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Intersexualität im Sport
Der Streit um Caster Semenyas Testosteronwerte

Die Mittelstreckenläuferin Caster Semenya hat eine Vielzahl von Goldmedaillen errungen. Doch der Leichtathletikweltverband IAAF möchte sie in Zukunft von Frauenwettbewerben ausschließen. Ihre Testosteronwerte lägen zu hoch. Gegen diese Regelung hat die Sportlerin vor dem Sportgerichtshof CAS in Lausanne geklagt.

Von Volkart Wildermuth | 30.04.2019
Läuferin Caster Semenya in Lausanne
Die Leichtathletin Caster Semenya hat vor dem Internationalen Sportgericht CAS geklagt (dpa/picture alliance/Laurent Gillieron)
Caster Semenya läuft 2016 Weltjahresbestzeit in ihrer südafrikanischen Heimat. Reporter und Stadion sind begeistert. Im gleichen Jahr wird sie auch noch olympisches Gold gewinnen. Eigentlich Material für eine Heldengeschichte im Sport. Aber bei Caster Semenya wird schon seit 2008 diskutiert, ob sie ihre überragende Leistung Hormonwerten verdankt, die für eine Frau untypisch sind.
"Der Hauptgrund, warum wir überhaupt den Sport in Geschlechter einteilen, ist die Tatsache, dass Männer aufgrund der höheren Testosteronwerte höhere Leistungen vollbringen können. Was wir ja auch daran sehen, dass Testosteron und seine Abkömmlinge, andere Androgene, die häufigsten benutzten Mittel zum Doping sind."
Stellt der Endokrinologe Eberhard Nieschlag vom Universitätsklinikum Münster fest. Testosteron erhöht die Muskelmasse und auch die Hämoglobinwerte. Klare Vorteile für Läufer auf der Mittelstrecke. Sowohl bei Männern wie bei Frauen gibt es eine große Bandbreite beim Testosteronspiegel im Blut. Eine Reihe von Studie zeigt aber: 95% der Frauen liegen unter drei, 95% der Männer über sieben Nanomol pro Liter.
"Da sehen Sie also einen deutlichen Unterschied unter Männern und Frauen, trotz dieser Streubreite."
Intersexualität beeinflusst den Testosteronspiegel
Nun lassen sich nicht alle Personen eindeutig der Kategorie Mann oder Frau zuordnen. Die Ergebnisse eines Geschlechtstest bei Caster Semenya sind eigentlich vertraulich, es gibt aber als wahrscheinlich, dass sie intersexuell ist. Es gibt intersexuelle Personen, die zwar einen männlichen Chromosomensatz haben, die aber entweder Schwierigkeiten bei der Produktion von Testosteron haben oder kaum auf das Hormon reagieren.
"Und diese Individuen werden dann, weil in den entscheidenden Phasen der Embryogenese und der frühen Neugeborenenentwicklung nicht genügend Testosteron da ist, mit sogenannten intersexuellen Genitalien geboren und wirken eben bei der Geburt als Mädchen und werden deshalb als Mädchen registriert. Und erst bei der Pubertät stellt sich dann auf einmal heraus, die haben also keine Monatsblutung. Und dann wird man aufmerksam. Und dann kann man feststellen, dass die dann doch eine gewisse Vermännlichung haben, was vor allem in der sportlichen Leistung ein entscheidender Faktor ist."
Bei den Leichtathletikweltmeisterschaften in Korea 2011 haben Forscher 849 Sportlerinnen untersucht. Fünf von ihnen waren intersexuell.
"Das ist eine Inzidenz, die ist 140-mal so hoch als in der allgemeinen Bevölkerung. Das heißt also, diese Individuen sind vorwiegend im Sport tätig, weil sie eben den Vorteil mit der höheren Testosteronbildung haben."
Wie reagiert der Sport auf das dritte Geschlecht?
Soweit die Biologie. Für intersexuelle Menschen gibt es im Sport keine eigene Kategorien. In den Sechzigern mussten sich Sportlerinnen im Zweifelsfall nackt von männlichen Experten begutachten lassen, um zu Frauenwettbewerben zugelassen zu werden. Das wäre heute unmöglich, der Leichtathletikweltverband IAAF hat deshalb pragmatisch festgelegt, dass Teilnehmerinnen in der Frauenkategorie einen Testosteronwert unter 5 Nanomol pro Liter haben müssen. Frauen wie Caster Semenya oder Dutee Chand könnten ihre höheren Werte mit Medikamenten senken, um starten zu können. Ein Vorschlag, der nach Ansicht der Vereinten Nationen internationale Menschenrechtsnormen verletzt. Der Sportphilosoph Frank Bockrath von der Technischen Universität Darmstadt sieht das ähnlich.
"Sie können sich heute ein drittes Geschlecht in ihren Pass eintragen lassen unter dieser Bezeichnung 'divers' und das ist sozusagen eine offizielle Anerkennung. Und der Sport hat jetzt sozusagen die Verpflichtung oder die Aufgabe, darauf zu reagieren. Ich habe einmal eine Zahl gelesen, dass es ungefähr 150 intergeschlechtlich geborene Kinder pro Jahr gibt in Deutschland. Also so ganz klein ist die Zahl dann doch nicht. Wenn man die vorneherein ausschließen würde, wäre das schon eine Form der Diskriminierung."
Diskriminierung und Gerechtigkeit
Es gibt aber auch einen anderen Blickwinkel auf die Frage der Diskriminierung. Die Ärztin und Athletin Angela Dixon schreibt im British Medical Journal:
"Wenn der aktuelle Grenzwert des Leichtathletikweltverband für Frauen mit natürlicherweise hohen Testosteronwerten aufgehoben wird, dann ist das ein großer Nachteil für die 99% der Frauen mit Testosteronwerten unter 5"
Diese Position vertritt auch der Weltverband in der Pressemitteilung zur Testosteron-Regelung:
"Es geht um ein ausgeglichenes Startfeld und um einen aussagekräftigen Wettkampf in der Leichtathletik, in dem Erfolg auf Talent, Hingabe und hartem Training beruht und nicht auf anderen Faktoren."
Geschlecht als komplexes Konzept
Interessant ist hier der Begriff Talent, denn dazu gehören unbestritten viele angeborene Eigenschaften. Viele Ausdauersportler haben Genvarianten, die zu höheren Hämoglobinspiegeln führen. Unter Sportlerinnen finden sich vermehrt Frauen mit polyzystischem Ovarialsyndrom, die Testosteronwerte um 4 Nanomol haben. Basketballer sind tendenziell groß, Turner eher kompakt. Diese genetischen und biologischen Vorteile werden allgemein akzeptiert. Warum also nicht das angeborene Talent von Caster Semenya?
"Es geht im Sport nicht notwendigerweise darum, immer völlige Gleichheit herzustellen bei den Wettkampf-Ausgangsbedingungen. Aber man kann natürlich Regelwerke dahingehend verändern, dass man versucht, Anpassungen vorzunehmen, wenn man Disfunktionalitäten erkennt."
Beim Boxen oder Ringen gibt es zum Beispiel Gewichtskategorien, um einheitliches Ausgangsbedingungen zu schaffen. Theoretisch wäre es etwas auch für die Testosteronwerte denkbar. Geschlecht ist ein komplexes Konzept, es braucht komplexe Antworten der Leichtathletik - ganz gleich, wie morgen das Urteil des Internationalen Sportgerichtshofs ausfällt.