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Islam
Die Versuchung des Extremismus

Der Vormarsch der IS-Kämpfer mit ihrer unter dem Deckmantel des Koran verübten Barbarei hat in der westlichen Welt einmal mehr die Diskussion darüber aufflammen lassen, ob solche Gewalt-Exzesse gegen Andersgläubige speziell beim Islam anzutreffen sind. Politische Blogs und Zeitschriften liefern feurige Plädoyers.

Von Norbert Seitz | 29.09.2014
    Ein von Dschihadisten ausgehändigtes Foto zeigt mutmaßliche Mitglieder der Terrorgruppe IS, darunter der Militärchef und gebürtiger Georgier Abu Omar al-Shishani (links)
    Ein von Dschihadisten ausgehändigtes Foto zeigt mutmaßliche Mitglieder der Terrorgruppe IS, darunter der Militärchef und gebürtiger Georgier Abu Omar al-Shishani (links) (AFP / HO / Al-Itisam Media)
    Derzeit wird heftig über die Grenzen zwischen Islam und Islamismus gestritten. Auf dem Blog "Die Achse des Guten" geschieht dies unter dem sarkastischen Titel: "Enthauptungen sind eine Scheiß-PR". Ausgangspunkt ist ein Kommentar Henryk M. Broders auf WELT-Online zu den jüngsten Kundgebungen friedlicher Moslems:
    "In jeder Religion gibt es Fanatiker, die ihren Glauben so ernst nehmen, dass Gott, wenn es ihn denn gibt, sich entsetzt abwenden würde. (...) In keiner anderen Religion freilich (...) sind die Ränge der Fanatiker so dicht besetzt wie bei Euch, liebe Nachbarn und Nachbarinnen im großen Haus des Monotheismus. Und das hat nichts damit zu tun, dass es weltweit etwa 14 Millionen Juden, 800 Millionen Protestanten, 1,2 Milliarden Katholiken und 1,5 Milliarden Muslime gibt."
    Das Reizthema lautet: Wie man den "wahren" vom "unwahren" Islam, die gewaltbereiten Hassprediger von den arglos Gläubigen unterscheiden soll, wenn sie sich auf gleiche Quellen berufen. Dazu der Blogger Martin Schott auf der "Achse des Guten":
    "Und noch ein (...) Mantra erschallt derzeit all überall: das vom Islam als "missbrauchter" Religion. Wenn das stimmt, bleibt immer noch die Frage, weshalb sich der Islam für den Missbrauch durch den IS eignet und nicht etwa der Buddhismus, der Jainismus oder der zeitgenössische Katholizismus?"
    Warum aber kämpfen und sterben so viele europäische Muslime in den staubigen Straßenschluchten Syriens? Fragt der Totalitarismusforscher Gerrit Dworok. Er bezieht die Attraktivität des Islamismus auf ihre weltumspannende Mission gegen die Moderne. In der konservativen Zeitschrift "Mut" diskutiert Dworok die Verwandtschaft zu totalitären Ideologien des Bolschewismus oder Nationalsozialismus, wie sie vom Historiker Ernst Nolte bis zum Islamkritiker Hamed Abdel-Samad unterstellt wird:
    "Im modernen Islamismus vermischt sich religiöser Eifer mit antimodernistischer Ideologie; hier ersetzt politische Ideologie nicht Religion, sondern es verquicken sich beide Phänomene. In diesem Sinn ist der radikale Islamismus (...) tatsächlich als totalitär zu bezeichnen – er steht in tiefem Widerspruch zu der westlichen Idee der Moderne, welche insbesondere auf dem aufgeklärten Verfassungsstaat basiert."
    Im linken Spektrum werden die Reaktionen der USA auf den ISIS-Terror analysiert
    Im linken Spektrum richtet man das kritische Augenmerk mehr auf die Reaktionen der USA. So meldet sich auf den "Nachdenkseiten" Albrecht Müllers Norman Birnbaum zu Wort. Er hält Barack Obama derzeit nur noch für einen "Gefangenen seines Imperiums", der in diesem "absurden geopolitischen Theater" offensichtlich seinen bislang größten Vorzug vergessen habe: die Fähigkeit vorauszudenken.
    "Es ist unwahrscheinlich, dass die ISIS ausgeschaltet werden wird, und sie wird wohl auch von weiterem Vorrücken nicht abgehalten werden. Der Präsident hat sich festgelegt, nicht wieder Bodentruppen in den Irak zu schicken. Selbst wenn die Zahl uniformierter Berater und Söldner steigt, der Präsident wird sich irgendwann selbst in die Zwickmühle manövriert haben, entweder massiv Truppen zu senden oder die permanente Präsenz der ISIS im Irak und in Syrien zu akzeptieren."
    Dabei scheint die Agenda der Islamisten noch lange nicht abgearbeitet. Im Moment stehe noch der "innerislamische Bürgerkrieg" im Vordergrund. Legt der Publizist Bernd Rheinberg in den 2Blättern für deutsche und internationale Politik" dar. Doch der Kampf gegen den "großen Satan USA" sei damit nur aufgeschoben:
    "Die Errichtung und Expansion islamistischer Milizstaaten und die Einführung der Scharia in diesen Gebieten könnte uns aber wieder ins Bewusstsein rufen, dass der Kampf der Dschihadisten zuallererst ein Kampf gegen Andersgläubige gegen die Trennung von geistlicher und weltlicher Macht, vor allem aber gegen unseren Lebensstil ist; er gilt ihnen als dekadent, pervers, materialistisch, gottlos, sprich: sündhaft."
    Reicht es aber aus, sich gegen die Expansion islamistischer Barbarei auf militärische Luftkommandos zu beschränken? Andreas Theyssen hält auf dem Blog "Opinion Club" jene Bekämpfungsstrategie nur für "politisches Placebo".
    "Nun bombardieren sie wieder (...) Der Krieg gegen IS wird aber halbherzig geführt, mit untauglichen Mitteln. Das "Kalifat" wird auch mit Bodentruppen bekämpft werden müssen. Aber mit welchen? (...) Dem Vernehmen nach waren an den ersten Angriffen auch Jets aus Jordanien, Bahrain, Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Katar beteiligt. Truppen aus diesen Staaten sind es, die am Boden gegen das "Kalifat" vorgehen müssen. Auch das Nato-Land Türkei (...) wird sich dann nicht länger zurückhalten können."