Dienstag, 19. März 2024

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Kurden im Irak
Bartels: Deutschland muss keine Waffen liefern

SPD-Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels (SPD) sieht keinen Anlass für deutsche Waffenlieferungen an die Kurden im Irak. Vielmehr seien die USA in der Pflicht. Sie könnten viel schneller helfen und hätten außerdem im Irak eine größere Verantwortung, sagte er im DLF.

Hans-Peter Bartels im Gespräch mit Christiane Kaess | 12.08.2014
    Der SPD-Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels
    Der SPD-Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels (dpa / picture alliance / Stephanie Pilick)
    "Helfen müssen die, die schnelle Hilfe leisten können," sagte Bartels. Deutschland engagiere sich in näher gelegenen Regionen wie der Ukraine oder dem Balkan.
    Eine Diskussion darüber, von welchem europäischen Land möglicherweise wann Waffen geliefert würden, hätte lediglich einen symbolischen Wert. Außerdem seien genug Waffen in der Region. Die EU und damit auch Deutschland würden in der Region gebraucht, jedoch nicht in erster Linie als Waffenlieferant.
    Nichtsdestotrotz sei auch Deutschland natürlich daran interessiert, dass der Irak stabilisiert werde. "Wir kritisieren die Waffenlieferungen der USA nicht. Das ist jetzt lebensrettend, um einen Fluchtweg frei zu machen."
    Die Ansage der Bundesregierung, grundsätzlich keine Waffen in Krisengebiete zu liefern, sei kein Dogma "für immer und überall", jedoch sei Deutschland in diesem Konflikt nicht der erste Ansprechpartner.

    Das Gespräch in voller Länge:
    Christine Kaess: Die Bilder dieser menschlichen Katastrophe erschüttern uns seit Tagen, Zehntausende sind im Irak auf der Flucht vor dem Terrorregime des sogenannten Islamischen Staates. Ein Großteil von ihnen sitzt im Sindschar-Gebirge fest, ohne Nahrung, ohne Wasser, schutzlos der sengenden Sonne ausgesetzt. Die USA fliegen Luftangriffe gegen die Terroristen und unterstützen damit die Einzigen, die sich bisher den Islamisten zumindest teilweise erfolgreich entgegengestellt haben, die Kurden in der Region. Mittlerweile ist auch hierzulande die Diskussion darüber in Gang gekommen, ob diese kurdischen Kämpfer mit Waffen beliefert werden sollen.
    Am Telefon ist Hans-Peter Bartels von der SPD, er ist Vorsitzender des Verteidigungsausschusses des Bundestages. Guten Morgen!
    Hans-Peter Bartels: Guten Morgen!
    Kaess: Herr Bartels, mehrere deutsche Politiker haben sich mittlerweile für Waffenlieferungen an die Kurden ausgesprochen. Wir hören mal, was der CDU-Außenpolitiker Karl-Georg Wellmann gestern bei uns im Programm gesagt hat.
    O-Ton Karl-Georg Wellmann: Ich berufe mich auf den Bundespräsidenten, der ja in diesem Jahr schon mehrfach gesagt hat, bei schweren Menschenrechtsverletzungen, bei Völkermord, bei Kriegsverbrechen, bei ethnischen Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit können wir nicht zugucken. Wir sind in der Situation, die mir allmählich peinlich wird, den Deutschen peinlich wird, dass die Amerikaner wieder eingreifen. Wer hilft ihnen in Europa? - die Franzosen, die Engländer. Und wir sagen, wir liefern ein paar Zelte und wir legen noch eine Million drauf und wir nehmen noch ein paar Flüchtlinge auf, die den Mordbränden da unten entkommen sind. Das geht nicht, das ist zu wenig.
    Waffenlieferung der USA: "Wir unterstützen das"
    Kaess: Sagte der CDU-Außenpolitiker Karl-Georg Wellmann. Herr Bartels, wird es auch Ihnen peinlich?
    Bartels: Nein, helfen müssen jetzt diejenigen, die nah dran sind und die schnelle Hilfe leisten können. Das sind nun mal in erster Linie die Amerikaner. Sie haben einen Flugzeugträgerverband in der Nähe, sie haben den Stützpunkt in Incirlik in der Türkei, von dem aus sie Hilfsflüge sofort starten können und das ja nun auch machen. Die Amerikaner rüsten die kurdischen Truppen mit Waffen aus. Aber schon da wird es ja ein bisschen schwierig, sie kämpfen damit gegen die Waffen, die sie den irakischen Truppen vor Jahren geliefert haben und die nun in die Hände der Aufständischen gefallen sind. Aber richtig ist, den Kurden muss geholfen werden. Und diejenigen, die das am besten, am schnellsten jetzt können, sind die Amerikaner. Und wir haben das überhaupt nicht zu kritisieren, sondern unterstützen das.
    Kaess: Und das heißt, den Kurden sollten auch Waffen geliefert werden, ganz explizit?
    Bartels: Das sollten jetzt die Amerikaner tun, verantwortungsvoll. Es geht nicht um die Ausrüstung einer ganzen eigenen Armee, sondern es geht insbesondere um Zusatzausrüstung, Nachtsichtgeräte, um Munition für Waffen, die schon da sind.
    Kaess: Warum sollten das nur die Amerikaner tun?
    Bartels: Weil sie das können und weil sie das jetzt schnell können und weil sie eine besondere Verantwortung im Irak haben.
    Diskussion über Lieferungen aus der EU "symbolische Politik"
    Kaess: Und die Deutschen haben gar keine Verantwortung?
    Bartels: Nein, wir haben eine Verantwortung mit unseren europäischen Partnern gemeinsam, wir wollen, dass diesem Morden ein Ende gemacht wird, wir wollen, dass Stabilität in den Irak einkehrt. Dafür sind die Anstrengungen wichtig, wo sich übrigens auch die Amerikaner besonders engagieren, die auf die Bildung einer gemeinsamen übergreifenden irakischen Regierung zielen. Denn das, was wir erleben im Westen des Irak und in Teilen des Nordens, ist ja, dass sich auch sunnitische Stämme mit diesen gar nicht so zahlenstarken Truppen des Islamischen Staates verbündet haben, aus Gegnerschaft zu der schiitischen Regierung, die sie bekämpfen.
    Kaess: Sie haben die europäischen Partner gerade angesprochen. Mit dabei bei den Einsätzen in der Region sind ja auch Frankreich und Großbritannien und der französische Außenminister Laurent Fabius hat die EU nachdrücklich aufgerufen, auf die Forderungen des Kurden-Präsidenten Masud Barzani einzugehen, der wiederum eine Bewaffnung verlangt. Wie groß kann denn der Druck auf Deutschland als ja durchaus sehr wichtiges Land innerhalb der EU von den anderen EU-Partnern noch werden, doch eben auch bei den Waffenlieferungen mitzumachen?
    Bartels: Es geht jetzt wirklich nicht um symbolische Politik, es geht darum, dass jetzt in diesem ...
    Kaess: Wieso sind Waffenlieferungen symbolische Politik?
    Bartels: In der EU jetzt darüber zu diskutieren, wer wann wem Waffen liefert, ist jetzt symbolische Politik. Die Franzosen und die Briten werden da auch keinen substanziellen Beitrag leisten, sondern den substanziellen Beitrag leisten jetzt die Amerikaner, weil sie es können, weil sie da sind, weil sie eine besondere Verantwortung haben. Die Europäische Union wird sicher noch gebraucht für Hilfe in der Region, nicht nur Irak, auch Syrien, Ausgangspunkt von Bürgerkriegen, dort ist eines unserer Themen. Aber das wird nicht in erster Linie die Ausrüstung von Truppen dort sein. Es sind Waffen genug in der Region, es sind Waffen für die irakische Armee in der Region, die übrigens jetzt von der irakischen ...
    Hilfe der USA: "Das ist lebensrettend"
    Kaess: Warum müssen dann die Amerikaner dennoch weiter Waffen liefern? Das haben Sie ja gerade selber auch so gesagt.
    Bartels: Weil die jetzt schnell dorthin kommen müssen, wo man sonst anders nicht hinkommen kann. Waffen sind da, die irakische Armee ist ausgerüstet worden, die irakische Armee versucht auch - schwierig genug -, die Kurden zu unterstützen. Mit allen Vorbehalten, die man dort wieder hat, weil man auch sozusagen kurdische Autonomie nicht zu weit gehen lassen will. Man will nicht, dass diese Waffen dann irgendwann gegen die irakische Zentralregierung, wenn es wieder eine gibt, eingesetzt werden. Also so, wie jetzt die Waffen der irakischen Armee eingesetzt werden gegen Kurden, erbeutet von den IS-Milizen.
    Kaess: Also die Gefahr, dass der Konflikt dadurch eigentlich noch mehr eskaliert?
    Bartels: Also, jedenfalls ist es nicht die Frage, gibt es überhaupt Waffen in der Region. Die Waffen sind da, die Kurden haben sicher im Moment ein Nachschubproblem, was Munition angeht, da helfen die Amerikaner sehr schnell und sie haben ein Problem, dass sie natürlich über keine eigene Luftwaffe verfügen, da greifen die Amerikaner jetzt mit den Flugzeugen von ihrem Trägerverband aus ein. Und das kritisieren wir nicht, das ist lebensrettend, das ist genau richtig. Jetzt muss ein Fluchtweg freigemacht werden, freigekämpft werden durch kurdische Kämpfer für die im Sindschar-Gebirge festsitzenden jesidischen Flüchtlinge.
    Kaess: Herr Bartels, wir wissen ja nun alle nicht, wie lange dieser Konflikt noch dauert und in welche Richtung er gehen wird. Wenn wir noch mal bei diesen Waffenlieferungen bleiben: Die deutsche Regierung hat die ja bisher immer abgelehnt mit der Begründung, Deutschland liefere keine Waffen in Konfliktzonen. Muss das angesichts des Ausmaßes dieses Konflikts letztendlich doch überdacht werden, diese Haltung?
    Bartels: Das ist kein Dogma für immer und überall, aber an dieser Stelle sind wir nicht der Ansprechpartner für die Ausrüstung von irakischer Armee oder kurdischen Truppen. Wie gesagt, die Waffen sind da, die Amerikaner bemühen sich auch im Moment, das genau da hinzubringen, wo es jetzt gebraucht wird. Wir werden - ein ganz anderes Beispiel, anderer Kontinent, Afrika - zum Beispiel auch dafür gebraucht, um nach Konflikten mit der Europäischen Union Ausbildungsmissionen zu leiten, damit Sicherheitskräfte aufgebaut werden, die überhaupt im eigenen Land für Sicherheit sorgen können.
    "Ganz andere Logik als Rüstungsexporte"
    Kaess: Da können wir gleich noch ein bisschen näher drauf eingehen, aber eine Frage habe ich doch noch zu der Haltung der Bundesregierung gegenüber Waffenlieferungen: Ist diese Begründung nicht auch scheinheilig? Denn Deutschland liefert ja auch Waffen an die Golfstaaten und an Israel zum Beispiel, das sind ja auch Konfliktgebiet.
    Bartels: Ja, und schlimmer noch, das sind Gebiete, von denen aus Terror finanziert wird. Also, das, glaube ich, ist ein Aspekt, der immer ein bisschen unterbeleuchtet ist in der Rüstungsexportdiskussion. Hier, wenn wir jetzt über Nachschub für kurdische Milizen reden, reden wir nicht über Rüstungsexport, sondern das ist Soforthilfe insbesondere, was Munition, möglicherweise auch Treibstoff angeht. Das ist aber nichts, das mit Rüstungsexport in erster Linie zu tun hat, da werden ja keine Verträge geschlossen, mit wem denn dort? Da ist nichts zu genehmigen durch den Bundessicherheitsrat. Wenn man so was machen würde, wie es die Amerikaner tun, dann folgt das einer ganz anderen Logik als Rüstungsexportverträge, die einer Genehmigung bedürfen, wenn es in andere Staaten geht. In welchen Staat ginge das denn hier jetzt? Insofern ist das nicht das Thema. Aber das Thema ist schon sehr richtig umrissen, wenn Sie die Golfstaaten ansprechen, denn von der arabischen Halbinsel ist der Aufbau dieser Organisation ISIS oder IS, Islamischer Staat, massiv unterstützt worden.
    Kaess: Schauen wir zum Schluss noch auf die humanitäre Hilfe, die Sie angesprochen haben. Unionsfraktions-Vize Andreas Schockenhoff hat gestern gesagt, für den Fall eines UN-Mandats könnte sich die Bundeswehr an der Absicherung von Hilfstransporten vor Ort beteiligen. Wir sprechen jetzt über den Irak. Ist das eine Option?
    Bartels: Das ist immer eine Option, aber ich würde hier nicht die erste Frage vor der zweiten stellen. Erst mal brauchen wir eine Lösung dort. Und sozusagen die Hilfe, die jetzt da hinkommen kann, die kommt über die Luftbrücke der Amerikaner.
    Kaess: Aber hätte die Bundeswehr die technischen Möglichkeiten und wäre entsprechend auch ausgestattet, um daran teilzunehmen?
    Bartels: Die Bundeswehr ist im Prinzip immer in der Lage, einen Beitrag zu leisten. Aber das machen wir nicht als Deutsche allein, sondern wenn es Missionen irgendwo auf der Welt gibt, dann tun wir das im Bündnis mit den Europäern, mit der NATO oder in einer UN-Mission. Darüber reden wir aber jetzt noch gar nicht, insofern ist die Frage über einen deutschen Beitrag nicht die erste, die zu beantworten wäre.
    "Wir engagieren uns in Regionen, die uns näherliegen"
    Kaess: Herr Bartels, es wird in diesen Tagen viel kritisiert, dass es keinen Plan für den Irak gäbe. Wäre es an der Zeit, mal sich Gedanken über eine Strategie zu machen?
    Bartels: Sicher, es ist aber nicht die erste Frage an Deutschland, noch mal: Wir sind nicht das eine Land, das die Probleme der Welt im Alleingang löst.
    Kaess: Aber dazu beitragen könnte!
    Bartels: Absolut! Wir engagieren uns in bestimmten Regionen, die uns näherliegen sehr, Beispiel Balkan, Beispiel Ukraine. Es gibt andere Regionen, wo andere Nationen besondere Verantwortung übernommen haben, in diesem Fall sind das die Amerikaner. Und das ist eine sehr, sehr leistungsfähige Nation, da müssen wir uns nicht an die Stelle der Amerikaner setzen.
    Kaess: Die Meinung von Hans-Peter Bartels von der SPD. Er ist Vorsitzender des Verteidigungsausschusses des Bundestags, danke für das Interview heute Morgen!
    Bartels: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.