Freitag, 29. März 2024

Archiv

Integrationspflichten für Zuwanderer
"Nicht alle Flüchtlinge sind Verweigerer"

Es gebe bereits Sanktionsmechanismen für Integrationsunwillige, sagte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, im DLF. Deshalb wundere sie der Vorstoß von Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Man müsse aufpassen, kein Bild zu kreieren, als würden Flüchtlinge nur aus Verweigerern bestehen.

Aydan Özoguz im Gespräch mit Thielko Grieß | 29.03.2016
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Die geplanten 100.000 Jobs für Flüchtlinge zur schnelleren Integration haben aus Sicht der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung Aydan Özoguz nichts mit der Schaffung eines neuen Niederiglohnsektors zu tun. (imago / Metodi Popow)
    Sie kritisierte, es würden nicht genügend Sprach- und Integrationsangebote angeboten. Zentrale Aufgabe sei es, die Zuwanderer in den Arbeitsmarkt zu bekommen. Man könne sie aber nicht verpflichten, jedes Arbeitsangebot anzunehmen, sondern müsse schauen, welche Qualifikation sie mitbrächten, sagte die stellvertretende SPD-Vorsitzende im Deutschlandfunk.
    Eine befristete Wohnsitzauflage könne sinnvoll sein, damit nicht alle in die Städte zögen. Sie selbst habe schon Hilferufe von Städten erhalten, die warnten, dass es dort "eng werde". Doch müsse man den Migranten dann im ländlichen Raum auch mehr bieten, forderte Özoguz.
    Die von Arbeitsministerin Nahles geplante Schaffung von hunderttausend Ein-Euro-Jobs für Flüchtlinge sei eine "Chance". Es gehe darum, dass die Menschen einen Einstieg fänden. Sie könnten so im Arbeitsmarkt einen "Fuß in die Tür bekommen".

    Das Interview in voller Länge:
    Thielko Grieß: In der Bundesregierung, in verschiedenen Ministerien wird über ein Integrationsgesetz nachgedacht. Thomas de Maizière, der Bundesinnenminister (CDU), hat sich am Wochenende dazu geäußert, er kann sich vorstellen, Flüchtlingen Leistungen zu kürzen, sofern sie sich nicht darum bemühen, Deutsch zu lernen, oder sofern sie Arbeitsmöglichkeiten ablehnen. Wir fassen zunächst einmal zusammen, bevor wir gleich mit Aydan Özuguz sprechen.
    Und jetzt begrüße ich am Telefon die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung und stellvertretende Vorsitzende der SPD Aydan Özoguz. Frau Özoguz, guten Morgen!
    Aydan Özoguz: Guten Morgen, Herr Grieß!
    Grieß: Ist Thomas de Maizière ein Schikaneur?
    Özoguz: Na, ich würde mal sagen: In dem Beitrag eben war im Grunde ja fast alles richtig, was gesagt wurde, und das ist wahrscheinlich auch das Verwirrende. Ich wundere mich über das, was Thomas de Maizière gesagt hat, denn es stimmt, was der DGB auch sagt, diese Sanktionsmöglichkeiten gibt es ja bereits, und dieses Gesetz, was Thomas de Maizière kritisiert, das hat er selber mit auf den Weg gebracht. Also, so ein bisschen hat man das Gefühl, hier wird davon abgelenkt, dass eben so ein Integrationsgesetz sehr viel mehr natürlich sein muss am Ende, als sich noch mal so drei Maßnahmen zu überlegen, die im Grunde schon da sind.
    Grieß: einen kurzen Moment hatte ich gedacht, es habe Sie verwirrt, Frau Özoguz, dass in unserem Beitrag auch mal alles richtig ist!
    Özoguz: Nein, ganz so schlimm ist es nicht!
    "Es nützt nichts, immer so ein Bild zu kreieren"
    Grieß: Wovor warnt denn Ihr Parteifreund Ralf Stegner?
    Özoguz: Na, er hat natürlich vollkommen recht, wenn er sagt, wir müssen doch dafür sorgen und auch ein Stück weit die Wahrheit über Flüchtlinge erzählen, dass sie eben nicht nur aus Verweigerern bestehen, dass man nicht immer nur dieses Bild über sie stülpt, sie wollten alle nicht. Sondern wir wollen ihnen Möglichkeiten schaffen und wir wissen alle miteinander, dass wir gar nicht genug Sprachkurse haben, dass wir nicht genug berufsbegleitende Maßnahmen oder eben Einstiegsgeschichten haben. Daran müssen wir arbeiten, damit sie auch eine echte Chance bekommen.
    Ich möchte mal ein bisschen daran erinnern, das muss ich jetzt doch mal tun: Thomas de Maizière hat vor vier, fünf Jahren auch schon mal von Integrationsverweigerern gesprochen und musste dann ganz schnell feststellen, dass 20.000 Menschen auf den Wartelisten für Sprachkurse standen. Also, es nützt nichts sozusagen, immer so ein Bild zu kreieren, als würden die alle nicht wollen, aber tatsächlich ist es so: Wir müssen jetzt schauen, wie bekommen wir eigentlich Menschen, die eben natürlich nicht mit fertigen Deutschkenntnissen zu uns kommen, teilweise ja gute Ausbildungen hatten, teilweise gar keine, wie bekommen wir die in den Arbeitsmarkt? In Deutschland haben wir im Gegensatz zu anderen Ländern ja diese Situation, dass tatsächlich viele Arbeitsmöglichkeiten frei werden in den nächsten Jahren.
    Grieß: Wer ist denn für die Deutschkurse zuständig?
    Özoguz: Na ja, da gibt es zwei. Das eine ist beim Bundesinnenministerium beziehungsweise beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das sind diese Sprach- und Integrationskurse, über die wir sprechen. Und dann gibt es die berufsvorbereitenden Sprachkurse, die laufen wiederum übers Arbeitsministerium. Das ist ja das, was ich immer etwas …
    Grieß: Ja, das ist ja …
    Özoguz: … besser bündeln würde.
    Grieß: … gut verteilt zwischen Schwarz und Rot und den Zuständigkeiten in den Ministerien, Thomas de Maizière und Andrea Nahles!
    Özoguz: Ja gut, das ist ja nicht immer Schwarz und Rot, aber in diesem Fall ist es so. Und deswegen müssen natürlich diese Ministerien jetzt besonders eng zusammenarbeiten, klar.
    "Natürlich muss man immer wieder schauen, was bringen die Menschen eigentlich mit?"
    Grieß: Nun sagt Thomas de Maizière, ein weiteres Kriterium soll sein, Arbeitsangebote anzunehmen, oder umgekehrt, wenn man sie ausschlägt, dann bekommt man ein Problem. Das heißt, Flüchtlinge sollen verpflichtet werden, jedes Arbeitsangebot anzunehmen?
    Özoguz: Ja, das kann man natürlich nicht machen. Ich meine, da haben wir lange genug die Diskussion in diesem Land auch über andere Dinge geführt und über Menschen, die keine Flüchtlinge sind, geführt. Natürlich muss man immer wieder schauen – und das ist gerade ein Knackpunkt –, was bringen die Menschen eigentlich mit? Welche Dinge, welche Kenntnisse haben sie, welche Qualifikation haben sie? Manche haben sich jetzt die Mühe gemacht, ja auch tatsächlich das in ihren Bundesländern jeweils in den Unterkünften bereits zu beginnen. Das ist aber auch eine Maßnahme der Bundesregierung, muss man sagen, dass in den Unterkünften ja schon die Bundesagentur für Arbeit dort sein soll, um eben solche ersten Qualifikationen schon mal zu erfahren, damit man auch sinnvoll die Menschen in Arbeit bringen kann.
    Grieß: Aber wenn es dem Zweck dient, in den Arbeitsmarkt zu kommen, dann soll auch der sprichwörtliche syrische Arzt vor dem Rathaus mal die Rabatten pflegen?
    Özoguz: Na ja, der syrische Arzt ist im Moment zum Beispiel dabei, in den Unterkünften deutsche Ärzte zu begleiten, um zu helfen bei der Vermittlung, bei der Erklärung et cetera. Wir sind da gar nicht mal auf so einem schlechten Weg. Ich glaube, bei den gut Qualifizierten ist das natürlich in der Regel auch ein bisschen einfacherer. Schwieriger wird es ja bei einfachen Qualifikationen, wo sie draufsatteln müssen, wo sie noch mal schauen müssen, was können wir anbieten und wie kommen die Leute auch zu einer abgeschlossenen Ausbildung. Denn eine duale Berufsausbildung wie bei uns gibt es ja kaum woanders auf der Welt. Um das also adäquat bei uns anzupassen, müssen wir schon noch einiges nachlegen. Und da wird diese Wohnsitzauflage, die da ja besprochen wurde, natürlich auch dazu führen, dass man Menschen möglicherweise mehr anbieten muss, wenn sie eben nicht in die Städte ziehen dürfen.
    "Wenn alle zu uns in die Städte ziehen, dann wird es wirklich eng"
    Grieß: Ja eben! Ist das nicht hinderlich, Menschen in der Provinz festzubinden, wo es möglicherweise gar keine Arbeitsangebote für sie gibt, keine Jobs?
    Özoguz: Ja, ich finde, das hat der Bundesinnenminister etwas missverständlich ausgedrückt. Es geht nicht darum, dass wir bestimmen, wo Flüchtlinge sich aufhalten, es geht darum, dass wir von den Städten ja einen sehr ernsthaften Hilferuf haben, dass sie sagen: Wenn alle zu uns in die Städte ziehen, dann wird es wirklich eng, also sorgt bitte dafür, dass das zeitlich versetzt ist! Ich finde das nachvollziehbar und ich habe auch Flüchtlinge übrigens schon kennengelernt mittlerweile, die gemerkt haben: Nicht jeder Segen liegt in der Großstadt, sondern teilweise können sich die Menschen vor Ort besser um sie kümmern.
    Grieß: Ja, aber dann müssen Sie das doch bestimmen, dann müssen Sie die Flüchtlinge zuweisen und verteilen, verpflichtend?
    Özoguz: Zugewiesen werden sie ja erst einmal sowieso. Aber wenn sie dann eben anerkannt werden, ja nicht mehr, dann dürften sie ja umziehen. Und da geht es eben darum, das um zwei Jahre zum Beispiel zu verzögern. Also, es muss in jedem Fall befristet sein natürlich, das ginge gar nicht anders. Aber die Sache ist doch, wenn Sie dann, wo auch immer die Leute sind, ihnen wirklich Angebote machen, also Berufsbegleitung, was auch immer, dass sie dann in gute Jobs kommen können, dann kann das sinnvoll sein. Wir hatten das schon mal in den 80ern bei den Aussiedlern beispielsweise.
    Grieß: Kann man denn auch mit hineinbeziehen, dass man Flüchtlinge in bestimmte Kommunen nicht verteilt, wenn sich dort herausstellt, dass sie dort keinen Anschluss finden, weil die Kommune schlicht nicht will oder die Menschen schlicht nicht wollen?
    Özoguz: Ich glaube, das kann kein Kriterium sein. Also, ich meine, wir sind ein Land und wir haben im Grunde ja überall ganz unterschiedliche Problemlagen, wenn Sie so wollen. An der einen Stelle gibt es mehr Wohnungen, an der anderen Stelle gibt es mehr Jobs, das ist klar, dass das total unterschiedlich ist …
    "Wir sollten diejenigen unterstützen, die daran interessiert sind, ein freundliches Gesicht von Deutschland zu zeigen"
    Grieß: Und an anderen Stellen gibt es mehr Fremdenhass.
    Özoguz: Ja, natürlich. Aber wir dürfen jetzt auch nicht vergessen, es gibt in Deutschland, also auch in Sachsen, um es mal so offen zu sagen, darüber reden ja dann alle, gibt es auch genügend Menschen, es gibt sogar Unternehmer, die sich wünschen, dass da also auch Flüchtlinge hinkommen. Und wir sollten lieber ganz stark diejenigen unterstützen, die tatsächlich auch daran interessiert sind, ein freundliches Gesicht von Deutschland zu zeigen. Es kann nicht sein, denjenigen dann sozusagen Recht zu geben, die Hass und Gewalt ausüben. Also, das geht überhaupt nicht.
    Grieß: Die Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hat offenbar ein Konzept erarbeiten lassen – darüber hat die "Welt am Sonntag" berichtet –, 100.000 Ein-Euro-Jobs zu schaffen und mit 300 Millionen Euro zu unterstützen. Diese Jobs seien für Flüchtlinge gedacht. Warum reitet man hier ein Konzept, das sich in der Realität als wenig sinnvoll erwiesen hat, um einen Einstieg in den Arbeitsmarkt zu finden?
    Özoguz: Ich glaube, es geht schon hauptsächlich darum, tatsächlich so einen Einstieg zu finden. Und vielerorts haben wir ja auch schon vorher immer wieder gesagt, Mensch, lasst sie doch mitmachen, lasst sie doch selber mithelfen! Teilweise haben das einige gemacht, wo es dann immer gleich hieß, oh Gott, wenn da jetzt was passiert und versicherungstechnisch und wie schwierig. Und deswegen ist das möglicherweise ja jetzt auch ein guter Weg, um zu sagen, es ist geregelt, es ist mal eine Chance, dass Menschen sich kennenlernen gegenseitig, dass auch Flüchtlinge den Arbeitsmerkt kennenlernen und somit überhaupt den Fuß in die Tür bekommen. Also, das kann schon sinnvoll sein, denn ein Flüchtling hat eben vielleicht doch etwas weniger Chancen, sich ganz normal auf ein Praktikum zu bewerben.
    Grieß: Oder ist ein wesentlicher Vorteil dieser Maßnahme auch, dass der Flüchtling die Arbeitslosenstatistik nicht kennenlernt und umgekehrt?
    Özoguz: Also, ich weiß nicht, wie sehr sich der Flüchtling für unsere Arbeitslosenstatistik am Ende interessiert.
    Grieß: Na, er taucht einfach nicht auf und das verschönert die Statistik.
    Özoguz: Ja, aber ich glaube … Es ist ja immer nur für eine bestimmte Zeit. Und deswegen ist das, glaube ich, ganz gut, wenn man da auch diese Chance schafft, wirklich da reinzukommen in den Arbeitsmarkt. Das haben wir ja durchaus an manchen Stellen auch mal erfolgreich gehabt. Ich will das gar nicht für alles jetzt schönreden, aber ich könnte mir das an dieser Stelle befristet, wie gesagt, durchaus sinnvoll vorstellen.
    "Der Mindestlohn wird eben nicht aufgeweicht, es gibt keinen neuen Niedriglohnsektor"
    Grieß: Na ja, die Gefahr besteht doch darin, dass man Menschen in diesen Ein-Euro-Job und dann in den Niedriglohnsektor hineinbringt. Die Erfahrung haben wir gemacht nach den Hartz-Gesetzen und viele Menschen bleiben da eben stecken.
    Özoguz: Na ja, aber wir haben ja jetzt den Mindestlohn und wir haben eben deutlich gesagt – nachdem jetzt die Flüchtlinge kamen und sofort natürlich wieder einige ganz laut wurden, na ja, da sollte man doch mal das Ganze aufweichen, da sollte man wieder etwas möglich machen –, deutlich gesagt, das geht nicht, der Mindestlohn wird eben nicht aufgeweicht, es gibt keinen neuen Niedriglohnsektor, sondern an dieser Stelle gibt es jetzt eine Maßnahme, die ein Einsteigen ermöglicht, aber dann natürlich, wenn beschäftigt wird, niemals unter dem Mindestlohn. Und das ist glaube ich auch die Grenze, die immer bleiben muss, damit wir auf keinen Fall wieder darunter zurückfallen. Das wäre ja dann ein echter Rückschritt.
    Grieß: Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung und stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD Aydan Özoguz. Frau Özoguz, danke für das Gespräch!
    Özoguz: Ich danke Ihnen auch, Herr Grieß!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.