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Investitionsstau und Schulden
Der Tanz um die Schwarze Null

In der deutschen Infrastruktur gibt es einen riesigen Investitionsstau. Die Bundesregierung will aber keine neuen Schulden machen. Sie beharrt auf der Schwarzen Null, also auf keine neue Schulden. Viele Ökonomen halten das für falsch.

Von Katja Scherer | 16.11.2019
Die schwarze Null guckt aus einem aufgerissenen Geldsack heraus.
Die schwarze Null guckt aus einem aufgerissenen Geldsack heraus... (chromorange/dpa)
Es ist ein Montagmorgen, kurz nach neun, als Jochen Alpers sich mal wieder über sein Internet ärgert. Der Unternehmer sitzt am Rechner und will eine Internetseite öffnen – doch das dauert:
"So man sieht aber schon, dass ein flüssiger Aufbau von Internetseiten gar nicht möglich ist. Das heißt also, es erscheinen einzelne Bilder, und es dauert ein paar Sekunden, bis man eine vollständige Internetseite sehen kann."
Der 34-Jährige leitet die Joachim Alpers GmbH, einen 70-Mann-Betrieb für Abbruch- und Bodenarbeiten. Sein Unternehmen sitzt in der kleinen Gemeinde Fredenbeck bei Stade, umgeben von Feldern. Der morgendliche Berufsverkehr vor Alpers Fenstern besteht vor allem aus Traktoren. Idyllisch eigentlich. Nur: Das Internet dort sei so langsam, dass selbst der Versand von E-Mails manchmal schwierig sei, erzählt der Unternehmer:
"Das sind dann so Momente eben, wenn man dann morgens seinen Rechner wieder anschaltet, und man kriegt irgendwelche Emails, dass die gar nicht durchgegangen sind."
Lahmes Internet kein Einzelfall
Für Alpers ein Ärgernis, für Deutschland kein Einzelfall. In vielen ländlichen Regionen lahmt das Internet, weil sich der Ausbau für Telekommunikationskonzerne vor Ort nicht lohnt. Normalerweise müsste daher der Staat den Internetausbau fördern. Zumindest Jochen Alpers aber wartet darauf bisher vergeblich.
"Wir sprechen hier über Standards mittlerweile, wo wir eigentlich erwarten sollten, dass diese Standards schon längst hätten da sein können. Oder besser gesagt müssen. Insofern ärgert mich das schon sehr, dass wir uns über diesen Kram kümmern müssen."
Die Erfahrung von Alpers ist dabei symptomatisch für ein viel größeres Problem: den Investitionsstau in der gesamten Bundesrepublik. Überall im Land sind Brücken marode, klagen Schulen über schlechte Ausstattung, stockt der Ausbau von Stromtrassen. Gleichzeitig hält die Große Koalition rigoros an der Schwarzen Null fest – pocht also auf einen Haushalt ohne neue Schulden. Bundesfinanzminister Olaf Scholz:
"Wir setzen das um, was wir den Bürgern versprochen haben. Über Spielräume, die sich darüber hinaus ergeben, entscheiden wir dann in der Regierung und im Parlament mit Mehrheit, ganz demokratisch. Zur Verlässlichkeit gehört aber auch die Zusage, in guten Zeiten keine neuen Schulden zu machen."
Schwarze Null wird immer stärker kritisiert
Das aber ruft zunehmend Kritiker auf den Plan. Oppositionsparteien, Volkswirte und auch Gegner innerhalb der GroKo werfen der Regierung vor, Weichenstellungen für die Zukunft wegen der Schwarzen Null zu vernachlässigen – so wie kürzlich Katrin Göring-Eckardt, die Fraktionsvorsitzende der Grünen:
"Wenn man sich anschaut, wie sehr Olaf Scholz daran festhält, die Schwarze Null in diesen Haushalt zu implementieren, und wie die CDU und Frau Kramp-Karrenbauer darauf bestehen, dass die Schwarze Null zentral sei, dann kann man nur sagen: Das hat mit Zukunftsfähigkeit nichts zu tun."
Vor allem die Forderung nach mehr Klimaschutz hat die haushaltspolitische Debatte neu befeuert. Manche, wie Gesine Lötzsch von der Partei Die Linke,, wollen dabei nicht nur die Schwarze Null, sondern direkt auch die Schuldenbremse abschaffen.

"Das sind natürlich alles Nebelkerzen. Dass die Schuldenbremse ökonomischer Unsinn ist, das hat sich inzwischen sogar bis in die Reihen ihrer einstigen Befürworter herumgesprochen."
Schulden, Schuldenbremse
Die Schuldenbremse soll die Netto-Neuverschuldung eindämmen, die Schwarze Null komplett vermeiden (imago)
Schwarze Null und Schuldenbremse: Diese beiden Begriffe werden oft nahezu synonym verwendet – sie sind es aber nicht. Lars Feld, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg und Mitglied des Sachverständigenrats für Wirtschaft, erklärt den Unterschied so:
"Man muss unterscheiden zwischen der politischen Idee der Schwarzen Null und der Schuldenbremse, die im Grundgesetz verankert ist. Die Schuldenbremse hat ja eine ganze Reihe von Flexibilitäten, etwa im Konjunkturverlauf, für besondere Ereignisse, während die Schwarze Null auf den Haushaltsausgleich abzielt."
Sprich: Während die Schuldenbremse dem Staat lediglich vorschreibt, dass er sich nur bis zu einer gewissen Höhe neu verschulden darf, sind mit der Schwarzen Null gar keine Neuschulden mehr möglich.
Schuldenbremse lässt viel mehr Spielraum
Christian Kastrop, Direktor des Europaprogramms bei der Bertelsmann Stiftung und früher Unterabteilungsleiter im Bundesfinanzministerium, hat die Schuldenbremse Anfang der 2000er-Jahre mitausgearbeitet. Die Idee sei gewesen, dem Staat eine Art Selbstbeschränkung aufzuerlegen, sagt er:
"Im Prinzip ist die Schuldenbremse entstanden aus der Idee, dass man wirklich langfristig nachhaltige Finanzpolitik unterstützen möchte. Und es war eigentlich damals schon die Idee, dass man eben doch ein dauerhaftes Steigen des Staatsschuldenkontos gesehen hat. Und dafür hat man nach einem Instrument gesucht."
Akut wurde dieses Bedürfnis dann im Zuge der globalen Finanzkrise ab 2008. Damals schnellten die Staatsschulden durch Konjunkturprogramme und Bankenrettungen nach oben; der deutsche Schuldenberg wurde auch in Medien zunehmend dramatisiert:
"Deutschlands Schulden wachsen auf Rekordhöhe" – "Pleitebanken treiben Staatsschulden auf zwei Billionen Euro" – "Die wahre Schuldenlast: Deutschlands große Lüge".
Seit 2016 gilt daher auf Bundesebene, dass die Regierung jedes Jahr maximal neue Schulden in Höhe von 0,35 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung aufnehmen darf. Für die Bundesländer gilt die Regelung in verschärfter Form ab 2020.
Dabei sei die Schuldenbremse durchaus flexibel, sagt ihr Mit-Entwickler Christian Kastrop. So dürfe der Staat, wenn die Konjunktur schlecht laufe und zum Beispiel mehr Arbeitslosengeld gezahlt werden muss, auch mal mehr Schulden machen. Begrenzt würden nur so genannte strukturelle, konjunkturunabhängige Ausgaben:
"Schulden, die für die Schuldenbremse relevant sind, sind dann eben die von politischen Entscheidungen. Wenn ich mich jetzt entscheide, dass ich zum Beispiel die Sozialausgaben oder Bildungsausgaben deutlich erhöhe, unabhängig sozusagen vom konjunkturellen Verlauf, das ist genau das, was die Schuldenbremse verhindert."
Schwarze Null beschränkt finanzielle Spielräume deutlich
Vor allem die CDU habe damals für eine solche Regelung plädiert, erzählt Kastrop. Allerdings gab es aus Sicht der Partei ein Problem: Die Schuldenbremse war zu kompliziert, um damit zu werben. Also beschloss die Parteispitze freiwillig, komplett auf Neuschulden zu verzichten und die gesetzliche Vorgabe überzuerfüllen. Das schränkte zwar die finanziellen Spielräume nochmal deutlich ein, aber es ließ sich gut als Schwarze Null vermarkten.
"Bundeshaushalte ohne Neuverschuldung sollen ab 2015, ab nächstem Jahr, Normalität werden. Wir haben das vor der Wahl versprochen, wir haben das nach der Wahl vereinbart, und das setzen wir jetzt um."

So damals Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Letztendlich erreichte er sein Ziel dann sogar schon 2014. Bis heute ist die Schwarze Null das große Versprechen der CDU, und auch Schäubles Nachfolger Olaf Scholz hält daran fest. Offenbar will der SPD-Politiker beweisen, dass auch er mit Geld haushalten kann.
Und tatsächlich zeigt die Haushaltsdisziplin Wirkung: Die Schuldenlast des Staates, also das Verhältnis von Schulden zur Wirtschaftsleistung, sei deutlich gesunken, sagt Kastrop:
"Die Schuldenquote war in den Jahren nach der Krise auch durch die Übernahme von einzelnen Bad Banks in Deutschland so bei 70, 80 Prozent. Und sie nähert sich jetzt sehr, sehr schnell der 60-Prozent-Grenze - und natürlich kann sie beim Einhalten der Schwarzen Null, kann sie, wenn alle anderen Bedingungen weiter positiv bleiben, sogar sehr stark sinken."
Olaf Scholz (SPD), Bundesfinanzminister, kommt zu der Bekanntgabe des Ergebnis der Herbst-Steuerschätzung
Olaf Scholz (SPD), Bundesfinanzminister, ist ein Verfechter der Schwarzen Null. (dpa/Michael Kappeler)
Absolut nicht weniger Schulden
Absolut betrachtet hat der Staat zwar keine Schulden zurückgezahlt. Aber weil die Regierung netto keine neuen Kredite aufgenommen hat und gleichzeitig die Wirtschaft gewachsen ist, fallen die bestehenden Schulden nun weniger ins Gewicht.
Erstmals seit 2001 kann Deutschland daher in diesem Jahr wohl die Maastricht-Kriterien einhalten, also die Verschuldungsregeln des EU-Stabilitätspaktes. Ein wichtiger Schritt, sagt der Ökonom Jens Südekum von der Universität Düsseldorf. Dennoch findet er, dass nun genug gespart wurde:
"Es geht immer weiter runter, wenn wir praktisch mit der Politik der Schwarzen Null weitermachen würden. Und parallel sind aber, und das ist ja offensichtlich, ganz große Investitionsbedarfe und Mängel in der Infrastruktur sichtbar - und diese beiden Dinge haben miteinander zu tun."
Sichtbar wird dieser Investitionsbedarf nicht nur in Fredenbeck bei Stade, sondern auch im Osten von Hamburg, wo die Autobahn A1 die Bundesstraße B5 kreuzt. Der Präsident der Hamburgischen Ingenieurkammer-Bau Peter Bahnsen stapft dort durch eine Baugrube.
"Wir befinden uns auf einer Baustelle im Hamburger Stadtgebiet, im Stadtteil Billstedt bei einer Brückenbaumaßnahme."
Die Autobahnbrücke dort ist marode und muss erneuert werden, wie zahlreiche andere im Land, erzählt Bahnsen:
"Wie Sie wissen, erfolgte der Neubau der Infrastruktur in den neuen Bundesländern in den 90er-Jahren, und in dieser Zeit und auch in den 2000er Jahre hinein wurde in Westdeutschland relativ wenig an der Infrastruktur, an notwendigen Unterhaltungsmaßnahmen durchgeführt. Und insofern sehen Sie derartige Baumaßnahmen im gesamten westlichen Bundesgebiet derzeit."
Zinskonstellation wird wohl anhalten
Für den Düsseldorfer Ökonomen Jens Südekum ist klar: Künftig muss der Bund vorausschauender und mehr investieren – und sollte das angesichts der aktuellen Niedrig-Zins-Phase am besten durch neue Schulden bezahlen. Aktuell ist es nämlich so: Wenn der Bund Staatsanleihen ausgibt, bekommt er dafür mehr Euro, als er später zurückzahlen muss. Vor allem ist Südekum überzeugt, dass diese günstige Zinskonstellation dem Staat langfristig erhalten bleibt, auch unabhängig vom Handeln der Europäischen Zentralbank. Die Zinsen sänken seit den 1970er-Jahren, sagt er, aus zwei Gründen:
"Das eine ist Demografie. Und das heißt, die Menschen sorgen vor für ihr eigenes Alter und sparen sehr viel. Das andere ist, die Unternehmen: Wir haben heute es mit Internetunternehmen zu tun, der digitalen Welt, vielen Dienstleistungsfirmen, die haben nicht mehr diesen Kapitalbedarf wie früher ein Stahlwerk. Und beide Faktoren drücken auf den Zins."
Durch die Sparer ist also viel Geld im Angebot, gleichzeitig aber gibt es wenig Nachfrage danach: der Zins, als Preis des Geldes, fällt. Soweit eine Theorie. Südekum geht daher davon aus, dass – wenn sich der Staat heute 100 Euro leiht – kommende Generationen kaum belastet werden:
"Denn in zehn Jahren kann die junge Generation genau das tun, was wir heute tun, nämlich diese 100 Euro ablösen durch neue 100 Euro Schulden, zu Zinsen, die ungefähr vergleichbar sind zu heute."
Für den Ökonomen ist klar: Der Zeitpunkt ist günstig, das Geld wird gebraucht. Warum also nicht Investitionen durch neue Schulden finanzieren?
Und er ist nicht der einzige, der so denkt. Selbst sein Fachkollege Michael Hüther vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft, lange ein Verfechter der Schwarzen Null, fordert inzwischen deren Aufgabe.
Staatsschulen als Mittel für Zukunftsinvestitionen?
Während also Staatsschulden noch vor wenigen Jahren als enormes Problem betrachtet wurden, gelten sie plötzlich als probates Mittel für Zukunftsinvestitionen. Dabei sitzt der deutsche Staat nach wie vor auf einem Schuldenberg von fast zwei Billionen Euro – offenbar ohne Ambitionen, diesen je wirklich zurückzuzahlen. Der Volkswirt Jens Südekum erklärt das damit, dass ein Staat anders funktioniere als ein Privathaushalt.
"Ein Privathaushalt, der ist irgendwann tot. Deswegen sagt man, ein Privathaushalt muss seine Schulden tatsächlich zurückzahlen, aber der Staat lebt ewig weiter."
Die meisten Ökonomen gehen daher tatsächlich davon aus, dass ein Staat seine Schulden nie in großem Umfang zurückzahlen muss. Stattdessen werden die Schulden immer wieder erneuert. Es passiert also Folgendes: Sobald eine Staatsanleihe fällig wird, begibt der Staat eine neue; er leiht sich also neues Geld, um den alten Kredit zu begleichen. So bleibt die Höhe der Schulden zwar konstant – der Staat beweise aber immer wieder aufs Neue, dass er in der Lage sei, das geliehene Geld zurückzuzahlen, erklärt der Freiburger Volkswirt Lars Feld:
"Rechtzeitig in vollem Umfang seine Schulden zu bezahlen, ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, an einen günstigen Kredit in der Zukunft zu bekommen."
Solange der Staat also als zuverlässiger Schuldner gilt, sind Staatsschulden an sich für ihn keine Belastung. Er tilgt ja nicht. Das Einzige, was für ihn daran teuer ist, sind die Zinsen. Wichtig sei daher, dass die Zinszahlungen im Vergleich zu den Steuereinnahmen, beziehungsweise der Schuldenstand im Vergleich zur deutschen Wirtschaftsleistung nicht zu hoch würden, sagt Feld:
"Es kommt eigentlich vor allem darauf an, die Schuldenquote zu reduzieren, also den Schuldenstand in Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das ist das Entscheidende, um Spielräume zu haben, wenn es irgendwann mal schlechter läuft und wieder so eine schwere Krise kommt, wie wir sie 2008/2009 gehabt haben."
Fakt ist: Solange der deutsche Staat als zuverlässiger Schuldner gilt und die Zinsen niedrig bleiben, sind Staatsschulden nicht per se problematisch. Anders als der Düsseldorfer Ökonom Jens Südekum rät der Freiburger Ökonom Lars Feld dennoch von neuen Krediten ab:
"Es ist schon so, dass wir eine günstige Situation haben für den Staat, wenn er sich verschuldet. Aber das bedeutet noch nicht, dass man einfach in die vollen gehen darf. Denn das kann sich sehr schnell ändern – beispielsweise wenn wir diese Funktion als sicheren Hafen verlieren würden."
Experte sieht nicht im Geldmangel den Hauptgrund für den Investitionsstau
Feld geht zudem davon aus, dass Geldmangel nicht der Hauptgrund ist für den deutschen Investitionsstau. Widersprüchliche Bau-und Umweltgesetze sowie Klagen von Bürgerinitiativen, etwa gegen den Bau von Stromtrassen, hemmten viel mehr, sagt er.
Peter Bahnsen von der Hamburgischen Ingenieurkammer-Bau kann das – zumindest für den Neubau von Brücken und Autobahnen – bestätigen:
"Ich sehe da nicht in erster Linie ein finanzielles Problem, sondern entsprechende Planungslaufzeiten und hierfür Personal. Wir haben einen ganz erheblichen Fachkräftemangel an Bauingenieuren. Ganz eklatant."
Wenn überhaupt, könnte der Staat also höhere Löhne zahlen, um mehr Personal anzulocken. Das zeigt: Schon die Ursachen für den Investitionsstau sind umstritten. Noch viel mehr ist es aber die Frage, was jetzt zu tun ist. Volkswirt Lars Feld etwa will an der Schwarzen Null festhalten. Er ist dafür, Bürokratie abzubauen und vorhandene Spielräume im Haushalt auszunutzen – auch wenn dabei Verteilungskämpfe wohl programmiert wären:
"Sie haben ja immer die Möglichkeit, auch bei den zukünftigen Ausgaben, die in den einzelnen Ressorts getätigt werden, zu fragen: Sind denn alle Projekte, die wir da finanzieren, notwendig oder können wir da auch ein bisschen was zurückführen."

Dass es im Haushalt finanzielle Spielräume gibt, und vor allem während des jahrelangen Aufschwungs gab, daran zweifelt auch der Düsseldorfer Ökonom Jens Südekum nicht. Die Regierung habe in der Vergangenheit Steuereinnahmen für Mütterrente und Baukindergeld verfeuert, anstatt sinnvoll zu investieren, kritisiert er:
"Ich denke auch, dass viele der Programme, die da gemacht wurden, letztendlich nur Wählergeschenke waren, die man sich besser hätte sparen sollen, ja."
Unabhängig davon ist der Ökonom aber überzeugt, dass es sinnvoll ist, Zukunftsinvestitionen per Schulden zu finanzieren:
"Weil wenn wir immer nur sagen, wir dürfen nur so viel investieren in unsere Zukunft, was gerade die Steuereinnahmen hergeben, das ist eigentlich falsch. Weil das ist dann immer so, mal ist es zu viel, mal zu wenig. Das sollte man voneinander entkoppeln."
Christian Kastrop, der Mitentwickler der Schuldenbremse, plädiert dagegen für einen Mittelweg. Angesichts der gesunkenen Schuldenlast und der niedrigen Zinsen hält er es ebenfalls für vertretbar, neue Schulden aufzunehmen. An der Schuldenbremse brauche man dafür aber nicht rütteln. Es reiche schon, deren Spielräume einmal auszunutzen und sich nicht aus politischen Gründen auf die Schwarze Null zu versteifen:
"Man muss leider sagen, dass das natürlich die Zukunftsmöglichkeiten natürlich dieser Regel eingeschränkt hat. Das kann man aber nicht der Regel anlasten - das ist diese Überinterpretation als Schwarze Null. Ich verstehe auch nicht, warum man sich davon nicht gelöst hat."
Arbeiter reparieren am 26.08.2014 in Leverkusen (Nordrhein-Westfalen) auf der maroden Rheinbrücke der Autobahn A1 die Halterungen der Stahlseile. 
Marode Rheinbrücke: Die Autobahnbrücke bei Leverkusen wird repariert und ist für Lkw gesperrt (dpa / Oliver Berg)

Zudem schlägt Kastrop vor, die Schuldenbremse durch eine Qualitätsregel zu ergänzen, also eine Vorschrift, die besagt, wofür neue Schulden aufgenommen werden dürfen. Das soll verhindern, dass das Geld – wie in vergangenen Jahren – falsch ausgegeben wird:
"Dass man sagen kann, es sind besonders die Ausgaben mit Schulden zu finanzieren, die einen besonders guten Zukunftseffekt haben: Wissenschaft, Bildung, Forschung, Technologie im weitesten Sinne. Das sind die Dinge, in die man eben investieren muss."
Das zeigt: Krampfhaft an der Schwarzen Null festzuhalten, bringt nichts. Viel wichtiger ist zu diskutieren: Wie viel Geld brauchen wir tatsächlich für neue Investitionen? Wie lässt sich das am sinnvollsten finanzieren? Und vor allem: Wie können wir sicherstellen, dass das Geld dann auch für die richtigen Dinge ausgegeben wird?
Dabei helfen Pragmatismus und ein offener Blick auf alle Optionen mehr als politische Dogmen. Auch weil die Geduld der Bürger endlich ist.
Der Unternehmer Jochen Alpers aus Fredenbeck etwa hat nun Kontakt zum Land Niedersachsen aufgenommen. Sein letzter Versuch, doch noch mit Hilfe des Staates zu schnellerem Internet zu kommen:
"Da wird erstmal positiv vorausgeschaut, dass ein Ausbau kurzfristig stattfinden soll. Bloß diese Aussage, dass ein Ausbau kurzfristig stattfinden soll, hören wir schon seit zweieinhalb Jahren. Und irgendwo fängt man dann an, an dem ganzen zu zweifeln."
Bis Ende des Jahres will er noch warten. Dann, sagt er, bleibe ihm wohl nichts anderes übrig, als die Internetleitung auf eigene Kosten ausbauen zu lassen.
Kabel für den Breitband-Internet-Ausbau liegen auf einer Wiese zwischen Grashalmen, im Hintergrund ist schemenhaft ein Haus zu erkennen.
Kabel für einen Breitband-Internetanschluss: In Deutschland ist er vielerorts noch nicht vorhanden (imago images / Manngold)