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Integrierter Pflanzenschutz
Ackerglück ohne Chemiekeule

Nur im äußersten Notfall spritzen: So lautet das Prinzip des "Integrierten Pflanzenschutzes". Schädlinge sollen mit anderen Methoden bekämpft werden, Nützlinge von Chemie verschont bleiben. Das ist in Deutschland und anderen europäischen Ländern zwar längst erklärtes Ziel - doch bei der Umsetzung hapert es.

Von Jantje Hannover | 11.07.2018
    Eine Hand hält eine lilafarbene Kartoffelblüte auf dem Feld des Biolandgartens von Bio-Landwirt Benjamin Herkner.
    Gut gedeihende Feldfrüchte sind das Ziel der Landwirte - wie aber kann die Wende zu einer pestizidärmeren Landwirtschaft gelingen? (picture alliance / Jens Kalaene)
    Stände, Pavillons, kleine Ackerflächen zu Demonstrationszwecken und überall Fachpublikum - Die sogenannten "Feldtage" der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft DLG sind eine Art Freiluftmesse für Ackerbau. In diesem Jahr trifft sich die Fachwelt im sachsen-anhaltischen Bernburg, unter anderem zu Vorträgen über Pflanzenschutz, den richtigen Düngemitteleinsatz, aber auch Biodiversität, also biologische Vielfalt.
    "Hier auf den Flächen der DLG Feldtagen sehen wir im Prinzip eine Leistungsschau von Früchten die in Deutschland angebaut werden."
    Stefanie Hahn vom Julius-Kühn Institut, dem Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen in Deutschland, deutet auf eine Reihe kleiner Feldparzellen. Sie sind jeweils nicht größer als ein Küchentisch. Hier wachsen Zuckerrüben, Weizen, Raps oder Roggen. Im Hintergrund wehen die Fahnen der großen Chemiehersteller, Landmaschinenproduzenten und Saatgutzüchter.
    "Die ganz verschiedenen Firmen, die hier ausstellen, sind Züchterfirmen. Es sind Firmen, die Pflanzenschutzmittel herstellen, es sind aber auch Länderstände wie dieser Stand hier in Sachsen-Anhalt. Die Sachsen-Anhaltiner haben diverse Forschungsprojekte um zum Beispiel die Biodiversität zu fördern in ihrem eigenen Land, um diesen Landwirten zu zeigen, was möglich ist."
    Pflanzenschutz kritisch bewerten
    Die Biodiversität liegt auch der Landwirtin Doreen Riske am Herzen. Sie ist eine von vier Geschäftsführern der Agrar GbR Groß Kiesow, einem Betrieb aus Mecklenburg-Vorpommern mit 2200 Hektar und insgesamt zwanzig Mitarbeitern. Die Agrar GbR hat sich vier Jahre lang an einem Projekt des Julius-Kühn Instituts, kurz JKI, zum Thema "integrierter Pflanzenschutz" beteiligt. Dabei setzt der Landwirt nur dann Pestizide ein, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Der Betrieb von Doreen Riske hat mitgemacht.
    "Weil wir unseren Pflanzenschutz kritisch hinterfragen wollten. Pflanzenschutz ist ja in der öffentlichen Kritik ganz groß, jeden Tag in der Zeitung, im Fernsehen, und man selber bewertet sich ja auch, ist das normal, was man macht, ist es zu viel, warum machen wir was?"
    Doreen Riske und die Agrar GbR Groß Kiesow haben mithilfe der Berater des JKI und der örtlichen Pflanzenschutzdienste den Einsatz von Pestiziden auf ihren Äckern deutlich reduziert.
    "Anfangs war ich so ein bisschen störrisch, hm, das geht alles gar nicht, obwohl ich es ja auch wollte. Aber das wirklich dann auch zu machen war eine schwierige Geschichte anfangs."
    Denn schließlich ist Doreen Riske keine Biobäuerin.
    "Letztendlich bin ich eine Person, die auf Nummer sicher gehen möchte, weil die Wirtschaftlichkeit eines Betriebes im Vordergrund steht, das ist ganz klar. Risiken eingehen in Größenordnungen geht gar nicht, deshalb hab ich nur das im Projekt versucht umzusetzen, was ich wirtschaftlich verantworten kann."
    Erst schauen, dann spritzen
    Und das war eine Landwirtschaft, die sich an den Regeln des integrierten Pflanzenschutzes orientiert.
    "Erstmal gucke ich mir die Blätter an, ob die Krankheiten haben, hier sehe ich gar keine Krankheiten."
    Doreen Riske hat sich auf den Feldtagen in Bernburg an einem der Mini-Felder niedergekniet. Sie biegt die Blätter einer Zuckerrübe auseinander.
    "Dann würden hier irgendwelche Blattflecken sein, Cercospora oder sowas, oder vielleicht Mehltau oder Rost. Da muss man eben gucken, wieviel Prozent der Blattfläche ist schon geschädigt, da gibt es eine Schadschwelle, und dann muss ich hier in den mittleren Teil der Rübe gucken, ob da vielleicht Läuse drin sind. Die schwarze Bohnenlaus, das ist nicht zu übersehen, wenn die hier wäre, wäre hier unten alles schwarz, aber ist es nicht, das heißt, da brauch ich nicht mehr hingucken, die ist kerngesund."
    Wenn alle Landwirte ihren Acker vor dem Spritzen so in Augenschein nähmen, wie Doreen Riske es hier vorführt, würden in Deutschland voraussichtlich deutlich weniger Pestizide verbraucht. Und zwar ohne dass deswegen spürbar weniger geerntet würde.
    Nur jeder siebte Bauer hält sich an die Regeln
    Dabei ist der Integrierte Pflanzenschutz eigentlich in ganz Europa sogar gesetzlich vorgeschrieben.
    "Ganz entgegen des Vorhabens, dass man durch den integrierten Pflanzenschutz nur dann Pestizide aufbringt, wenn es nötig ist und wenn die Schädlinge tatsächlich eine Befallsstärke erreicht haben, die ökonomischen Schaden verursacht, hat sich das Gegenteil entwickelt in den letzten zehn, zwanzig Jahren."
    Ein Landwirt bringt Pflanzenschutzmittel mit einem Trecker und einer Spritze auf einem Feld aus. 
    Über 32.000 Tonnen chemische Wirkstoffe pro Anbausaison landen auf deutschen Feldern (imago / Sven Simon)
    Kritisiert die Agrarökonomin Susanne Neubert von der Humboldt Universität Berlin. Nach Schätzungen hält sich in Deutschland nur etwa jeder siebte konventionelle Bauer an die Regeln des integrierten Pflanzenschutzes, der Rest spritzt vorbeugend. Der Unkrautvernichter Glyphosat beispielsweise wird vor der Aussaat aufs Feld gebracht.
    "Das ist eine typische Versicherungsstrategie, weil bis zu dem Zeitpunkt hat ja das sogenannte Unkraut noch gar keinen Schaden angerichtet. Das widerspricht im Kern der Strategie des integrierten Pflanzenschutzes."
    Über 32.000 Tonnen reine Wirkstoffe pro Anbausaison landen heute auf deutschen Feldern. Die Zahl schwankt von Jahr zu Jahr ein wenig, verharrt aber seit zwanzig Jahren auf hohem Niveau, kritisiert Harald Ebner von den Grünen.
    "Die Glyphosatmenge, wenn wir die mal herausgreifen, ist die letzten zwei Jahre zurückgegangen, aber liegt trotzdem beim fast Vierfachen wie vor 25 Jahren, ja? Ist auch immer die Frage des Referenzzeitpunktes, den wir uns hernehmen. Gleichzeitig müssen wir feststellen, wir haben heute andere Wirkstoffe als vor 20 Jahren, und die heute vorhandenen Wirkstoffe, zum Teil zumindest, sind deutlich wirkintensiver, toxischer, giftiger, wie auch immer."
    750 zugelassene Wirkstoffe - und es kommen neue
    277 Wirkstoffe gab es 2015 in mehr als 750 zugelassenen Pflanzenschutzmitteln in Deutschland. In den letzten 20 Jahren sind nur noch wenig neue dazugekommen. Mit Flupyradifuron könnte allerdings schon in den nächsten Wochen ein neuer Wirkstoff auf den Markt kommen und auch für weitere Insektizide liegen Anträge zur Genehmigung vor.
    Das umstrittene Mittel Glyphosat wurde Ende letzten Jahres in der EU für weitere fünf Jahre zugelassen. Das deutsche Agrarministerium wiederum plant, die Anwendung von Glyphosat deutlich zu reduzieren und es in privaten Gärten, in Parks, Sportanlagen und Naturschutzgebieten vollständig zu verbieten.
    Nach Einschätzung mancher Experten gehen den Produzenten von Pflanzenschutzmitteln inzwischen die Wirkstoffe aus.
    Richtungswechsel bei Bayer?
    "Die Suche nach neuen Wirkstoffklassen ähnelt der 'Quadratur des Kreises'. Nicht zuletzt aufgrund der gestiegenen Anforderungen an neue Pflanzenschutzmittel."
    Sagt Utz Klages vom Agrarchemiehersteller Bayer.
    "Beispielsweise sollen sie sich schnell abbauen, gleichzeitig aber eine lange Wirkungsdauer haben. Sie sollen sehr spezifisch gegen bestimmte Schadinsekten oder Unkräuter wirken, aber gleichzeitig nützlingsschonend sein."
    Die Entwicklung eines neuen Pflanzenschutzmittels dauert durchschnittlich elf Jahre und kostet knapp 300 Millionen US-Dollar, erklärt Bayer-Sprecher Klages. Die Ansprüche an die ökologische Sicherheit schränkten die Auswahl der Wirkstoffe natürlich ein, aber:
    "Noch steht eine ausreichende Anzahl an Wirkmechanismen zur Verfügung. Und zwar nicht nur, was die Chemie angeht. Bayer gehört zu den Firmen, die auch biologische Pflanzenschutzmittel anbieten. Außerdem stehen dem Landwirt verschiedene Maßnahmen zur Verfügung - Auswahl der Saatgutsorte, Fruchtwechsel, Bodenbearbeitung."
    Demo gegen die Fusion von Bayer und Monsanto in Bonn
    Bayer Monsanto - einer der größten Agrarchemie-Hersteller der Welt (Patrik STOLLARZ / AFP)
    Also das, was die Landwirte nach den Regeln der guten landwirtschaftlichen Praxis schon lange tun. Eine Art Kurswechsel beim größten Agrarchemiehersteller der Welt? Bei dem Konzern also, der kürzlich noch die EU verklagte, weil sie die bienenschädigenden Neonicotinoide verboten hat? Vielleicht.
    In eine ähnliche Richtung deutet auch ein Interview des einflussreichen Agrarfunktionärs Carl-Albrecht Bartmer von der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft DLG. Der Wochenzeitung "Die Zeit" sagte Bartmer im letzten Jahr:
    "Beim chemischen Pflanzenschutz ist die Pipeline für neue Wirkstoffe ziemlich leer, auch weil die Zulassung so kompliziert ist. Da stehen die Landwirte womöglich bald ohne Hilfe da. Stellen Sie sich vor, Sie sind Patient, und es gibt keine wirkungsvollen Medikamente mehr! Es ist an der Zeit, das System als Ganzes infrage zu stellen."
    Pestizidfreie Landwirtschaft bis zum Zweiten Weltkrieg
    Mit dem "System als Ganzes" ist eine Landwirtschaft gemeint, die sich vor allem nach den Bedingungen des Marktes richtet. Denn der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ist für den Landwirt häufig profitabler als biologische Methoden es wären. Beispiel Fruchtfolge. Wenn verschiedene Früchte nacheinander auf der gleichen Fläche wachsen, also etwa Weizen nach Kartoffeln, werden Pilze und Unkräuter auf natürliche Weise in Schach gehalten. Weil sich aber nicht jede Frucht gleich gut verkaufen lässt, pflanzen Landwirte heute immer häufiger Jahr für Jahr das Gleiche an. Die auftretenden Schädlinge müssen dann mit Pestiziden bekämpft werden. Diese Mittel wiederum sind billig.
    Vor dem zweiten Weltkrieg hingegen spielten chemische Pflanzenschutzmittel noch kaum eine Rolle.
    "Im Prinzip hat man eine pestizidfreie Landwirtschaft betrieben mit Fruchtfolgen und kulturtechnische Maßnahmen."
    Erklärt die Agrarökonomin Susanne Neubert.
    "Das heißt, durch Fruchtfolgen hat man Insekten vermindert, und durch Feldhygiene, also Verbrennen von befallenen Ästen und so weiter, hat man Pilzbefall vermindert, und den Unkrautbefall hat man durch die Hacke vermindert."
    Zwar wurde bereits 1874 DDT, ein chlorierter Kohlenwasserstoff, synthetisiert. Doch erst in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde das Mittel im Ackerbau eingesetzt.
    "Das wirkte natürlich fantastisch gegen Insekten, hatte aber eine relativ geringe Toxizität gegenüber Säugetieren. Da war man dann enthusiastisch, man hat gesehen, dass man zum Beispiel Malaria bekämpfen kann, sehr wirksam. Aber man hat dann festgestellt, dass diese Zeug nicht abgebaut wird biologisch, sondern sich eben im Fettgewebe, ist ja bekannt, dann akkumuliert hat, sogar in jeder Muttermilch nachweisbar war, weltweit, und in jedem Mikroorganismus."
    In den 70er-Jahren kam Glyphosat
    Das Insektizid DDT kann sich in der oberen Atmosphäre über große Entfernungen ausbreiten und über Jahrzehnte im Boden festsetzen. Weil DDT das Nervensystem angreift und das Hormonsystem stört, wurde es Anfang der 70er Jahre in den meisten Ländern verboten. Genau wie zahlreiche andere Mittel in späteren Jahren, darunter Lindan und Atrazin. Andere Mittel blieben am Markt, sagt der Bayer-Sprecher Utz Klages.
    "Es gibt eine Vielzahl an Wirkstoff-Klassen, die in der Landwirtschaft für Innovationssprünge im Sinne von Produktivitätssteigerung und Umweltfreundlichkeit geführt haben. Dazu zählen beispielsweise Azol-Fungizide oder Insektizide auf Basis von Pyrethroiden."
    Mitarbeiter der Firma Agrartest düngen am 02.06.2016 eine von 84 Parzellen auf einem Weizenfeld bei Sehnde in der Region Hannover (Niedersachsen). Auf dem Getreidefeld versuchen Feldversuchtechniker mit möglichst wenig Einsatz von Düngemitteln ein möglichst gutes Ergebnis zu erzielen. Die Bundesregierung arbeitet derzeit an einer Neuauflage der Düngeverordnung. Foto: Julian Stratenschulte/dpa (zu dpa «Kontrolle von Gülle und Mist: Niedersachsen macht Druck auf Berlin» vom 08.06.2016) | Verwendung weltweit
    Mit dem gesteigerten Einsatz von Düngemitteln und Chemie erzielt die Agrarindustrie seit den 70er Jahren höhere Erträge (dpa / Julian Stratenschulte)
    Mitte der 70er brachte das damals US-amerikanische Unternehmen Monsanto dann den Unkrautvernichter Glyphosat auf den Markt. Immer mehr Wirkstoffe konkurrierten inzwischen um die Gunst der Landwirte, in Asien hatte man mit Hochertragssorten die sogenannte "Grüne Revolution" eingeläutet. Die weltweiten Erntemengen schnellten in die Höhe - auch mithilfe von Pestiziden. Schließlich folgte Anfang der 90er Bayer mit den Neonicotinoiden. Die Menge der weltweit eingesetzten Pestizide hatte sich inzwischen verzehnfacht, sagt Susanne Neubert.
    "Das war sozusagen die Entwicklung, nachdem so ein Hype war, das man alles plötzlich mit Pestiziden regulieren konnte. Alle waren ganz, ganz begeistert."
    Erst Begeisterung - dann Probleme mit Resistenzen
    Nur nach und nach erkannte man, dass man sich so auch die Probleme ins Haus holte, die man eigentlich mit Pestiziden bekämpfen wollte: Denn weil die Mittel Nützlinge wie Marienkäfer, Schwebfliegen und Schlupfwespen vernichteten, die sonst Schadinsekten fressen, stiegen auch die Ernteverluste an. Weitere Schädlingsvernichter wie Vögel und Amphibien verschwanden, weil sie nichts mehr zu fressen fanden.
    "Es gab dann für diesen Pestizidanstieg, für diese Verzehnfachung der Menge, noch einige andere Faktoren, und der wichtigste davon ist die Resistenzbildung. Man kann in der Natur - der Naturhaushalt ist was ganz komplexes und systemisches - nicht reagieren, indem man einen Schädling komplett niedermacht. Das funktioniert nur eine gewisse Zeit, und danach entwickeln sich Resistenzen. Warum ist das so? Weil das eben eine hochwirksame Radikalkur ist. Als Ökologe weiß man das von vornherein, solche Radikalkuren haben nie eine lange Wirksamkeit."
    Ob Käfer, Viren, Unkräuter oder Pilze mit Pestiziden besprüht werden: Einige Exemplare überleben den Angriff. Sie können dem Mittel widerstehen, und diese Resistenz geben sie dann an die nächste Generation weiter. Das Pestizid wirkt nicht mehr, ein neuer Wirkstoff muss her.
    "Diese Resistenzentwicklung kann unterschiedlich schnell ablaufen für verschiedene Schadorganismen."
    Erklärt Silke Dachbrodt-Saydeeh vom Julius-Kühn-Institut, dem Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen.
    "Beispielsweise kann sich ein schleichender Wirkungsverlust einstellen, sodass die Pilze sich an die Wirkstoffe anpassen. Oder wir haben eben starke Wirkungsverluste wie es beispielsweise beim Rapsglanzkäfer ist, wo wir schon breit auftretende Resistenzen vorfinden können. Um beispielsweise den Rapsglanzkäfer im Raps effektiv bekämpfen zu können, bräuchte man einen Wirkstoff, der einen anderen Angreifpunkt in diesem Schadorganismus findet und damit wieder eine sichere Bekämpfung darstellt."
    Raupen fressen in Düsseldorf Blätter eines Apfelbaumes. Sie sind die Larven der Schmetterlinge und sorgen durch ihren Appetit auf grüne Blätter für den Kahlfraß von Laubbäumen. 
    Wie können Feldfrüchte wie Obstbäume vor Kahlfraß geschützt werden - ohne Nützlinge und biologische Vielfalt zu gefährden? (dpa / Achim Scheidemann )
    Damit sich die Pestizid-Spirale nicht immer höher schraubt, etablierte sich in den 90er Jahren die Idee des integrierten Pflanzenschutzes in Deutschland, später floss das Prinzip in die europäische Gesetzgebung ein. Die einzelnen Länder legten Nationale Aktionspläne auf, in Deutschland ist ein solcher seit 2013 in Kraft, sagt Silke Dachbrodt-Saydeeh.
    "Der Nationale Aktionsplan zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln hat sich das Ziel gesetzt, die Risiken, die für den Naturhaushalt und die menschliche Gesundheit entstehen können, weiter zu reduzieren. Des Weiteren ist es ein Ziel des Nationalen Aktionsplans, die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln auf das notwendige Maß zu begrenzen."
    "Wir haben jetzt schon lange nicht mehr über diesen Nationalen Aktionsplan gesprochen, eben weil er wirkungslos ist, weil die ganzen Umwelt- und Wasserverbände ausgetreten sind aus diesem Begleitgremium."
    Harald Ebner, agrarpolitischer Sprecher der Grünen, bezeichnet den Nationalen Aktionsplan als Papiertiger. 2011 kündigten die Verbände unter Protest ihre Mitarbeit auf.
    "Weil sie sagen, wir lassen uns nicht dauerhaft hinter die Fichte führen. Wenn das zu nichts führt, dann können wir da nicht unsere Arbeitszeit investieren und schon gar nicht unseren guten Ruf dafür hergeben. Drin sitzt die Landwirtschaft, die Lebensmittel verarbeitende Industrie, die Pflanzenschutzmittel und Pflanzenschutzgeräte herstellende Industrie. Für die hat sich der Zeiteinsatz natürlich gelohnt, weil sie haben damit verhindert, dass es ganz konkrete Vorgaben gibt, was eigentlich zur Pestizidreduktion in diesem Land passieren soll."
    Forschung zu anderen Lösungen notwendig
    Das verantwortliche Bundesagrarministerium möchte auf Anfrage kein Interview zum Pestizideinsatz in Deutschland geben.
    Harald Ebner nimmt den Nationalen Aktionsplan in die Hand, ein circa hundert Seiten starkes Heft.
    "Das kann man eigentlich aufschlagen wo man möchte, wenn man die Ziele ansieht, steht da meistens: keine quantifizierte Zielvorstellung, Zeitpunkt offen. Ja, so einen Plan braucht kein Mensch."
    Was aber könnte stattdessen eine sinnvolle Strategie sein?
    "Wir müssen viel mehr Forschung in Alternativen stecken. Die Chemieunternehmen machen es nicht, deren Geschäftsmodell ist ein anderes. Also muss es der Staat machen. Macht der es? Bisher leider nein - also minimal, also 1,5 Prozent der Agrarforschung geht irgendwie in ökologische Methoden oder so."
    Tatsächlich ist man da in anderen Ländern weiter. Zum Beispiel in Frankreich, wo allerdings in der Vergangenheit mehr als doppelt so viele Pestizide verbraucht wurden wie in Deutschland. Das ist teilweise mit größeren Agrarflächen und dem hohen Obst- und Gemüseanteil zu erklären, wo besonders viel gespritzt wird.
    Stéphane Le Foll, bis 2017 französischer Agrarminister, wollte das landwirtschaftliche System zwar nicht auf Bio-, aber verstärkt auf agrarökologische Methoden mit weniger Ackergiften umstellen.
    "Für mich ist Agrarökologie das richtige Mittel, um in der Landwirtschaft zukünftig mit der Natur zu arbeiten, anstatt sich mit Chemie vor ihr zu schützen. Wir haben diese neuen Methoden von Seiten des Staats über gesetzliche Regelungen, mit Forschungsmitteln und über die landwirtschaftliche Ausbildung gefördert."
    Die agrarökologische Strategie würde auch von seinem Nachfolger im französischen Agrarministerium fortgeführt, sagt Le Foll. Bei einer Abstimmung im Mai wurde ein Glyphosatverbot von der französischen Nationalversammlung allerdings abgelehnt.
    Pflanzenschutz ohne Chemie ist möglich - und macht Spaß
    Wie aber könnte in Deutschland die Wende zu einer pestizidärmeren Landwirtschaft gelingen? Das fragt sich auch Hella Kehlenbeck vom Julius-Kühn-Institut. Sie leitet das Projekt "Demonstrationsbetriebe integrierter Pflanzenschutz", an dem 65 Höfe in ganz Deutschland teilnehmen. Das Projekt startete 2011 als Maßnahme des Nationalen Aktionsplans Pflanzenschutz.
    "Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass sich eine konsequente Umsetzung der Maßnahmen des integrierten Pflanzenschutzes mit einer umfassenden Beratung, die ja ein zentrales Element in diesen Demonstrationsbetrieben ist, dass die zu Einsparungen führen kann. Kann deshalb, weil das Ergebnis von vielen Einflussfaktoren beim Anbau von Pflanzen vom jeweiligen Jahr mit seiner Witterung und dem Befallsdruck, sowie aber auch der Region, in der der Betrieb arbeitet, abhängig ist."
    Für Projektteilnehmerin Doreen Riske vom Demonstrationsbetrieb Agrar Gmbh Groß Kiesow war das Ergebnis allerdings eindeutig. Sie hat in Technik investiert, um ihre Äcker unkrautfrei zu halten und will auch in Zukunft auf Chemie verzichten, wo immer das möglich ist.
    "Erstens weil es Spaß macht, ganz klar, wenn ich dann sehe, dass ich weniger Zeit investieren muss bei der Durchführung von bestimmten Arbeiten, weil sie schlichtweg wegfallen, schon allein durch die Anbaudiversität erreiche ich das unter Umständen, dass ich eine gute Ackerhygiene habe, dann habe ich ja schon einen Mehrgewinn."
    Vielfalt beim Anbau heißt das Schlüsselwort, wenn weniger Chemie auf die Äcker soll. Für den Verbraucher ist es vielleicht eine gute Nachricht, dass die Suche nach neuen chemischen Wirkstoffen immer schwieriger wird. Denn wenn die Landwirte jetzt Unkraut und andere Schädlinge öfter mit biologischen Methoden bekämpfen, profitieren Umwelt und menschliche Gesundheit gleichermaßen.