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Islam als Studienfach an deutschen Unis

An fünf Standorten wird die islamische Theologie als Studienfach unterrichtet. Hier sollen die Imame und Islamlehrer von morgen ausgebildet werden und ein Islam entstehen, der mit den Normen und Werten der Bundesrepublik vereinbar ist.

Von Jan Kuhlmann | 07.06.2013
    Die islamische Theologie in Deutschland hat eine wahre Herkulesaufgabe zu bewältigen: Praktisch aus dem Nichts müssen die Verantwortlichen Studiengänge aufbauen, Lehrpläne entwickeln, Studenten auswählen und das passende Personal finden. Gerade die letzte Aufgabe erweist sich als extrem schwierig – auch, wenn die Institute von Bund und Ländern finanziell gut ausgestattet werden, sagt Bülent Ucar, Leiter des Instituts für Islamische Theologie in Osnabrück.

    "Wir hatten in Deutschland gar nicht so viele Professoren. Wir haben gar nicht so großen wissenschaftlichen Nachwuchs, dass wir diese ganzen Stellen, die uns jetzt zur Verfügung stehen, alle in Idealform besetzen können. Entweder ist das Problem, dass wir es kaum mit gut ausgebildeten islamischen Theologen zu tun haben, sondern im Regelfall eher Seiteneinsteiger in diesem Bereich haben. Oder aber diejenigen, die auch eine glaubwürdige islamische theologische Ausbildung vorzuweisen haben, denen fehlt es an sprachlichen Kompetenzen."

    So bleibt den fünf Standorten nichts anderes übrig, als mit Übergangsmodellen zu arbeiten: Sie stellen Gast- und Juniorprofessoren an oder vergeben befristete Verträge – in der Hoffnung, dass die Lage in einigen Jahren besser aussieht. Doch der Mangel an Theologen nährt bei den großen muslimischen Organisationen Zweifel an der Qualität der Ausbildung. Etwa bei Bekir Alboğa, dem Sprecher des Islamverbandes Ditib.

    "Es gibt einige wenige Theologen, die auch gute Theologen sind, aber die Mehrheit ist es noch nicht. Und an vielen Universitäten sind die Lehrstühle gar nicht besetzt. Und die Studierenden warten darauf, dass sie ein vielfältiges Programm angeboten bekommen, was momentan an mehreren dieser Lehrstühle und Zentren nicht möglich ist."

    Eigentlich sollen die Studiengänge die Imame und Islamlehrer von morgen ausbilden. Doch angesichts der jetzt laut werdenden Kritik stellt sich die Frage, ob die Absolventen später überhaupt Stellen in Moscheen oder anderen Einrichtungen der großen Islamverbände bekommen. Bekir Alboğa gibt darauf keine klare Antwort.

    "Es wird davon abhängen, was für eine theologische Qualität sie aufweisen werden, was für Erfahrung sie mitbringen werden. Denn die Gemeindearbeit ist etwas anderes als ein Lehrstuhlinhaber an der Universität. Die Absolventen sind noch nicht da, sodass wir heute prüfen könnten, ob sie die Voraussetzungen erfüllen oder nicht."

    Andere muslimische Organisationen äußern ähnliche Zweifel. Die Skepsis bei der Ditib ist so groß, dass der Verband an seiner neuen Zentralmoschee in Köln eine eigene Weiterbildungsakademie gründen möchte.

    "Wir haben vor, an dieser Akademie die Absolventen dieser theologischen Zentren für eine Fortbildung zu gewinnen, vielleicht für zwei Jahren, ähnlich wie ein Vikariat. In dieser Zeit an der Akademie können wir feststellen, inwieweit diese Absolventen fundiertes Theologiewissen aufweisen können und wer in der Lage ist, als Prediger arbeiten zu können, als Vorbeter oder als Religionslehrer."

    Mit einer solchen Akademie würde sich die Ditib auch stärkeren Einfluss auf die Ausbildung der Theologen sichern. Generell fällt das Urteil über die fünf Standorte von muslimischer Seite unterschiedlich aus. Lob ist von den Islamverbänden für Osnabrück und Frankfurt zu hören, etwa von Engin Karahan, Vize-Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs. Die IGMG ist eine der größten islamischen Organisationen in Deutschland:

    "Die beiden Standorte verstehen es sehr gut, die muslimischen Gemeinschaften in ihre Arbeit einzubinden. Beide Standorte sind in der Lage, die muslimische Basis anzusprechen, die muslimischen Communities einzubinden. Ich weiß zum Beispiel von beiden Standorten, dass sie entweder derzeit schon Programme laufen haben oder Programme vorbereiten, die Praktika von Studenten in Moscheegemeinden, in islamischen Einrichtungen vorsehen."

    Kritik wird dagegen an den Standorten Tübingen und Münster geübt. In Tübingen wurde der Direktor des Zentrums ausgewechselt. An beiden Universitäten sind zudem bislang die Beiräte der islamischen Theologie noch nicht voll besetzt. Über diese Gremien sollen die Islam-Verbände an den Instituten beteiligt werden. In Tübingen und Münster lehnte das Bundesbildungsministerium als Hauptgeldgeber vorgeschlagene Kandidaten ab. Beispiel Münster: Der Koordinationsrat der Muslime hatte als bundesweiter Dachverband einen Funktionär der islamischen Gemeinschaft Milli Görüs nominiert – die der Verfassungsschutz als islamistische Organisation einschätzt und beobachtet. Das Bundesinnenministerium legte deshalb gegen den Kandidaten sein Veto ein. Dem folgte auch das Bundesbildungsministerium, so Sprecherin Katharina Koufen:

    "Unser Ministerium hat sich bereit erklärt, den Aufbau der islamischen Studien mit einer zeitlich begrenzten Finanzierung zu flankieren. Diese Fördergelder können nur fließen an Organisationen, Institutionen, Personen, gegen die keine verfassungsrechtlichen Bedenken vorliegen."

    Für Engin Karahan von Milli Görüs ist das eine inakzeptable Einmischung des Staates in die Belange der Religion:

    "In Münster geht sie derzeit so weit, dass staatliche Stellen meinen, bestimmen zu können, wer an diesem Bekenntnis mitwirkt oder nicht mitwirkt. Das ist eine Einmischung, die verfassungsrechtlich nicht haltbar ist, die auch verfassungsrechtlich nicht geboten ist, sondern im Gegenteil massiv gegen das Neutralitätsgebot des Staates verstößt."

    Eine Lösung des Streits in Münster ist derzeit nicht in Sicht. In dem Konflikt spielen auch andere Faktoren eine Rolle: Der Leiter des Zentrums, Mouhanad Khorchide, vertritt eine sehr liberale Lesart des Islam, weshalb die eher konservativen Verbände seine Theologie kritisch sehen. Münster ist auch der Standort, an dem der islamische Theologe Sven Kalisch vor einigen Jahren seinen Platz räumen musste, weil er die Existenz des Propheten Muhammad bezweifelt hatte. Doch Münster kann mit großem Zulauf punkten: 200 Studenten sind am dortigen Zentrum eingeschrieben – ähnlich hohe Zahlen weist auch Frankfurt auf. Ganz anders die Lage in Erlangen: Ganze 25 Studenten werden dort derzeit ausgebildet, davon 20 in einem Erweiterungsstudiengang für Lehrer. Nur fünf Studenten sind im Bachelorfach Islamisch-Religiöse Studien immatrikuliert, das seit dem Wintersemester angeboten wird. Das Fach befinde sich im Aufbau, es sei dafür noch keine Werbung gemacht worden, heißt es von der Uni. Die großen Islam-Verbände stellen den Standort Erlangen trotzdem grundsätzlich infrage, so wie Bekir Alboğa von der Ditib:

    "In Erlangen-Nürnberg kann man nicht von einem Lehrstuhl für Islamische Theologie sprechen. Das ist wieder so eine eigenständige Konstruktion, von der ich momentan nicht weiß, was ich davon halten soll. Die verantwortlichen Lehrstuhlinhaber sind keine muslimischen Theologen und auch die Unterstützung der muslimischen Religionsgemeinschaften wurde von Anfang an nicht in Anspruch genommen. Man hat dort eine lokale Lösung gefunden, die uns nicht zufriedenstellt."

    Zwar ist die Ditib im Beirat vertreten. Das Gremium werde jedoch nur über Ergebnisse informiert, sagt Alboğa. Von einer ernsthaften Zusammenarbeit könne keine Rede sein. Die Uni Erlangen zeigt sich von der Kritik überrascht und hält sie für haltlos, sagt der Geschäftsführer des Beirats, der Jura-Professor Mathias Rohe.

    "Es ist nach dem deutschen System so, dass alleine die Wissenschaftsseite, die Universität, dafür zuständig ist, die wissenschaftliche Qualifikation von Bewerberinnen und Bewerbern zu prüfen. Dann macht man eine entsprechende Vorschlagsliste. Und dann werden die Religionsgemeinschaften, hier der Beirat, dann in die Entscheidung mit einbezogen. So läuft es ganz genauso bei den christlichen Theologien. Und wir achten sehr darauf, dass wir die muslimische Seite gleichberechtigt behandeln, aber wir berechtigen sie auch nicht mehr als die anderen."

    Als kurios bezeichnet Rohe den Vorwurf, es gebe keine Theologen in Erlangen – schließlich habe der neue berufene Professor Reza Hajatpour an einer der wichtigsten theologischen Hochschulen im Iran studiert.