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Islamische Militärseelsorge
"Wenn der erste muslimische Kamerad fällt, ist es zu spät"

1600 muslimische Soldatinnen und Soldaten gibt es in der Bundeswehr. Anders als in vielen Nachbarländern haben sie keine eigenen Seelsorger. Nun verleiht der neue Bericht des Wehrbeauftragten der Forderung Nachdruck - aus Gründen der Extremismusprävention.

Von Michael Hollenbach | 01.02.2019
    Rekruten stellen sich am Freitag (20.07.2012) im Bendlerblock in Berlin für das feierliche Gelöbnis auf.
    Rekruten stellen sich am Freitag (20.07.2012) im Bendlerblock in Berlin für das feierliche Gelöbnis auf. (pa/dpa/Nietfeld)
    Nariman Hammouti Reinke ist Offizierin der Bundeswehr – und Muslimin. Sie wurde 1979 als Tochter marokkanischer Eltern in Deutschland geboren. Sie ist derzeit stationiert bei den Marinefliegern auf dem Stützpunkt Nordholz bei Bremen. Zweimal war sie in Afghanistan im Einsatz:
    "Man kann den Einsatz sehen, wie man möchte, trotzdem haben Soldaten Anspruch auf Militärseelsorger. Aber bei muslimischen Soldaten wird das nicht gemacht. Uns wird ein Psychologe zur Seite gestellt, aber der gibt mir nicht den geistlichen Beistand, den ich brauche", sagt Hammouti Reinke.
    Bei ihrem letzten Afghanistan-Einsatz ging es ihrem Vater sehr schlecht. Doch Nariman Hammouti Reinke saß wegen eines Sandsturmes fest, konnte nicht zu ihrem Vater:
    "In der Situation hätte ich mir einen muslimischen Seelsorger gewünscht, der mit mir betet, dass es meinem Vater besser geht, damit ich wieder in meine Mitte finde", erzählt sie.
    Bisher kein islamischer Seelsorger
    Bislang gibt es in der Bundeswehr keinen islamischen Militärseelsorger. Das sei bei Auslandseinsätzen allerdings auch nicht so dramatisch, meint Annette Freiin von Hoiningen. Sie ist im Verteidigungsministerium zuständig für die Militärseelsorge. Auslandseinsätze wie in Afghanistan seien ja immer im Verbund mit anderen NATO-Partnern:
    "Wenn dort vor Ort eine Streitkraft einen Imam dabei hat, dann können sich unsere muslimischen Soldaten an den Imam wenden."
    Außerdem gebe es noch die Zentrale Ansprechstelle für Soldatinnen und Soldaten anderer Glaubensrichtungen - also für jene Soldaten, die nicht christlich sind. Dort leitet ein Feldwebel die rund 120 Anfragen pro Jahr weiter und versucht im Bedarfsfall, den Anrufer an einen externen Ansprechpartner, zum Beispiel einen Imam vor Ort, zu vermitteln. Das ist Nariman Hammouti Reinke eindeutig zu wenig. Immerhin habe sich selbst Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen schon 2015 für eine islamische Militärseelsorger ausgesprochen:
    "Wir haben jetzt 2019. Es ist nichts passiert. Ist der islamische Kamerad weniger Wert als der katholische oder evangelische?", sagt Nariman Hammouti Reinke.
    Fehlender Ansprechpartner auf islamischer Seite?
    "Bedarf ist da und er wächst stetig. Wir gehen von 1600 Rekruten aus, das heißt, rein rechtlich brauchen wir auch Seelsorger, die in der Bundeswehr unterwegs sind für die muslimischen Rekruten."
    Sagt Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime. Denn für rund 1500 Soldaten sei ein Seelsorger zuständig, sagt auch Annette Freiin von Hoiningen vom Verteidigungsministerium. Allerdings:
    "Das ist unser größtes Problem, dass wir ohne Gegenüber dastehen."
    Es fehlt islamischerseits an Organisationen und Ansprechpartnern, die insgesamt für die Muslime sprechen könnten. Und:
    "Wir haben keine ausgebildeten Imame, die uns zur Verfügung gestellt werden könnten als Personal, so wie es die katholische oder evangelische Kirche in Deutschland machen können", sagt Annette Freiin von Hoiningen.
    Seelsorger müssen keine Imame sein
    "Es müssen nicht Imame sein, aber sie müssen eine Befähigung haben für die seelsorgerische Betreuung der Rekruten", sagt Aiman Mazyek.
    Zumal Imame eher Schriftgelehrte, aber nicht unbedingt Seelsorger sind. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime hält den Hinweis auf die fehlenden Ansprechpartner für wenig stichhaltig. Beim islamischen Religionsunterricht habe man ähnliche Probleme, doch hier setze man auf Pilotprojekte, um schon einmal anfangen zu können.
    Mazyek: "Wenn es wirklich um das Konkrete geht, wenn es um die Umsetzung geht, erleben wir, dass da eine Zurückhaltung da ist."
    Annette Freiin von Hoiningen reagiert auf Vorschläge der islamischen Verbände etwas allergisch:
    "Die vertreten immer nur einen Teil, immer nur eine Minderheit. Der Zentralrat der Muslime geht nach außen sehr offensiv damit um, aber sobald er an die Öffentlichkeit tritt, kommen dann sofort zwei oder drei andere Vertreter aus der muslimischen Gruppe, die sagen: Nein, die können nicht für uns alle sprechen."
    In der Tat hat der Zentralrat der Muslime lediglich ca. 15.000 Mitglieder – von bundesweit rund 4,5 Millionen Muslimen. Von Hoiningen räumt ein, dass es keine konkreten Verhandlungen gibt über die Etablierung einer islamischen Militärseelsorge.
    "Religion und Staat sind voneinander getrennt und ich kann ja einer Religionsgemeinschaft nicht aufoktroyieren: ‚Das ist der Imam, der für euch spricht‘, und dann suche ich mir einen aus. Er sollte ja schon mit einer Religionsgemeinschaftsvertretung im Rücken stehen."
    Forderung von Wehrbeauftragtem der Bundesregierung unterstützt
    Doch auch der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels fordert seit Jahren einen islamischen Militärseelsorger. In seinem jüngsten Jahresbericht, der am Dienstag dieser Woche vorgestellt wurde, schreibt der Wehrbeauftragte:
    "Wenn die Bundeswehr es nicht schafft, eine solche Soldatenbetreuung anzubieten, muss sich niemand wundern, wenn Betroffene eigene, gegebenenfalls extrem-fundamentalistische Lösungen suchen. Die Bundeswehr würde sich einer berechtigten und durch bundeswehreigene Fortbildungen sinnvollen Steuerungsmöglichkeit der Soldatenbetreuung selbst berauben."
    Auch Nariman Hammouti Reinke wird langsam ungeduldig. Für die 39-jährige Berufsoffizierin ist ein Seelsorger gerade in dramatischen Situationen enorm wichtig:
    "Wenn ich im Dienst für die Bundesrepublik Deutschland in Afghanistan gefallen wäre, würden dann mein Chef und mein Spieß mit einem Psychologen zu meinen Eltern gehen, die auch religiös sind, ihnen die Todesnachricht überbringen? Man braucht in diesem Fall geistlichen Beistand."
    Den könne man sich auch über die Zentrale Ansprechstelle für Soldatinnen und Soldaten anderer Glaubensrichtungen holen, meint Annette Freiin von Hoiningen.
    Von Hoiningen: "Diese allgemeinen religiösen Vorgänge sind ja kein Hexenwerk, die sind ja auch bekannt."
    Für Hammouti Reinke wäre das eindeutig zu wenig:
    "Ich möchte nicht wissen, wie reagiert wird, wenn der erste muslimische Kamerad im Einsatz fällt. Dann ist es zu spät zum Handeln."
    Zeichen für Zugehörigkeit
    Für die muslimische Berufsoffizierin wären islamische Militärseelsorger auch ein Signal – in die Gesellschaft, aber auch in die Bundeswehr hinein. Denn als Muslimin stehe sie immer schnell unter Druck:
    "Das gehört zu meinem täglichen Leben dazu. Wenn gerade wieder was passiert ist, irgendein Anschlag, egal wo, dienstlich merke ich, dass dann jemand mich anschaut und von mir eine Erklärung erwartet. Ich ignoriere das."
    Und auch für Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime wäre die Berufung von islamischen Militärgeistlichen ein politisches Zeichen.
    "Wenn eine islamische Religionsgemeinschaft deutlich macht, dass wir Seelsorger in der Bundeswehr haben wollen, dann ist das ja auch ein Statement. Ein Statement für die Identifikation mit unserem Staat und Land."