Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Israelische Band Ouzo Bazooka
Space-Rock aus der Schnaps-Kanone

Die Musiker um Singer-Songwriter Uri Brauner Kinrot bedienen sich traditioneller Tonleitern des Nahen Ostens, setzen diese aber in einen weit entfernten Kontext: britischen Psychedelic Rock der 60er-Jahre und Space Rock der 70er-Jahre. Dass Humor dabei durchaus erlaubt ist, zeigen auch Songtitel wie "Space Camel". Äh, wie bitte?

Von Fabian Elsäßer | 10.03.2019
    Zwei Frauen und zwei Männer stehen vor einem Gemälde eines Leoparden.
    Der griechische Schnaps Ouzo befeuerte die Namensgebung: die Band Ouzo Bazooka (Thomas Reich)
    Musik "Coming from the wild"
    "It is definitely Psychedelic Rock, but not only. It’s not like early Pink Floyd."
    "One rhythm is called "Malfouf" and it goes: Tumm-ta, Ta-Tumm-Ta! Tumm-Ta, Ta-Tumm-Ta!"
    "We are not the first rockband that’s influenced by Arabic Melodies, Rhythms and Grooves. That’s been done here for decades."
    Musik "Space Camel"
    Dieser Sound lässt aufhorchen: "Space Camel" ist eines der längsten Stücke des im Januar 2019 erschienenen Albums "Transporter" von Ouzo Bazooka. Es ist zugleich ein echter "Signature-Song", denn er enthält alle Markenzeichen dieser in Tel Aviv ansässigen Band. Einen dezent treibenden Groove, eine mächtige Basslinie, flirrende Funk-Gitarren, strahlende Keyboard-Flächen und dann eben diese Melodien mit den zerdehnten Tönen, mit denen mitteleuropäischen Ohren erst einmal fremdeln. Es sind typische Elemente der arabischen Musik, mit denen Ouzo Bazooka ebenso sicher wie selbstverständlich hantieren, wie Band-Chef Uri Brauner Kinrot erklärt:
    "In der arabischen Musik gibt es zum Beispiel diese Vierteltöne, die wir auch benutzen. Man muss die Saiten dehnen, um diese Töne zu erzeugen. Ich benutze bei Studioaufnahmen aber auch eine türkische Baglama, auf der diese Töne vorhanden sind. Und was Rhythmus betrifft: Im Rock ist der meistgebrauchte zum Beispiel Tumm-Ba! TummTumm-Ba, und davon gibt es dann jede Menge Variationen. In der arabischen Musik gibt es das auch. Einer heißt "Malfouf" und der geht: Tumm-ta, Ta-Tumm-Ta! Tumm-Ta, Ta-Tumm-Ta! Da kann man dann die Bass-Drum mit der Snare tauschen oder die Achtel und Viertel auf der HiHat betonen, damit es sich anders anfühlt. Wir versuchen jedenfalls immer, westliche mit nahöstlichen Grooves zu vermengen und daraus unseren ganz eigenen Mix zu machen."
    Hörer von Song-Monumenten überrollt
    Ein Mix, aus dem inzwischen vier abwechslungsreiche Alben entstanden sind. Das erste erschien im Jahr 2014 und überrollt seine Hörer mit Song-Monumenten wie "Homesick". Uri Brauner Kinrot singt darin über Konsumwahnsinn, über Einkaufszentren direkt aus der Hölle, und zwischendurch wechselt die Band die Taktarten, die Tonarten, ach, eigentlich alles.
    Musik "Homesick"
    Auch wenn das selbstbetitelte Debütalbum von Ouzo Bazooka mit dem eben gehörten Song "Homesick" einheitlich und durchdacht klingt, war darauf noch gar keine Band im eigentlichen Sinne am Werk, wie Uri Brauner Kinrot erklärt.
    "Ouzo Bazooka war ursprünglich als Soloprojekt gedacht. Ich hatte einfach ein paar Songs geschrieben, aber keine Band dafür gegründet, sondern sie mit zwei guten Freunden aufgenommen: mit Adam Scheffler am Bass und dem Musiker und Videokünstler Kutiman am Schlagzeug. Wir haben in zwei verschiedenen Studios aufgenommen, und ich habe zuhause noch ein paar Overdubs eingespielt. Als das Album veröffentlicht wurde, habe ich eine Band zusammengestellt, um die Songs auch live aufführen zu können. Nach ein paar Auftritten in Israel habe ich festgestellt, dass das alles andere als ein Soloprojekt ist, sondern eine richtige Band. Also haben wir angefangen zu touren und weitere Alben aufgenommen. Wir haben den Bassisten gewechselt, aber manchmal spielt Adam noch mit uns. So hat alles angefangen."
    Musik "Children of the Revolution"
    Alle Songs auf dem 2014 erschienenen Debütalbum der israelischen Band "Ouzo Bazooka" stammen aus der Feder von Sänger, Gitarrist und Komponist Uri Brauner Kinrot. Alle bis auf einen – das eben gehörte "Children of the revolution" von T. Rex, das Kinrot durch einen zusätzlichen orientalisch anmutenden Zwischenteil geschickt dem Stil seiner Band anpasst.
    Marc Bolan als Vorbild
    T. Rex-Frontmann Marc Bolan, 1977 viel zu früh im Alter von 29 Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen, ist für Kinrot ein großes Vorbild: Schon als Kind habe er die Musik von T. Rex geliebt, und Bolan sei einfach ein großartiger Sänger und Gitarrist gewesen. Es mag nicht nur an der Musik von Ouzo Bazooka, sondern auch an solchen Idolen liegen, dass die Band gerne den Stempel "Space Rock" oder "Psychedelic Rock" aufgedrückt bekommt.
    "Mit dieser Einordnung bin ich schon einverstanden, aber ich glaube, dass Ouzo Bazooka viel mehr als das beinhaltet. Es ist eben nicht reiner Psychedelic Rock, sondern es gibt auch viele Weltmusik-Einflüsse, vor allem aus dem Nahen Osten. Auch ein bisschen Classic Rock aus den 70ern. Heute werden so viele Sachen als "psychedelisch" bezeichnet. Es bedeutet so viel und gleichzeitig bedeutet es gar nichts. Also: Wir machen definitiv Psychedelic Rock, aber nicht nur! Es klingt nicht wie die frühen Pink Floyd oder so."
    Das verhindern schon die bereits erwähnten arabischen Einflüsse. Wobei sie für den Juden Brauner Kinrot ganz selbstverständlich zur kulturellen Identität seines Lande s zählen.
    "Naja, Israel schätze ich eigentlich als arabisches Land ein. Dort leben zwar vor allem Juden, aber die Hälfte davon, wenn nicht mehr, sind jüdische Araber. Es gibt muslimische, jüdische und christliche Araber. Mit deren Musik bin ich aufgewachsen, bevor es das Internet gab, die wurde im Radio und im Fernsehen gespielt. Für mich ist das nichts Besonders oder Einzigartiges. Ich glaube, es ist ganz natürlich, diese Einflüsse mit Rock'n'Roll zu verbinden, wenn man sich entschlossen hat, Rock zu spielen. Das wird hier schon seit Jahrzehnten gemacht. Wir sind nicht die erste Rockband, die von arabischen Melodien, Rhythmen und Grooves beeinflusst ist."
    Aber die erste seit langem, die durch intensives Touren auch nördlich des Mittelmeers wahrgenommen wird. Seit dem vierten Album "Transporter" vom Januar 2019 scheint der europäische Tourplan stetig zu wachsen. Transporter, so findet Brauner Kinrot, sei vielleicht weniger psychedelisch als die Vorgänger, klinge mehr nach Garagenrock. Es sollte auf jeden Fall ein Album werden, das Spaß macht und zu dem man gut tanzen kann. Diesen Anspruch löst etwa der Titel "Killing me" ganz gut ein. Es sind gleich zwei Versionen davon auf dem Album. Die ursprüngliche englische und dann nochmal eine hebräisch gesungene Variante, die als Hidden Track an "Falling" gehängt ist, den offiziell letzten Song des Albums.
    Musik "Falling"
    "Wir sind alle in Tel Aviv oder in der Umgebung großgeworden. Jeder von uns hat Eltern oder Großeltern aus anderen Kulturen. Israel wurde ja vor 70 Jahren gegr ündet, daher sind die meisten unserer Großeltern nicht hier geboren, sondern kamen aus anderen Ländern und anderen Kulturen. Aber unsere Generation ist hier aufgewachsen. Es gibt vielleicht ein paar Unterschiede. Aber nichts, was mit unseren musikalischen Wurzeln zu tun hat. Ich kann da aber nur für mich sprechen. Als ich ein Kind war, haben meine Eltern haben viel griechische und Balkan-Musik gehört, obwohl sie gar nicht von dort stammen, aber griechische Musik war in Israel immer sehr beliebt. Das ist auch ein großer Einfluss für uns. Ouzo Bazooka bezieht sich ja auch auf den griechischen Schnaps, der in Israel auch sehr beliebt ist."
    Sound des Studiotüftlers
    Der Name übrigens bedeutet nicht das, was man vielleicht zuerst glaubt – doch dazu später. Das aktuelle Ouzo Bazooka-Album überzeugt neben orignellen Songs auch durch die Produktion. Sie klingt nach großen Räumen, und nur das manchmal sehr trockene Schlagzeug gibt einen Hinweis darauf, dass die Entstehungsorte dann doch so groß nicht gewesen sein können. Alle Instrumente sind klar zu hören, der Bass ist vielleicht ein bisschen dominanter als die Gitarren. Man merkt, dass Brauner Kinrot ein Studiotüftler ist.
    "In der Regel schreibe schon ich die Musik für Ouzo Bazooka, manche Texte stammen aber von Freunden. Ein Song kann aus einem Gitarrenriff entstehen, einem Schlagzeug-Groove oder einer Basslinie. Ich gehe nicht systematisch vor, sondern verbringe einfach Zeit im Studio auf, nehme Einzelteile auf, schreibe Texte dazu, und wenn ich genügend Entwürfe zusammen habe, fange ich an, daraus Songs zu formen. Da beschäftige ich mich dann mehr mit den Texten, den Melodien und so. Aber es ist jedes Mal anders."
    Musik "Revolution Eyes"
    "Revolution Eyes", ein weiteres Stück von Ouzo Bazookas viertem Studioalbum "Transporter", das im Januar 2019 erschienen ist. Texte über schnelle Autos und schöne Frauen wären unter der Würde dieser vielseitigen Band und ihres klugen Vordenkers Uri Brauner Kinrot. Ihre Songs handeln schon auch vom Zwischenmenschlichen, eher aber von inneren Gefühlslagen, öfter als gedacht auch vom Weltgeschehen.
    "Wenn man unsere Texte sehr genau hört, kann man manche Songs wohl in Verbindung bringen mit dem Palästina-Konflikt, dem Nahost-Konflikt und zu allen möglichen Konflikten, die wir in Israel oder in uns selbst haben. Ich würde uns überhaupt nicht als politische Band bezeichnen. Es geht uns vor allem darum, den Leuten eine gute Zeit und eine positive Einstellung zu verschaffen. Und manchmal geht es dabei dann auch um Politik oder soziale Fragen."
    Dabei fasst sich Uri Brauner Kinrot auch an die eigene Nase: Er finde es frustrierend, dass er selbst nicht häufiger demonstrieren gehe, so wie er es noch als Jugendlicher getan habe. Obwohl der Ouzo Bazooka-Chef sich nicht als politischen Künstler sieht, gibt er bereitwillig Auskunft über seine politische Haltung, die er ganz klar links verortet.
    "Finde es beängstigend, was hier passiert"
    "Wenn ich an mein Land denke, dann habe ich schon seit längerem ein wirklich schlechtes Gefühl. Und das schon, bevor Netanjahu Premierminister wurde. Ich finde es beängstigend, was hier passiert. Auch wegen der Palästina-Krise, von der ich derzeit nicht glaube, dass sie jemals zu Ende sein wird. Außerdem fühlt es sich so an, als sei man als links denkender Mensch in diesem Land nicht mehr willkommen. Man gehört als Linker schon zu einer neuen Minderheit. In den vergangenen zehn Jahren ist wirklich etwas aus dem Gleichgewicht geraten, glaube ich. Und je mehr Probleme wir mit uns selbst haben, desto schwieriger wird es, Probleme mit den Palästinensern zu lösen. Irgendwie gelingt es diesem bösen Genie, dieses Land weiter zu beherrschen und es systematisch zugrunde zu richten, auf dieselbe Weise, wie es böse Diktatoren vor einigen Jahren in anderen Ländern getan haben. Es fasziniert mich, wie dumm wir sein können und das einfach zulassen."
    Musik "Desert Love"
    "Desert Love" vom Debütalbum von Ouzo Bazooka. Dieser Song baut nicht nur starke musikalische Spannung auf, er erinnert tatsächlich an den sogenannten Desert Rock von Giant Sand - auch diese Klangfarbe kann die Band aus Tel Aviv mühelos bedienen. Neben Uri Brauner Kinrot sind Keyboarderin Dani Ever Hadani und Schlagzeuger Ira Raviv von Anfang an dabei. Die Besetzung am Bass hat allerdings zur "Transporter" Tour gewechselt – nicht zum ersten Mal in der Bandgeschichte. Der Grund, dass Uri Brauner Kinrot überhaupt zum Profimusiker wurde, der er seit gut zehn Jahren ist, liegt noch in der Jugend des langhaarigen Vollbarträgers mit dem Jesus-Look.
    "Meine Eltern haben mich dazu gezwungen, auf die Kunsthochschule zu gehen und Musik zu studieren, weil ich als Jugendlicher ziemlich ungezogen war. Ich war meistens draußen und bin Skateboard gefahren. Aber das hat mich richtig angezogen. Da habe ich schon angefangen, mit Musik Geld zu verdienen. Danach war ich kurz beim Militär und hatte verschiedene Jobs, aber ich habe immer weiter Musik gemacht. Ich hatte das nicht geplant, aber es ist so passiert, und ich habe es geliebt. Ich glaube, letztlich lag es an meinem Umfeld an der Uni."
    Job an der Staatsoper Tel Aviv
    Einer dieser Jobs brachte Uri Brauner Kinrot eine Zeitlang zum Bühnenbild an der Staatsoper in Tel Aviv, und bis heute schreinert er auch sehr gerne. Aber als Berufungs-Beruf kann sich nur den des Musikers vorstellen.
    "Wir wollen es mit dieser Band schaffen. Aber wenn man es wirklich schaffen will, macht man andere Musik oder verhält sich anders auf der Bühne oder in Interviews. Wir wollen davon leben können und unser Publikum begeistern und inspirieren. Darum geht es für mich beim Musikmachen. Und ich empfinde es als Verpflichtung, das so lange zu tun, wie sich die Menschen für unsere Musik interessieren."
    Musik "Mermaid Man"
    "Mermaid Man" ist ein Stück vom zweiten Ouzo Bazooka–Album "Simoom" aus dem Jahr 2016. Der Titel sei einfach perfekt für die Art von Musik gewesen, die seine Band mache, verrät Uri Brauner Kinrot. Denn der Simoom ist ein Wind aus der Sahara, der bis in den Nahen Osten weht, also genau den geographischen Raum bestreicht, aus dem Ouzo Bazooka ihre musikalischen Einflüsse ziehen. Was uns dann doch mal zum Bandnamen bringt. Dass der gemeine Mitteleuropäer dabei erst mal an einen Raketenwerfer denkt, findet der Bandchef ziemlich lustig.
    "Nein, nein, es hat überhaupt nichts mit Waffen zu tun! Für mich ist es ein süßer pinkfarbiger Kaugummi, den ich als Kind oft gekaut habe. Ich glaube, die meisten Leute hier denken beim Wort Bazooka erst an den Kaugummi und dann vielleicht an die Waffe. In den 70ern gab es hier einen Cocktail aus Kaugummi und Ouzo, damit der Ouzo einen besonderen Geschmack bekommt. Als ich davon gehört habe, dachte ich mir, wow, das ist der perfekte Name für eine Band, die westlichen Rock mit nahöstlichen Einflüssen mixt. Wie die Mischung aus hartem Alkohol und Kinderkaugummi. Es geht ums Vermischen, darum, sich nicht an ein bestimmtes Genre zu halten."
    An dieses Nicht-Daran-Halten-Prinzip hält sich auch das dritte Ouzo Bazooka-Album, das wir bisher noch gar nicht erwähnt hatten. "Songs from 1001 nights" erschien nicht mal ein Jahr vor "Transporter", also 2018, und wird seinem Namen schon im Titelstück mehr als gerecht.
    Musik "1001 Nights"
    Die Musikszene in Israel ist größer, als europäische Laien denken würden. Tel Aviv und seine Umgebung sei voller Bands, und es gebe ständig Konzerte, sagt Uri Brauner Kinrot.
    "Die Musikszene in Israel ist ziemlich groß. Tel Aviv und die Umgebung sind voller Bands, und es gibt ständig Konzerte. Aber man kann es nicht mit New York, London oder Berlin vergleichen. Für eine so kleine Stadt ist aber schon viel los. Seit zehn, 15 Jahren treten immer mehr israelische Künstler auch außerhalb des Landes auf und werden international wahrgenommen. Ich habe zum Beispiel mit Balkan Beat Box getourt, in Europa und den Staaten. Inzwischen ist Azif Avidan in vielen Ländern sehr bekannt. Die Monotonics haben auf allen großen Festivals gespielt, obwohl sie nicht Mainstream sind. Aber auf den meisten Festivals sind israelische Künstler dabei."
    Vier Alben in nur fünf Jahren, mehrere Hundert Konzerte, überwiegend positive Kritiken – es läuft gut für Ouzo Bazooka. Das nächste Album ist schon in Planung. Die Frage, wie groß seine Band noch werden kann, beantwortet Uri Brauner Kinrot allerdings sehr bescheiden.
    "Ich glaube nicht, dass wir Hits haben oder im Mainstream-Radio gespielt werden. Aber wenn wir am Ball bleiben, werden wir glaube ich auf größeren Bühnen spielen und noch größere Zuschauermengen bekommen und gut davon leben können. Man weiß halt nie, wo das Ende ist. Aber wir wollen sicherlich nicht die nächsten Oasis werden!"