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Integrationsbeauftragte Widmann-Mauz
Sprachkurse brauchen mehr Nähe zur beruflichen Tätigkeit

Die Integrationsbeauftragte Annette Widmann-Mauz fordert eine Qualitätsoffensive für Kurse, in denen Migranten Deutsch lernen. Unter anderem sollten Berufssprachkurse und Integrationskurse besser aufeinander abgestimmt werden. Das Lernen werde einfacher, wenn es mehr Nähe zu der beruflichen Tätigkeit gebe.

Annette Widmann-Mauz im Gespräch mit Benedikt Schulz | 29.08.2018
    Zuwanderer aus verschiedenen Ländern nehmen am 18.09.2014 in Berlin an einem "Integrationskurs Deutsch" im Sprach- und Integrationszentrum in der Braunschweiger Straße in Neukölln teil.
    Sprachkurs für Migranten (picture alliance / dpa / Jens Kalaene)
    Benedikt Schulz: Die Integrationskurse in Deutschland stehen in der Kritik, schon lange. Unzureichende Kontrollen, das ist ein Kritikpunkt, die offenbar extrem schwankende Qualität ein anderer. Und ein besonders wuchtiges Symptom, das ist das hier: Nur etwa die Hälfte schließt den Kurs letztlich erfolgreich ab, und wir sprechen hier vom B1-Sprachniveau, also eher so unteres Mittel. Das ist etwas, was für viele Jobs in Deutschland eigentlich ja nicht mal reicht.
    Das alles ist bekannt, schon seit Längerem, eine wichtige Schaltstelle innerhalb der Bundesregierung, was das Thema Integration angeht, das ist das Amt der Integrationsbeauftragten. Amtsinhaberin ist Annette Widmann-Mauz, und sie hat jetzt eine Qualitätsoffensive gefordert für diese Integrationskurse, eine Offensive mit sieben Punkten, und außerdem, sie ist am Telefon. Frau Widmann-Mauz, ich grüße Sie. Hallo!
    Annette Widmann-Mauz: Ich grüße Sie!
    Schulz: Also, natürlich, wenn man sich jetzt diese Zahlen vor Augen führt, jeder Zweite schließt am Ende die Prüfung gar nicht ab, da ist natürlich klar, dass da was nicht stimmen kann, aber konkret, was läuft Ihrer Meinung bis jetzt schief?
    Widmann-Mauz: Ich glaube, wir brauchen dringend eine Qualitätsoffensive bei den Integrationskursen. Es kann nicht darum gehen, dass wir ein Häkchen auf dem Papier haben und damit feststellen, der Teilnehmer hat teilgenommen, sondern es geht darum, dass wir die Menschen bewegen in diesen Kursen, gesellschaftlich und beruflich Fuß zu fassen, und dafür müssen wir an ganz unterschiedlichen Punkten ansetzen.
    Schulz: Dann legen Sie mal los. Woran?
    Widmann-Mauz: Ich glaube, zunächst einmal müssen wir genauer schauen, wer nimmt eigentlich an den Kursen teil. Sind die Kurse in ihrer Struktur eigentlich auf die Zielgruppen zugeschnitten. Lassen Sie mich konkret sagen: Der Arzt aus Syrien kommt mit ganz anderen Voraussetzungen in einen Kurs als ein junger Mann ohne Ausbildung aus Somalia, und die Angebote für Frauen und für Eltern, die Schwierigkeiten haben, gegebenenfalls rein zeitlich mit Kinderbetreuung die Kurse wahrnehmen zu können, müssen natürlich anders aufgebaut sein, anders strukturiert sein, damit die Teilnehmer auch mit ihren Voraussetzungen angesprochen werden.
    "Nähe zu der beruflichen Tätigkeit"
    Schulz: Wenn Sie jetzt wollen, dass diese Kurse die individuelle Leistungsfähigkeit stärker berücksichtigen sollen, wie wollen Sie das anstellen? Es gibt ja jetzt schon die Möglichkeit, die jeweils einzustufen.
    Widmann-Mauz: Ja, das stimmt, aber wir erfahren immer, ich kriege die Rückmeldungen aus den Kursen, dass es nicht möglich ist, Module zu praktizieren, sodass jemand, der das Modul 1 noch nicht schafft, das erste Modul einfach mal wiederholen kann, bevor es dann im Kurs mit den anderen weitergeht. Also ein Stück weit auch das Einstellen der Kursstruktur auf die unterschiedlichen Schnelligkeiten, das ist zum Beispiel ein ganz wichtiger Punkt. Und auch die Frage, wie die Lernmittel auf die Bedürfnisse der Zielgruppe ausgerichtet sind. Also da erfahre ich auch das eine oder andere, dass die Lesetexte sich mit der Etikette im 19. Jahrhundert beschäftigen. Das ist für einen Migranten, der aus Gambia kommt, vielleicht nicht unbedingt das erste Problem. Er braucht praxistaugliche Sprachvermittlung, die er auch im Alltag anwenden kann. Wir brauchen auch hier die Nähe zu der beruflichen Tätigkeit, denn wenn man Sprache anwendet, dann ist das Lernen einfacher, der Sinn des Lernens wird verständlicher, und die Ergebnisse sind dann eben nicht nur im Hören, sondern auch in der aktiven Sprachbeherrschung ganz, ganz wichtig.
    Annette Widmann-Mauz (CDU), Integrationsbeauftragte der Bundesregierung
    Annette Widmann-Mauz (CDU), Integrationsbeauftragte der Bundesregierung: "Das erste Modul einfach mal wiederholen" (Andreas Arnold/dpa)
    Schulz: Sie haben jetzt den Bereich Arbeit angesprochen, Arbeit hilft bei der Integration, da sind sich sicherlich alle einig. Diese standardisierten Fulltime-Integrationskurse, sind die überhaupt noch zeitgemäß, müsste man nicht Integrationskurse per se an Arbeitsstellen, an Eingliederungsmaßnahmen, Qualifizierungsmaßnahmen, berufliche Qualifizierungsmaßnahmen koppeln?
    Widmann-Mauz: Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dass wir die Berufssprachkurse und die Integrationskurse besser aufeinander abstimmen, und zwar sowohl zeitlich als auch inhaltlich. Beides müssen wir im Blick haben. Wir haben gute Angebote durchaus auch von den Jobcentern und den Arbeitsagenturen, aber hier muss das BAMF auch besser zusammenarbeiten, auch Kammern und Berufsschulen bilden vieles und bieten manches an. Also diese Koordinierung muss stimmen. Wir haben dann ja auch noch unterschiedliche Angebote, die der Bund über das BAMF fördert und die Länder im Zusatz noch anbieten, die Lücken dann auch abdecken können. Also hier muss besser koordiniert werden.
    Wir brauchen im Übrigen die Kommunen in der Steuerung mit dabei, denn sie kennen natürlich die Beteiligten am besten, sie kennen das Angebot am besten, aber sie kennen natürlich auch die Bedürfnisse der Migrantinnen und Migranten. Und deshalb ist es gut, dass wir zentraler steuern, aber es muss mit den Kommunen geschehen.
    Schulz: Das heißt aber auch, dass die Kontrollen – da gab es ja viel Kritik, der Bundesinnenminister selbst hat das ja kritisiert, es wird zu wenig kontrolliert –, das sollen die Kommunen in Zukunft übernehmen?
    Widmann-Mauz: Nein, das ist natürlich zunächst einmal Aufgabe des Trägers, auch darauf zu achten, dass die Teilnahmeverpflichtung, dass der nachgekommen wird, aber ich sage mal, wichtig ist …
    "... weil sehr, sehr viele Menschen erst alphabetisiert werden müssen"
    Schulz: Ich meine die Qualität auch der Träger dieser Kurse.
    Widmann-Mauz: Ja, auch da sind wir aus der Krisenphase eigentlich heraus, und deshalb müssen wir die Qualität natürlich auch mit den Lehrkräften stärken. Das beginnt bei der Frage, wie finanzieren wir Lehrkräfte und welche Qualifikation und welche Zusatzqualifikationen erwarten wir, insbesondere auch bei Alphabetisierungskursen. Das ist ein ganz wichtiger Kurs, weil sehr, sehr viele Menschen erst alphabetisiert werden müssen, und deshalb ist ja auch die Bestehensquote teilweise im Ergebnis so schlecht.
    Hierzu braucht es Lehrkräfte und Pädagogen, die dieser spezifischen Gruppe auch gerecht werden können, aber umgekehrt, wenn Sie eine Gruppe haben mit 30 Teilnehmern, ist natürlich die Qualität auch schwieriger zu erreichen, als wenn wir wieder zu Gruppengrößen zurückkehren und -kommen, die in Normalzeiten auch Standard waren und die für gute Qualität gesorgt haben. Also es muss beides sein, die Qualifikation derer, die die Sprache vermitteln und die Situation in den Kursen, also auch hier können wir Dinge verbessern und wieder auf 25 oder 20 Teilnehmer pro Kurs zurückkehren.
    Schulz: Noch mal Stichwort Qualifikation der Lehrkräfte. Man hat ja 2015 die Zugangsvoraussetzung gelockert, oder böse Zungen würden sagen aufgeweicht. War das ein Fehler, und muss man da jetzt wieder einen Schritt zurückgehen und die Qualifikationsvoraussetzung wieder deutlich anheben, weil die Aufgabe ebenso wichtig ist?
    Widmann-Mauz: Ich fand das durchaus richtig, dass wir in der Phase, in der sehr, sehr viele Menschen in kürzester Zeit zu uns gekommen sind, dass wir nicht sagen, na ja, dann wartet mal eben zwei, drei Jahre, bis man zum ersten Mal einen Sprachkurs hat, weil die entsprechend qualifizierten Kräfte noch nicht vorhanden waren. Also in dieser Situation war es richtig, auch mal die Anforderungen zu lockern, aber wir sind nicht mehr in dieser Krisenphase.
    Die Zahl derer, die einen Kurs brauchen, ist erheblich zurückgegangen. Aber diejenigen, die ihn jetzt brauchen und die das Niveau noch nicht erreicht haben, brauchen mehr Zuwendung, und sie brauchen spezifischere Zuwendung, und deshalb ist es auch richtig, dass wir auf der Zusatzqualifizierung bestehen und diese verpflichtend auch einfordern. Ich glaube, jetzt müssen wir wieder in einen Normalmodus übergehen, und deshalb ist diese Qualitätsoffensive so notwendig.
    "Es geht ja auch darum, dass das Angebot angenommen wird"
    Schulz: Zuwendung brauchen sicherlich auch diejenigen, die Fachkräfte, die es unterrichten. Bislang sind die Bedingungen für die, zumindest teilweise, abenteuerlich. Es sind in der Regel Honorarkräfte, die sind nicht angestellt, sie sind natürlich überhaupt nicht verbeamtet, Bezahlung zwischen 20 bis 35 Euro pro Unterrichtsstunde - ohne Vorbereitung. Das sind ja Bedingungen, für die der Gymnasiallehrer morgens das Haus gar nicht erst verlassen würde. Da muss doch was geändert werden.
    Widmann-Mauz: Ja, wir haben die Vergütungssituationen für die Lehrkräfte verbessert, auch für die Träger sind die Finanzierungsvoraussetzungen verbessert worden. Das scheint mir nicht in erster Linie im Moment das Problem zu sein. Darüber wird man sicherlich dann auch wieder sprechen müssen, aber im Moment kommt es, glaube ich, sehr darauf an, dass wir die strukturellen Voraussetzungen in den Blick nehmen, denn es geht nicht nur um das Angebot, es geht ja auch darum, dass es angenommen wird, und wenn die Sinnhaftigkeit erkannt wird, wenn man selbst merkt, jawohl, das, was ich hier lerne, wofür ich mich anstrenge, nach meiner Ausbildung, dass sich das auch lohnt, denn dann werden wir auch bessere Ergebnisse erzielen, und darauf kommt es ja am Ende an.
    Schulz: Aber dass die Lehrkräfte besser bezahlt werden müssen, sehen Sie trotzdem auch so?
    Widmann-Mauz: Ja, wir haben bereits diese Erkenntnis, denn sonst hätte der Bund ja auch nicht die Finanzierung für die Träger verbessert und damit auch bessere Stundenvergütungen für die Lehrkräfte erzielt.
    Schulz: Jetzt heißt es, Sie hätten diesen Forderungskatalog bereits an den Bundesinnenminister Horst Seehofer übermittelt.
    Widmann-Mauz: Ja.
    Schulz: Hat er denn schon geantwortet?
    Widmann-Mauz: Wir sind im ständigen Austausch, die Fachreferate meines Stabes mit dem Bundesinnenministerium, und wir entwickeln ja einen Masterplan Migration und haben den nationalen Aktionsplan Integration, und deshalb, irgendjemand muss ja auch mal anfangen, die Ideen zu entwickeln. Und jetzt werden wir gemeinsam diskutieren, wie wir das, was wir auch gemeinsam erkennen, was notwendig ist, dann entsprechend, sei es mit dem BAMF, aber auch mit denjenigen, die wir brauchen, um vor Ort die Maßnahmen zu verbessern, den Kommunen, den Ländern, die zusätzliche Angebote machen, genau diese Verbesserungen in der Qualität zu erreichen.
    Schulz: Und wie viel erhoffen Sie sich dahingehend von diesem Innenminister?
    Widmann-Mauz: Ich erlebe ihn als aufgeschlossen genau solchen Fragen gegenüber, und deshalb: Gute Kooperation nimmt das Ergebnis nicht vorweg, aber ich bin zuversichtlich, dass überzeugende Ideen am Ende auch realisiert werden.
    Schulz: Sagt Anette Widmann-Mauz, Sie fordert eine Qualitätsoffensive für die Integrationskurse. Darüber habe ich mit ihr gesprochen. Danke schön, Frau Widmann-Mauz!
    Widmann-Mauz: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.