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Interessenorientiertes Lernen
Unterricht anders gestalten

An der Käthe-Kollwitz-Gesamtschule in Mühlenbeck bei Berlin gehört Frontalunterricht der Vergangenheit an. Stattdessen sollen Schülerinnen und Schüler durch neue Raum- und Lernkonzepte besser gefördert werden - zum Beispiel durch sogenannte Interessensklassen. Ein Konzept, das aufzugehen scheint.

Von Amelie Ernst | 03.09.2018
    Jugendliche sitzen auf einer Bank
    In Kleingruppen auf dem Flur oder dem Schulhof arbeiten Schülerinnen und Schüler an der Käthe-Kollwitz-Gesamtschule bei Berlin an Themen - anstatt im Frontalunterricht in der Klasse (dpa/Frank Rumpenhorst)
    Gruppenweise Schüler auf den Fluren - und das während des Unterrichts: Was an anderen Schulen undenkbar ist, gehört an der Käthe-Kollwitz-Gesamtschule in Mühlenbeck nördlich von Berlin zum Konzept: Immer wieder schicken die Lehrer hier drei oder vier Schülerinnen und Schüler raus auf den Flur, damit diese dort einzelne Inhalte erarbeiten und anschließend der Klasse präsentieren.
    "Dort kann man immer relativ gut zusammenarbeiten, und hat halt einfach die Möglichkeit, auch mal einen kleinen Spaß zu machen, aber dann auch wieder weiterzuarbeiten. Man hat einfach eine bessere Atmosphäre dort, nicht so viele Leute auf einmal gestaucht."
    "Die Schüler fordern das ganz oft ein - 'Wir würden gern draußen arbeiten, dürfen wir?'. Und dann muss der Lehrer entscheiden, ob das in dem Fall möglich ist oder nicht. Es gibt aber auch die Möglichkeit, mit einem Teilungslehrer mal rauszugehen, separat zu arbeiten. Und das genießen die Schüler sehr."
    Wenn die Lernsituation stimmt, dann stimmt auch der Lernerfolg, so die Idee - der Raum als dritter Pädagoge. Trotzdem trifft Schulleiterin Kathrin Haase auch immer mal wieder auf skeptische Eltern: Kommen die Schüler, versteckt hinter hohen roten Sesseln und Sofas, tatsächlich noch zum Lernen?
    "Es ist natürlich so, dass da ein bisschen Freiraum entsteht - man kann quatschen. Aber die meisten arbeiten sehr konzentriert. Und irgendwann weiß man, welche Schüler da draußen nicht zum Arbeiten kommen. Die schicken die Lehrer über kurz oder lang nicht mehr raus."
    Interessen erkennen und fördern
    Die roten Sofas auf den Fluren sind nicht das einzige, was die Kollwitz-Gesamtschule von anderen unterscheidet: Die meisten Klassenräume sind hier sechseckig und nach außen und innen verglast - man kann also rein- und rausschauen. Und: Wer will, der kann ab Klasse 7 eine sogenannte Interessenklasse besuchen - mit Schwerpunkt Sport, Informatik oder Kunst und Musik.
    "Die Eltern können ihr Kind für diese Klasse anmelden. Und wir garantieren dann, dass einer der beiden Klassenlehrer wenigstens aus diesem Interessenbereich kommt. Also für eine Sportklasse der Sportlehrer und für eine Ästhetik-Klasse ein Kunst- oder Musiklehrer. Und das führt dann immer dazu, dass zu solchen Projektwochen oder Klassenfahrten dieses Interesse immer wieder aufgegriffen wird.
    Also ich kann mir nicht vorstellen wie sonst eine siebte Klasse in eine Renaissance-Ausstellung kommt. Das habe ich in einer Schule nicht erlebt - aber die sind mit fliegenden Fahnen dahingegangen."
    Neben den drei Interessenklassen gibt es auch noch drei Klassen ohne besonderen Schwerpunkt. Und: Es geht bei allen Angeboten immer um Interessen, nicht um Bestmarken, sagt Schulleiterin Kathrin Haase.
    "Wir machen keinen Hochleistungssport draus oder keine Hochleistungsförderung, sondern wir wollen einfach die normale Neigung fördern, weil wir denken, das kommt im normalen Stundentafelkontingent einfach zu kurz. Da haben manche Eltern immer Bedenken, sie wollen ihr Kind nicht für die Sportklasse anmelden, weil 'Wir wollen keinen Hochleistungssportler'. Nee, ist nicht unsere Absicht, ist einfach eine Gelegenheit."
    Zauberei im Unterricht
    Überhaupt: Gelegenheiten schaffen - noch so ein Grundsatz der Mühlenbecker Schule. Und: Eigeninitiative fördern.

    "Die Schüler haben letztes Jahr selber ein Sportfest organisiert, war ein großes Highlight, die Lehrer hatten Bedenken. Aber die Schüler haben es hingekriegt und haben sich später bei den Lehrern bedankt, dass die so gut mitgemacht haben.
    Dann gab’s 'Zauberei im Unterricht' als Deutsch-Aufgabe - die sollten Instruktionen lesen. Daraus ist die 'Magic Night' entstanden, das heißt, die Schüler wollten das nicht nur vor der Klasse zaubern, sondern wollten auch vor anderen Schülern zaubern. Und daraus ist eine Veranstaltung entstanden, die jedes Jahr von Schülern organisiert wird. Wo der Lehrer wirklich bloß der Fädchenhalter ist."

    Seit mittlerweile sieben Jahren setzt die Kollwitz-Gesamtschule ihr interessenorientiertes Unterrichtskonzept um - freie Plätze gibt es seitdem nur noch selten.