Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Irak
"Die USA hoffen, dass ein Wunder geschieht"

Der Politikwissenschaftler Thomas Jäger hält die USA für unfähig, eine politische Lösung für den Konflikt im Irak zu finden. Auch eine militärische Strategie lasse die Regierung von Barack Obama vermissen, sagte er im DLF. Die Waffenlieferungen an die Kurden bezeichnete er als "ziemlich gewagt."

Thomas Jäger im Gespräch mit Sandra Schulz | 12.08.2014
    Auf dem Flugzeugträger "USS Ronald Reagan" steht ein Kampfjet, daneben sind einige Menschen zu sehen.
    Thomas Jäger fürchtet, dass die Regierung von Präsident Obama momentan nicht absehen kann, in welche Situation sie die Militärschläge im Irak führen wird. (picture alliance / dpa / Bruce Omori)
    Sandra Schulz: Seit Ende letzter Woche fliegen die USA wieder Luftangriffe im Irak, zweieinhalb Jahre, nachdem sie sich aus dem Land zurückgezogen haben, versuchen sie jetzt, die islamistischen Terrormilizen im Nordirak zurückzuschlagen oder zumindest entscheidend zu schwächen. Weiter unübersichtlich bleibt die politische Lage. Die Zusammenfassung von Tim Assmann.
    Und der nominierte Regierungschef Abbadi, die bekommt jetzt aus Washington das, was dem amtierenden Chef der Regierung, al-Maliki, schon so lange fehlte. Dazu Sabrina Fritz.
    Und telefonisch bin ich jetzt verbunden mit Professor Thomas Jäger von der Universität zu Köln. Guten Tag!
    Thomas Jäger: Grüß Gott, Frau Schulz!
    Schulz: Rückendeckung von US-Präsident Barack Obama für den jetzt nominierten Regierungschef Abbadi - was bringt ihm die?
    Jäger: Ja, das muss man sehen. Das ist ja noch nicht ausgemacht, wie das im Irak nun wirklich weiter geht. Die Vereinigten Staaten sahen sich Mitte, Ende letzter Woche gezwungen, einzugreifen, und haben eigentlich nur ein bestes Szenario vor Augen. Wenn alles positiv verläuft und es wirklich im Irak eine Regierung der nationalen Einheit gibt und den Terrorgruppen der alte sunnitische Saddam-Block sozusagen weggenommen wird, dann könnte es eine Lösung für den Irak geben. Das ist die positive Perspektive, an die man sich klammert. Alles andere sind eigentlich ziemlich schreckliche Szenarien.
    "Möglich, dass Luftanschläge ausgeweitet werden müssen"
    Schulz: Wenn wir jetzt auf die militärische Auseinandersetzung schauen, die ja parallel läuft unvermindert natürlich zur politischen Auseinandersetzung - US-Präsident Obama rüstet jetzt die Kurden auf - wie gewagt ist das?
    Jäger: Das ist ziemlich gewagt. Und da sind wir eben bei den viel realistischeren und viel schrecklicheren Szenarien, denn es ist ja einerseits gut möglich, dass diese bisher wenigen Luftschläge - 17 Angriffe sind bisher geflogen worden, sich drastisch ausweiten müssen. Es gibt zweitens eine ganz Reihe von Szenarien, die die Vereinigten Staaten mit mehr als ihren wenigen hundert Militärberatern wieder in den Konflikt wieder hineinziehen würden. Und schließlich auch selbstverständlich das Problem, dass man hier mit den Kurden eine Gruppe aufrüstet, die momentan Territorialgewinne im Irak zu unternehmen versucht, die einen eigenen Staat bilden will, die raus will aus dem Irak, und das würde diesen gesamten Prozess, die Grenzen in der Region neu zu ziehen, natürlich mit einer ungeheuren Dynamik versehen.
    Schulz: Also es wäre vorstellbar, dass also, wenn dieser akute Konflikt beigelegt ist, dann in einem nächsten Schritt die Kurden mit den Waffen, die sie aus den USA bekommen, möglicherweise um einen eigenen Staat kämpfen.
    Jäger: Das ist jedenfalls nicht ganz ausgeschlossen. Und das war ja der Grund, der die amerikanische Regierung bisher sehr vorsichtig damit umgehen ließ, hier Waffenlieferungen vorzunehmen. So hat man eine ganze Reihe von Waffen in die Region geliefert - die mäandern dann ja auch rum und sind an ganz anderen Orten zu finden -, die sich immer wieder auch gegen die eigenen Interessen gerichtet haben. Das Grundproblem ist, dass die amerikanische Regierung, obwohl sie Militärschläge begonnen hat, über keine militärische Strategie verfügt, die den Konflikt lösen kann, und gleichzeitig ihre politische Strategie darauf hofft, dass in Bagdad ein Wunder geschieht.
    "Regimewechsel führt nicht immer zum Positiven"
    Schulz: Heißt das auch, dass die Menschen im Irak, die Zehntausenden und Hunderttausenden von Flüchtlingen, dass die jetzt die Suppe auslöffeln müssen, die die USA ihnen eingebrockt hat.
    Jäger: Die löffeln sie seit ganz, ganz vielen Jahren aus. Das ist ja eine Situation, die letztlich losgetreten wurde mit dem amerikanischen Einmarsch im Irak, an den sich all das anhängt, was wir im Land und an den Grenzen seither beobachten können. Und es wird, wenn Sie so wollen, mit jedem Mal schlimmer, wenn eingegriffen wird. Das Grundproblem besteht darin, dass man eben einen Konflikt zwischen den Volksgruppen, wie es immer heißt, zwischen diesen unterschiedlichen politischen Gruppen, würde ich sagen, den Schiiten, den Sunniten und den Kurden, losgetreten hat, der schon relativ rasch dazu geführt hat, dass man auch in Washington über eine Teilung des Iraks nachgedacht hat. Und der, der das als Erster ins Spiel gebracht hat, war der jetzige Vizepräsident Biden. Das hat man damals vom Tisch gewischt unter der Regierung Bush, aber möglicherweise ist das eine Perspektive, die eben auch immer noch dort in den Köpfen hängt.
    Schulz: Also war das Grundproblem der Einmarsch, der aus Europa ja auch kritisiert worden ist und für falsch gehalten wurde, oder das Management danach?
    Jäger: Beides miteinander. Das lässt sich so ja nicht trennen. Es gab selbstverständlich ein gutes menschenrechtliches Argument gegen das Regime von Saddam Hussein, aber es war ebenso bekannt, dass auf diese Art und Weise Konflikte, die im Irak herrschten, unterdrückt wurden, brutal unterdrückt wurden, so wie wir das ja ganz ähnlich ja auch in Libyen beobachten konnten, wo eben auch ein brutales Unterdrückungsregime hinweggefegt wurde militärisch, und die Situation jetzt im Chaos geendet ist. Es ist eben so, dass dieser Regimewechsel nicht immer zum Positiven führt, und im Irak eben bisher überhaupt nicht ins Positive geführt hat.
    "Wahl zwischen Pest und Cholera"
    Schulz: Herr Jäger, ich will nicht zynisch sein, aber war Saddam schlimmer oder die Situation im Irak jetzt?
    Jäger: Na ja, das ist die Wahl zwischen Pest und Cholera, und da wird man sich im Zweifelsfall für keines von beiden entscheiden wollen. Aber wenn man eingreift, und das gilt jetzt mit Blick auf die Regierung von George W. Bush, dann muss man sich über die Gefahren bewusst sein. Und die wurden damals in der Regierung völlig missachtet. Sie wurden da, wo sie gesehen wurden, völlig unterschätzt, und heraus kam eben diese katastrophale Situation. Und man mag befürchten, dass auch die Regierung von Präsident Obama momentan nicht wirklich absehen kann, in welche Situation sie diese ersten Militärschläge wirklich führen wird.
    Schulz: Und darf Obama oder vielleicht auch die Menschen im Irak, dürfen die jetzt von Europa was erwarten?
    Jäger: Die Europäer werden sich weitgehend raushalten. In Deutschland ist ja eine kurze Diskussion aufgeflackert, ob man jetzt auch Waffen liefern müsste. Da gibt es scheinbar einen breiten Konsens dagegen. Und es gibt in anderen europäischen Staaten Hinweise darauf, dass man humanitäre Hilfe leisten will. Frankreich hat das begonnen. Das werden die Menschen erwarten können, humanitäre Hilfe. Die wird die Lage möglicherweise ein wenig entspannen. Was nicht zu erwarten sein wird, wird eine wirkliche Unterstützung bei der Lösung der politischen Aufgabe. Aber da befürchte ich, das werden auch die Vereinigten Staaten letztlich nicht hinbekommen.
    Schulz: Professor Thomas Jäger von der Kölner Uni heute hier in den Informationen am Mittag im Deutschlandfunk. Danke Ihnen!
    Jäger: Sehr gern!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.