Archiv


"Irgendwie ist es auch ein Zurück zu den Anfängen"

In Frankreich bringt Tryo seit 17 Jahren das Publikum mit ihren politischen Songs zum Toben. "Wir hatten schon immer dieses Etikett einer Band, die sich engagiert", sagt Schlagzeuger Daniel Bravo. Mit ihrer Musik nehmen sie klar Stellung zum Umweltschutz, rechtsextremen Parteien und Marine Le Pen.

Die Fragen stellt Camilla Hildebrandt |
    Camilla Hildebrandt: Daniel, "Ladilafé", der Titel des neuen Albums, ist eine Hommage an Patricia Bonnetaud, die Tryo entdeckt hat. Sie hat damals bei einem großen Plattenlabel gearbeitet und war immer wie eine Mutter für die Band. Wie war das Zusammentreffen?

    Daniel Bravo: Das war auf einem Sommerfestival, ich glaube 1997, spät in der Nacht an der Bar. Es war unser erstes Treffen mit jemandem von einer Plattenfirma. Und ehrlich gesagt hatten wir große Angst. Aber sie hat uns sofort verstanden, sie sagte: OK, alle großen Labels wollen euch jetzt sehen, macht eure Tour, und dann sprechen wir uns wieder. Sie hat uns alles beigebracht, uns beschützt, kann man sagen. Dieses Jahr hat sie uns nach sehr langer Krankheit verlassen. Patricia hat immer für ihre Bands gekämpft. Und dieser Song Ladilafé, den sie ausgesucht hat, der bedeutet "ella la dit, elle la fait" – "Sie hat es gesagt und auch getan". Eine Hommage an diese große Frau der Musik, denn Leute wie sie werden gebraucht. Es gibt nicht viele davon, die im Musikbereich arbeiten und sich wirklich für die Bands, auch Unbekannte einsetzen.

    Hildebrandt: "Ladilafé" ist aber kein Lied über den Tod, sondern über das Leben.

    Bravo: Genau, es ist ein Song an das Leben. Sie hat uns wirklich eine große Lektion erteilt, denn Patricia hat bis zum letzen Atemzug gekämpft, für ihre Bands, für das Leben, für die Welt, an die sie geglaubt hat. Deswegen ist es ein Lied voller Freude und Hoffnung, denn so war sie. Wir kennen alle jemanden, der gegen den Tod, gegen Krankheit oder Depressionen ankämpft. Es ist ein sonniger Song. Und es ist unsere Art Patricia lebendig zu halten, sie auf die Tour mitzunehmen, jetzt durch Deutschland und weit darüber hinaus!

    Hildebrandt: Jetzt sind Sie das erste Mal in Deutschland, nach über 15 sehr erfolgreichen Jahren in Frankreich, kontinuierlicher Zusammenarbeit mit Greenpeace - und hier kennt man Sie kaum, ich muss ehrlich sein. Wie fühlen Sie sich in Bezug auf die Tournee?

    Bravo: Wir sind sehr aufgeregt, was die Tour hier in Deutschland angeht, denn irgendwie ist es auch ein Zurück zu den Anfängen. In Frankreich touren wir durch die großen Konzerthallen, mit einem riesen Spektakel, wir sind insgesamt 35 Leute, super Musiker. Und jetzt kommen wir wieder zu uns selbst zurück, wie es am Anfang war, lernen das Publikum kennen mit unserer Freude und Leidenschaft. Es ist ein guter Start für eine neue Geschichte.

    Hildebrandt: Sie haben in Ihren Liedern immer das zur Sprache gebracht, was Sie wollten; ist das auch das Motto der Band: Tryo handelt, die Band sagt, was sie will?

    Bravo: In unseren Songs geht es immer darum, was uns bewegt und aufwühlt. Wir hatten schon immer dieses Etikett einer Band, die sich engagiert. Denn es gibt ja genug, die das überhaupt nicht tun. Aber wie alle menschlichen Wesen sind wir nicht nur Politik und Musik, sondern bei uns geht es auch um Liebe. Auf dieser CD gibt es eine Reihe an Hommagen, ja sie ist gut ausbalanciert, finde ich. Auf jedem Album von Tryo geht es um Politik, Umweltschutz, aber auch um Leichtigkeit und Liebe.

    Hildebrandt: In Ihren politischen Songs geht es um Hass gegen Schwule, um den Arabischen Frühling, und Sie erzählen von Marine Le Pen, der Tochter von Jean Marie Le Pen von der extremen Rechten. Was ist die Botschaft: man muss sehr vorsichtig sein mit Marine, denn diese Frau ist bereit alles zu tun, um an die Macht zu kommen?

    Bravo: Das ist ein Song, der leicht daherkommt, aber das Thema ist sehr ernst. Marine macht uns wesentlich mehr Angst als ihr Vater, denn er war eine Karikatur. Wir waren uns sicher, dass er nie an die Macht kommen würde. Marine aber weiß ganz genau, wie sie sprechen und sich verhalten muss, um auch bei den jungen Leuten heute gut anzukommen. Ja, sie ist wirklich sehr bedacht darauf, an die Macht zu kommen, und das macht uns sehr große Angst. Und in diesem Song geht es um die "kosmetische Politik", die sie seit Jahren betreibt.

    Hildebrandt: Wie hat die extreme Rechte auf den Song reagiert?

    Bravo: Noch haben sie gar nicht reagiert, keine Ahnung, ob sie ihn gehört haben. Es gab ein paar sehr heftige Artikel, aber bis jetzt gab es keine Antwort von ihnen.

    Hildebrandt: Seltsam…

    Bravo: Ja, das macht Angst.

    Hildebrandt: Sie erzählen in einem Stück auch vom Recht zu sterben, ein sehr bewegendes Lied, finde ich, wie ist es entstanden?

    Bravo: "Mourir la mort", den Tod sterben, ja Christophe ließ sich durch das Buch "Schmetterling und Taucherglocke" inspirieren - über einen Mann, der am Loked-In-Syndrom leidet -, durch das Thema, in Würde sterben zu können. Das bewegt uns sehr. Wir wollten das Lied schon auf der letzten CD veröffentlichen, aber wir haben es nicht gewagt, da es ein sehr schweres Thema ist. Jetzt schafft es ein wirkliches Gleichgewicht auf der CD. Ein aktuelles Thema. Es kann jeden treffen, von einem Tag auf den anderen, und dann wollen wir, dass wir in Würde sterben dürfen."

    Hildebrandt: Was dieses Mal anders ist, das ist die Musik. Vorher war sie vor allem akustisch, drei Gitarren, Percussion; jetzt wollten Sie spielen, haben Sie mal gesagt. Sie haben unter anderem mit dem bekannten Trompeter Ibrahim Maalouf zusammen gearbeitet und mit DJ Shalom.

    Bravo: Schon seit "Grain de sable", also seit den letzten drei Alben, sag ich Mal, haben wir musikalisch die Türen aufgemacht. Die Identität der Gruppe, das sind neben dem Reggae auch die drei Stimmen. Aber es ist richtig, wir haben immer mehr die Einflüsse von uns Vieren zugelassen, das geht von Metal über Ska, Rock, Brasilianische Musik, Worldmusic bis zu Elektro. Jetzt wollten wir noch weiter gehen, wir wollten ein energetischeres Album, tanzbarer. Wir hatten große Lust zu experimentieren, mehr Elektro, mehr Bass. Wir haben es zum Beispiel gewagt für den Song "Nous génération" - "unsere Generation" DJ Shalom einzuladen und festgestellt, dass er wie ein Instrument ist. Ja, vielleicht hatten wir vorher ein falsches Bild davon, was ein DJ heute macht. Die Zusammenarbeit hat uns sehr gefallen. Ich glaube, dass es noch viele musikalische Türen zu öffnen gibt.

    Hildebrandt: Das heißt, man wird auch älter bei Tryo, es wird auch über die älteren Menschen geredet, wie sie sich fühlen. Ich finde, das ist eine sehr schöne Etappe in der Geschichte und Entwicklung der Band, oder?

    Bravo: Naja, es stimmt schon, dass es die Band nun seit 17 Jahren gibt und ja, das ist vielleicht eine Art Bestandsaufnahme. Wir befinden uns zwischen zwei Generationen, fast alle in der Band haben Kinder. Wir sind nicht mehr in der Situation, dass unsere Eltern uns wachsen sehen, sondern wir erleben unsere Kinder, wie sie größer werden. Als die Band entstanden ist, da gab es noch kein Internet. Wir sehen die Welt sich verändern. Das fühlt man natürlich auf dem neuen Album, denn jedes Einzelne repräsentiert unseren momentanen Zustand. Also ja, wir sind älter geworden, aber auf der Bühne werden Sie merken: das sieht man nicht! (lachen)

    Hildebrandt: Da bin ich mir sicher!

    Bravo: Wir sind dieselben wie früher, vielleicht noch schlimmer!

    Hildebrandt: Sie singen immer noch über die Umwelt, der erste Song heißt "Greenwashing", aber heute ist es auch eine Kommerzielle Sache, sich für die Umwelt zu engagieren, haben Sie mal gesagt:

    Bravo: An diesem Song sieht man, wie die Zeit vergeht, ja. Vor 17 Jahren haben wir die "L'hymne de nos campagnes" - "Hymne unserer Kampagnen" gesungen und wurden als alte Hippies abgestempelt, die nur Gemüse essen. Greenwashing spiegelt das wieder, was heute aus der Ökologie geworden ist: ein weltweit großes Thema. Aber heute hat es auch viel Werbewert. Greenwashing erzählt davon, dass wir heute alle ökologisch-grün in unserer Haltung sein wollen. Aber das wird immer schwieriger. Deshalb ist es ein Appell an die Regierung: durch Gesetze muss etwas Grundsätzliches verändert werden.

    Hildebrandt: Was ist die Zukunft der Band nach 17 Jahren? Ihre Kinder werden mit Ihnen zusammen auftreten, oder noch 15 Jahre mehr?

    Bravo: (Lachen) Was mich angeht, nein, die sind noch sehr klein. Jetzt kommt die Tour durch Deutschland, dann geht es in Frankreich weiter. Wir sind mittendrin in der Show, in dem momentanen Projekt. Die Zukunft der Band? Das wird die Musik sein. Wir sind keineswegs bereit aufzuhören, denn nach 17 Jahren Zusammenleben sind wir noch mehr aneinander und an unsere Musik gebunden als vorher. Träume? Klar gibt es die noch. Wir haben Lust, uns jedes Mal überraschen zu lassen mit jedem Song und jedem Auftritt. Und das klappt! Wir nehmen uns auch sehr viel Zeit dafür und haben ein Publikum, das uns das erlaubt. Also werden wir weiterhin da sein, um uns gegenseitig Träume zu ermöglichen.

    /Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Cover des neuen Albums "Ladilafé"
    Cover des neuen Albums "Ladilafé" (Sony Music)