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Inventur in der Taiga

In wenigen Tagen will der Weltklimarat IPCC seinen fünften Sachstandsbericht veröffentlichen. Für ihre Prognosen brauchen die Klimaforscher auch Daten aus schwer zugänglichen Regionen wie den großen Nadelwäldern der borealen Taiga. Deren Zustand untersucht ein deutsch-russisches Forscherteam per Satellit.

Von Karl Urban |
    Die russische Taiga ist das größte Waldgebiet der Erde. Sie erstreckt sich von Osteuropa bis an den Pazifik, auf einer Strecke von über 6000 Kilometer. Ein Waldgebiet, das wichtig ist für das globale Klima - und über dessen Zustand Wissenschaftler dennoch erschreckend wenig wissen. Eine umfassende Waldinventur, wie sie in deutschen Wäldern alle zehn Jahre gemacht wird, ist in Zentralsibirien völlig unmöglich. Und selbst viele der letzten groben Schätzungen stammen aus Sowjetzeiten und sind damit hoffnungslos veraltet. Christian Hüttich:

    "Vor Ort nachzugucken ist schwierig, weil wir über Millionen von Hektar reden. Wir bearbeiten in unserem Projekt eine Fläche von zwei Millionen Hektar, auf denen Forstinventurdaten vorhanden sind. Das große Ziel des Projekts ist es, satellitenbasiertes Kartenmaterial - Biomasse vor allen Dingen - in das lokale und regionale Waldmanagement zu bringen."

    Das deutsch-russische Projekt, an dem Christian Hüttich von der Universität Jena mitarbeitet, klingt ehrgeizig: Die Forscher haben mithilfe diverser Satelliten aufgezeichnet, wie sich die Taiga innerhalb von vier Jahren verändert hat. Bislang arbeiten die Geografen allerdings nur auf einem Ausschnitt des Riesenwaldes: Der umfasst eine Fläche Zentralsibiriens, die gerade ein Viertel der russischen Wälder überdeckt. Die darin ausgeführte Waldinventur aus dem All ist zudem noch relativ ungenau. Allerdings gibt sie bereits einen groben Überblick: über gerodete und abgebrannte Waldflächen - und neu sprießendes Gehölz. Denn auch das gibt es, so Hüttich:

    "Zu Sowjetzeiten wurden landwirtschaftlich sehr große Flächen bearbeitet und die Ressourcen sind momentan einfach nicht mehr verfügbar - das heißt, die Flächen wachsen so langsam zu. Und es gibt im Prinzip kein Management. Es gibt auf nationaler Ebene so richtig auch keine Zahlen beziehungsweise wissen wir die nicht."

    Vielerorts gibt es einen gegenteiligen Effekt: Weil die Behörden auch den Einschlag kaum kontrollieren können, wird der Taiga dort schwer zugesetzt, sagt Christian Hüttich:

    "Es hängt auch von der Infrastruktur ab: Nahe an Flüssen habe ich verstärkt Entwaldungsprozesse, nahe an Ackerflächen habe ich verstärkt zuwachsende Flächen. Es ist sehr dynamisch und auch sehr komplex."

    Schuld an dem zunehmenden Einschlag ist vor allem die Holzindustrie, in geringem Maße auch der Bedarf nach Brennholz. Ein besonders gewichtiger Faktor sind Brände, die in den letzten Jahren russlandweit wüteten und riesige Waldflächen vernichteten. Deshalb ist der Überblick aus dem All wertvoll: nicht nur für die Behörden, sondern auch für die Arbeit des Intergovernmental Panel on Climate Change, kurz IPCC. Klimaforscher vermuten seit Langem, dass sich die Taiga von einer Kohlenstoffsenke in einen Quell für neue Treibhausgase verwandeln könnte.

    Christian Hüttich: "Wir arbeiten mit Institutionen zusammen, die für IPCC Bericht erstatten, aber auch für Russland direkt Statistiken liefern. Und die Modelle haben eine Unsicherheit: Die Frage ist, welchen Effekt hat Biomasse?"

    Auch für den Erhalt der Taiga sollen die Satellitendaten in Zukunft von Nutzen sein. Bislang ist der Einschlag kaum nachhaltig. Satelliten könnten dagegen kontrollieren, dass nur noch so viele Bäume gefällt werden, wie auch nachwachsen. Für Holzfirmen und Behörden könnte die Arbeit der Jenaer Forscher somit ein Werkzeug sein.

    Doch außerhalb der beteiligten wissenschaftlichen Institute in Russland ist das bislang kaum gelungen. Trotzdem dürften die Informationen aus dem All in den kommenden Jahren weiter anwachsen: Mehrere geplante Umweltsatelliten werden das größte Waldgebiet der Erde immer genauer ins Visier nehmen.