Verzweifelte Menschen demonstrieren in Rom wegen fehlenden Wassers. Ihre Gesichter sind schweißbedeckt, Staub flimmert in der Luft. Seit drei Jahren fällt kein Regen. Der Fluss Tiber ist komplett ausgetrocknet. Nur Fiktion oder ein realistisches Szenario?
In diesem Fall reine Fiktion: Die Szene stammt aus dem Katastrophen-Film „Siccità“, Dürre, des Regisseurs Paolo Virzì, der am 29. September in den italienischen Kinos anlief. Realistisch ist das Szenario dennoch, gerade für den Mittelmeerraum.
Dürreperioden und Überschwemmungen
Der Meterologe und Klimaforscher Luca Mercalli erklärt: „Das Risikoszenario sieht so aus: Lange Dürreperioden mit Problemen bei der Wasserversorgung und dann kommt an einem Tag all der Regen herunter, der vorher gefehlt hat. Das führt dann zu Überschwemmungen, wie wir sie in Italien bereits gehabt haben. Denken wir an Genua, wo in den vergangenen Jahren Sturzbäche aus den Bergen innerhalb weniger Minuten das Stadtzentrum geflutet und Menschen in den Tod gerissen haben. Oder an die vielen Male, als der Po über die Ufer getreten ist und weite Landstriche unter Wasser gesetzt hat. Das Einzige, was uns jetzt noch fehlt, ist ein Hurrikan.“
Mit seiner eindringlichen und gleichzeitig auch unterhaltsamen Art hat sich der Universitätsdozent und Leiter der Italienischen Meteorologischen Gesellschaft in den vergangenen Jahren einen festen Platz in den italienischen Medien erobert. Er erklärt den Klimawandel anhand wissenschaftlicher Studien, warnt auf allen Kanälen.
Was passiert, wenn kein Regen mehr fällt, haben die Italiener in diesem Sommer erlebt. Trinkwasser wurde rationiert, Autowaschen und Rasensprengen verboten. Doch was am meisten besorgt, sind die Auswirkungen der Dürre auf die Landwirtschaft. Ohne Wasser verdorren die Felder, gibt es nichts mehr zu ernten. In fünf Regionen des Landes wurde im Sommer deswegen der Notstand ausgerufen: Emilia-Romagna, Friaul-Julisch Venetien, Lombardei, Piemont und Venetien. Alle diese Regionen liegen im Norden Italiens.
"Italien klimatischer Hotspot"
Klimaforscher Luca Mercalli: „Italien ist ein klimatischer Hotspot, der Klimawandel macht sich hier stärker bemerkbar als im Rest der Welt. Simulationen zeigen, dass die Temperaturen in Norditalien im Sommer um bis zu acht Grad steigen könnten. Das würde bedeuten, dass in der Po-Ebene künftig Wetterbedingungen wie in Pakistan herrschen.“
Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen, das seit 1972 globale, nationale und regionale Umweltdaten sammelt und bewertet, ist vorsichtiger in seinen Schätzungen, schlägt aber gleichfalls Alarm. Im Emissionslückenbericht 2022 mit dem Titel „The Closing Window“ heißt es, dass die aktuelle Klimapolitik auf einen Temperaturanstieg von 2,8 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts hindeutet. Vom Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens von 2015, die Erderwärmung auf unter 2 Grad, vorzugsweise auf 1,5 Grad zu begrenzen, ist die Welt weit entfernt. Also doch die Katastrophe, wie im Film?
Giovanni Spaltini hat sich den Film „Siccità“ nicht angeschaut. Das braucht er nicht: Als Landwirt in der Po-Ebene hat er die katastrophalen Folgen der Dürre in diesem Sommer am eigenen Leib erlebt, die Hälfte seiner Ernte ist vernichtet: „Für meinen Betrieb ist das ein traumatisches Jahr. Kosten, Investitionen sind ja gleichgeblieben. In der Landwirtschaft gehst du im März in Vorkasse, weil du Saatgut und Düngemittel kaufen musst. Wir hatten mit einem gewissen Wassermangel gerechnet, aber dass nur 15 Prozent der Menge, die wir eigentlich brauchen, verfügbar sein würde, das war eine böse Überraschung.“
Regenfälle immer seltener
Gemeinsam mit Claudio Milani vom Interessenverband Selbständiger Landwirte Coldiretti inspiziert er seine Felder. Reisfelder. Italien ist der größte Reisproduzent Europas. Der qualitativ hochwertige, auch im Ausland beliebte Risotto-Reis stammt aus der Po-Ebene. Und für den Anbau braucht es viel Wasser: 2.500 Liter pro Kilo. Im Frühsommer werden die Felder komplett geflutet, ein dichtes Netz von Kanälen versorgt die Reispflanzen mit Wasser aus dem Po und seinen vielen Nebenflüssen.
Regenfälle sind in Norditalien inzwischen seltener, aber dafür umso heftiger, wie eine kürzlich erschienene Studie von Wissenschaftlern der Universitäten Turin, Pisa und Rennes festgestellt hat. Verschärft wird dieses Problem durch die Versiegelung von Flächen. Norditalien ist dicht besiedelt und nicht nur landwirtschaftlich, sondern auch stark industriell geprägt. Mit jedem Quadratmeter Asphalt mehr werde das empfindliche Gleichgewicht im Wasserhaushalt zwischen Oberfläche und Untergrund gestört und der Boden trockne aus, so die Studie. Was wiederum dazu führt, dass auch Gemüse oder Getreide, die man bisher weitgehend mithilfe des Regenwassers anbauen konnte, zusätzlich bewässern muss. Und so steigt der Wasserbedarf der Landwirte weiter an.
Die gesamte Landwirtschaft gerät in einen Teufelskreis, aus dem es kaum ein Entrinnen gibt, sagt Claudio Milani vom Verband Selbständiger Landwirte: „In dieser Gegend sind sämtliche landwirtschaftliche Produkte vom Ernteausfall betroffen. Vor allem Reis, aber auch Mais, Soja, Getreide. Und wenn das fehlt, dann gerät auch die Milch- und Viehwirtschaft in Not, weil den Tieren die Nahrung fehlt.“
Die Reisbauern hat es in diesem Sommer am schlimmsten getroffen. Giovanni Spaltini schüttelt resigniert den Kopf: „So etwas hat es hier noch nie gegeben. Noch nie. Selbst im Hitzesommer 2003 hatten wir nicht solche Schwierigkeiten, weil es am Ende doch noch rechtzeitig geregnet hat.“
In diesem Jahr kam der Regen zu spät. Und selbst jetzt im November ist es noch zu trocken und zu warm für die Jahreszeit: „Wir haben hier immer noch Fliegen und Mücken und ich war bis vor wenigen Tagen noch im T-Shirt auf dem Feld. Das Reisfeld werde ich komplett umgraben müssen. Das sind circa sieben Hektar Land und damit mache ich allein 25.000 Euro Verlust. Reis werde ich hier sicher nicht mehr aussäen. Aber was ist die Alternative? Mais? Der braucht noch mehr Wasser als Reis. Nur zweimal im Jahr, aber wenn das Wasser dann fehlt, geht er auch ein.“
Kostbare Ressource Wasser
Wasserkonflikte wie in Afrika kann man sich in Europa schwer vorstellen. Italien hat davon aber einen Vorgeschmack bekommen. Denn die Po-Ebene erstreckt sich über mehrere Regionen. Die in diesem Jahr kostbar gewordene Ressource Wasser wird aber nicht gemeinschaftlich, sondern von vielen, kleinen Konsortien verwaltet, die allein für ihr abgestecktes Territorium zuständig sind. Der Landstrich, der hauptsächlich für den Reisanbau genutzt wird, gehört sowohl zum Piemont als auch zur Lombardei.
Der Wassermangel hat zu Streit zwischen Piemontesen und Lombarden geführt, sagt Claudio Milani: „Die Wasserressourcen sind nicht gerecht verteilt worden. Um es so diplomatisch wie möglich auszudrücken: Die Piemontesen haben ihre Ernte eingefahren, die Lombarden nicht.“
Jedes Konsortium hat sein Territorium im Blick, nicht aber die Nachbarregion, manchmal nicht einmal das Nachbardorf, wie Simone Perazzo vom Verein Piemontesischer Reisbauern berichtet: „Das Problem ist, dass manche Gemeinden eher als andere das Wasser bekommen haben, weil sie näher an den Wasserläufen liegen. Die Orte, die weiter weg liegen, bekamen dann teilweise fast nichts mehr, weil kein Wasser mehr da war. Auch wir haben Mitglieder, die Felder aufgeben mussten, um mit dem wenigen Wasser wenigstens einen Teil der Ernte zu retten.“
Improvisiertes Krisenmanagement
Wasserkonflikte. Zwischen Gemeinden, zwischen Regionen. Ein bisschen auch zwischen Ländern. Denn als der Pegelstand des Flusses Po, der sich aus dem Lago Maggiore speist, im Juni auf sein Rekordtief absank, bat der Präsident der Region Lombardei Attilio Fontana die benachbarte Schweiz um Wasser. Wasser aus Schweizer Stauseen, um den Grenzsee Lago Maggiore aufzufüllen. Doch auch im südlichen Teil der Schweiz war das Wasser knapp und so erhielt die Lombardei kein Wasser, sondern eine Abfuhr.
Für Claudio Milani, Interessenvertreter der Selbständigen Landwirte in Italien, kann es so nicht weitergehen. Statt eines improvisierten Krisenmanagements brauche es langfristige Veränderungen: „Wir brauchen eine ganze Reihe von Maßnahmen. Maßnahmen vor Ort, die sofort greifen und Maßnahmen, die über die lokale Ebene hinausgehen und langfristige Wirkung haben. Ein erster Schritt wäre ein koordiniertes Vorgehen der verschiedenen Konsortien, die für die Wasserverteilung zuständig sind, um künftig Streit ums Wasser zu vermeiden. Und dann brauchen wir dringend einen Plan zur Schaffung von Stauseen, was natürlich Zeit in Anspruch nimmt, aber dazu führt, dass wir in Zukunft deutlich mehr Regenwasser auffangen, als wir das heute tun. Italien nutzt nur elf Prozent des Regenwassers.“
Der Rest fließt ungenutzt ins Meer. Hinzu kommt ein massiver Verlust von Trinkwasser aufgrund maroder Leitungssysteme. Bis jetzt waren diese Probleme marginal, weil es bis auf Engpässe an einzelnen Tagen und geografisch begrenzt immer genug Wasser gab. Seit diesem Sommer sind sie zentral. Und sie finden Eingang in Talkshows, die sich an ein breites Publikum richten.
In einer Vormittagssendung des öffentlichen Fernsehens RAI beziffert der Moderator den Wasserverlust durch die veraltete Infrastruktur auf circa 44 Prozent und fügt an, dass die Italiener damit doppelt so viel Trinkwasser auf dem Weg in ihre Haushalte verlieren wie die Franzosen und fünf Mal so viel wie die Deutschen.
Mit KI Wasserverlust vorbeugen
Zu Gast im Studio ist der Manager Maximo Ibarra. Seit einem Jahr leitet er Italiens führendes Unternehmen für digitale Transformation mit 12.000 Mitarbeitenden weltweit. Er erklärt: „Es gibt bereits Technologien, die mithilfe künstlicher Intelligenz Wasserverlust vorbeugen, weil sie die Leitungen digital überwachen und eventuelle Lecks blitzschnell erkennen und melden. Mit solchen Systemen lassen sich bis zu 18 Prozent der Kosten für Reparaturmaßnahmen einsparen. Wir haben ein Modell entwickelt, dass so funktioniert: Parallel zum Aquädukt verläuft ein Glasfaserkabel. Darüber werden Informationen, die von Sensoren am Aquädukt laufend gesendet werden, an eine Schaltzentrale weitergeleitet, die diese Informationen dann mithilfe von Algorithmen auswertet und so jederzeit weiß, was im Inneren eines Aquädukts geschieht.“
Ibarra hält eine landesweite Modernisierung und digitale Kontrolle der Leitungen zur Wasserversorgung für nötig – und auch möglich. Vor allem mit Geld aus Brüssel: „Die finanziellen Ressourcen sind da. Aber wir müssen sofort handeln und natürlich auch die Infrastruktur selbst modernisieren, also die Leitungen und die Aufbereitungsanlagen des Wassers. In den siebziger Jahren war Italien weltweit Nummer eins bei der Entwicklung von Entsalzungsanlagen. Wir haben diese Technologie in Länder exportiert, die damit heute 70 Prozent ihres Trinkwassers gewinnen, während es in Italien nur noch vier Prozent sind.“
An Technik, Kow-how und unternehmerischer Risikobereitschaft fehlt es dem Land eigentlich nicht, eher am politischen Willen. Immer wieder wechselnde Regierungen, die aufgrund starker Ideologisierung Reformen der Vorgänger im sozialen oder im ökologischen Bereich wieder rückgängig machen, sind ein Risikofaktor für langfristige Innovationen.
Was die neue Regierung Meloni ankündigt
Die neue, politisch weit rechts positionierte Regierungschefin Giorgia Meloni hat sich auf dem Klima-Gipfel in Scharm el-Scheich diese Woche offiziell zu den vereinbarten Zielen bekannt. Sie will einen ökologischen Wandel im Einklang mit den Interessen der Industrie, wobei sie offenließ, wie dieser aussehen soll. Ihr oberstes Ziel sei eine sichere Energieversorgung.
Während sie in Ägypten sprach, demonstrierten in Rom junge Aktivisten der Klimaschutzbewegung "Ultima Generazione", "Letzte Generation", gegen die Nutzung fossiler Brennstoffe und gegen die von der Regierung geplanten Bohrungen zur Erdgasförderung in der Adria.
Wirtschaftsminister Adolfo Urso verteidigte im italienischen Nachrichtensender Sky den Willen der Regierung, unabhängiger von Gaslieferungen aus dem Ausland zu werden. „Ich sehe eine gewisse Flexibilität im Prozess der Umstellung auf nachhaltige Energiequellen. Europa muss erkennen, dass wir eine Industriepolitik brauchen, die unsere Autonomie in der Energieversorgung garantiert."
Doch die Vorgängerregierungen haben Vereinbarungen mit der EU getroffen, die nicht umkehrbar sind - auch zum Thema nachhaltige Energiequellen und Klimaschutz. Um die Milliardenhilfen aus dem europäischen Wiederaufbaufonds zu bekommen, musste sich Italien zu Gesetzesreformen verpflichten, die die finanziellen Investitionen flankieren. Im 2021 ausgearbeiteten und von der EU-Kommission abgesegneten nationalen Sanierungs- und Resilienzplan ist ein Drittel der Mittel, fast 70 Milliarden Euro, für Investitionen in den ökologischen Wandel und die sogenannte Grüne Revolution vorgesehen, darunter 15 Milliarden für eine effiziente, umweltschonende und dauerhaft sichere Wasserversorgung. Fraglich ist, ob die Regierung Meloni die dafür nötigen Gesetzesreformen zügig umsetzen wird.
Der Meteorologe und Klimaforscher Luca Mercalli hat Zweifel: „Wir müssen schnell handeln, aber das scheint nicht anzukommen. Was zählt ist Wachstum, ein Prozent mehr Bruttoinlandsprodukt ist wichtiger als ein Grad mehr auf der Erde.“
Wie Ernteausfälle verhindert werden sollen
Um in den kommenden Jahren so katastrophale Ernteausfälle wie in diesem Sommer zu verhindern, müsse sich Italien möglichst rasch an die veränderten klimatischen Bedingungen anpassen: „Was müssen wir also tun? Wir müssen das Regenwasser auffangen, damit wir es dann haben, wenn wir es brauchen. Natürlich bringen Stauseen und große Auffangbecken auch Umweltprobleme mit sich, aber haben wir Alternativen? Wir müssen uns damit beschäftigen und in der Zwischenzeit schon mal im Kleinen anfangen und individuell Regenwasser auffangen und in Zisternen speichern. Auch Hausdächer können genutzt werden, um im Winter Wasser aufzufangen, damit wir es haben, wenn wir es brauchen und die Wasserversorgung nicht zusammenbricht.“
Mercalli setzt diese Ideen schon um: Auf dem Dach seines Hauses im Val di Susa im Piemont hat er Solarzellen, mit denen er auch den Strom für sein Elektroauto generiert. Im Garten hat er unterirdische Wasserspeicher bauen lassen. „Ich persönlich habe 18 Kubikmeter Wasservorrat. Meine Nachbarn haben mich ausgelacht und gesagt, ich begrabe mein Geld unter der Erde, während sie sich einen neuen Porsche Cayenne kaufen, aber das ist mir egal. Wenn das Wasser fehlt, dann können sie ruhig mit dem Porsche von Supermarkt zu Supermarkt fahren auf der Suche nach Wasser, ich habe dann meinen unterirdischen Speicher. Wir müssen darauf drängen, dass bei Neubauten und Sanierungen der Bau von Zisternen verpflichtend wird.“
So wie es in früheren Zeiten üblich war. Alte Methoden könnten auch für die Reisbauern in der Po-Ebene eine Lösung sein, erklärt Roberto Magnaghi, Direktor des nationalen Instituts für Reis: „Bei Wassermangel ist die beste Technik die, das Wasser dann zu nutzen, wenn die anderen es nicht brauchen. Das bedeutet, die Reisfelder schon im Frühjahr zu fluten und dann im Wasser zu säen. So brauchen die Reisfelder im Jahresverlauf weniger Wasser. Bei der Aussaat im Trockenen besteht das Problem darin, dass die Reisfelder dann geflutet werden müssen, wenn das Wasser bereits knapp ist und alle es brauchen. Deshalb müssen wir zur früheren Saatmethode zurückzukehren, der Aussaat im Wasser. Die Aussaat im Trockenen macht weniger Arbeit, aber wir müssen realisieren, dass unsere Entscheidungen Folgen haben und in welchem Kontext wir uns bewegen.“
Der Kontext ist düster. Und die Zeit wird knapp. Für 2023 wird ein heißer Sommer erwartet.