollen wir beispielsweise tun. Da setzt jetzt die CSU an. Statt zu sagen, ja, wir helfen auch mit, wir machen schnelle Hilfen möglich, wie wir es auch in den Koalitionsverhandlungen diskutiert hatten, anstatt das nun zu unterstützen, nehmen die sich einfache Parolen, um offensichtlich, ich weiß nicht, das Lebensgefühl einiger Menschen zu treffen. Es hilft am Ende ja niemandem, wenn man einfach nur mit solchen Parolen in ein neues Jahr startet.
    Kapern: Bereitet so eine Parole, Frau Özoguz, wie Linken-Parteichef Riexinger sagt, "braunen Banden" den Boden?
    Özoguz: Zumindest passiert doch folgendes, das kann man ja auch in einigen Kommentaren sehen und das macht mir schon Sorge: Viele Menschen in unserem Land beschäftigen sich naturgemäß nun nicht jeden Tag mit Einwanderung und den Folgen. Aber es gibt inzwischen ein Lebensgefühl bei uns, als kämen tatsächlich nur Menschen, um bei uns Sozialleistungen zu bekommen. Dass beispielsweise auch aus Rumänien und Bulgarien eine Vielzahl von Menschen – und zwar weit über die Hälfte, die ja bisher gekommen sind; wir liegen da bei 70 Prozent - sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, dass wir sie brauchen in unserem Gesundheitssystem und anderswo, das wird eben leider selten wahrgenommen und würde das Bild auf eine ganz wichtige Art korrigieren.
    CSU-Vorschlag "in keinster Weise" mit EU-Recht konform
    Kapern: Warum wird das so selten wahrgenommen?
    Özoguz: Na ja, weil die Parolen oft in eine andere Richtung gehen und eine sachgemäße Auseinandersetzung gerade mit solchen komplexen Themen wie Zuwanderung, Armutsbekämpfung innerhalb Europas, die erfordern schon, dass man sich in Ruhe zusammensetzt, dass man auch EU-Recht noch einmal überdenkt, dass man schaut, ob eigentlich das, was die CSU da vorschlägt, mit EU-Recht zusammenpasst. Ich fürchte, das ist in keinster Weise der Fall. Es entspricht eben einfach nur so einem Gefühl, Hauptsache ich schotte mich irgendwie ab, dann wird das Leben schon besser werden. Das funktioniert nur leider in der Wirklichkeit nicht.
    Kapern: Braucht Deutschland neue Gesetze, um ausländischen Sozialbetrügern Grenzen aufzuzeigen?
    Özoguz: Erst einmal sind ja nicht alle Sozialbetrüger. Das ist nun gerade ganz wichtig, glaube ich, immer wieder festzuhalten. Und diejenigen, die tatsächlich falsche Angaben machen, oder in irgendeiner Form versuchen, etwas zu missbrauchen, denen können wir doch heute auch schon beikommen. Und wir haben auch bei den Koalitionsverhandlungen übrigens versucht, in ruhiger Atmosphäre darüber nachzudenken, wie wir an der Stelle auch den Ländern und Kommunen mehr Handlungsspielräume geben können. Das macht man aber gemeinsam am Tisch und nicht durch Parolen, die man durch irgendein Papier dann schnell mal beschließt.
    Kapern: Das heißt, die Gesetzesverschärfungen, die die CSU da fordert, die sind gar nicht nötig, weil es entsprechende Gesetze bereits gibt?
    Özoguz: Das Problem ist: wir haben eine komplexe Rechtslage dazu. Wir haben unterschiedliche Rechtsprechungen und wir brauchen schon ein Stück weit mehr Klarheit. Das Bundessozialgericht hat sich meines Erachtens da doch ein Stück weit auch drum gedrückt, und da werden wir auch drängen müssen, etwas klarer zu schauen, was genau soll die Rechtslage sein, an welcher Stelle darf wie gehandelt werden. Aber noch einmal: Erstens wollen nicht alle in unsere Sozialsysteme einwandern. Zweitens sind arme Menschen auch nicht per se Betrüger. Und drittens wäre jetzt damit geholfen, den Kommunen etwas unbürokratischer Hilfen zukommen zu lassen. Uns geht es recht gut und ein bisschen Hilfe können wir durchaus leisten. Das darf man bei allem nicht vergessen.
    Kapern: Aydan Özoguz, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung. Danke für das Gespräch, Frau Özoguz, und einen schönen Tag.
    Özoguz: Wünsche ich Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.