Archiv

Italien in der Kritik
"Hier wird im Haushalt getrickst"

Der italienische Haushaltsentwurf steht nach Ansicht des CSU-Europaabgeordneten Markus Ferber "auf wackeligen Beinen". Ein schlechter Haushalt werde schöngerechnet - mit einer niedrigen Arbeitslosenzahl, höheren Steuereinnahmen und höherem Wirtschaftswachstum, sagte Ferber im Dlf.

Markus Ferber im Gespräch mit Christine Heuer |
    Markus Ferber, MdeP, Landesvorsitzender der Europa-Union Bayern e.V.
    Markus Ferber, MdeP, Landesvorsitzender der Europa-Union Bayern e.V. (imago )
    Christine Heuer: Italien ist nach Griechenland das am höchsten verschuldete Land der Eurozone und möchte jetzt noch viel mehr Schulden machen, um die Wahlgeschenke der neuen Regierung finanzieren zu können. Die Europäische Kommission spricht von einer noch nie da gewesenen Abweichung von den Kriterien des Stabilitätspaktes und hat Rom eine Frist gesetzt. Bis heute Mittag soll die italienische Regierung Stellung nehmen zu dem Blauen Brief, den Währungskommissar Moscovici eigenhändig in Rom übergeben hatte. Vorher sprechen wir noch schnell mit Markus Ferber; der CSU-Politiker ist Mitglied im Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europaparlaments. Guten Morgen, Herr Ferber.
    Markus Ferber: Schönen guten Morgen, Frau Heuer.
    "Italien befindet sich auf einer schiefen Ebene"
    Heuer: Sie haben, als Italien den Haushalt vorgelegt hat, Ende letzter Woche gesagt, Rom strecke der EU die Zunge raus. Das hat sich jetzt am Wochenende nicht verändert. Und jetzt, Herr Ferber? Was jetzt?
    Ferber: Ja, zunächst mal muss man das sehr genau analysieren. Der Haushalt, den Italien vorgelegt hat, steht ja auf sehr wackeligen Beinen. Italien geht von einer Neuverschuldung von 2,4 Prozent aus. Die Kommission hat nachgerechnet und geht von einer Neuverschuldung von 2,8 Prozent aus. Das heißt, hier wird auch im Haushalt getrickst, mit niedriger Arbeitslosenzahl, mit höheren Steuereinnahmen, mit höherem Wirtschaftswachstum. Damit kann man einen schlechten Haushalt etwas schönrechnen. Und wenn wir uns schon nicht über die Zahlen verständigen, wenn Italien gegen alle Prognosen hier höheres Wachstum prognostiziert, dann zeigt das ja die perfide Art Italiens, und dagegen muss natürlich vorgegangen werden, weil das belastet am Ende alle Mitgliedsstaaten der Eurozone.
    Heuer: Herr Ferber, aber über eine Zahl lässt sich ja nicht streiten. Es gibt eine Drei-Prozent-Grenze in den Maastricht-Kriterien. Und egal welche Zahl von den jetzt genannten Sie anlegen, diese Grenze hält Italien ein.
    Ferber: Das ist die halbe Wahrheit. Natürlich ist das Drei-Prozent-Kriterium das ausschlaggebende. Aber weil Italien einen so hohen Schuldenstand hat, mit rund 130 Prozent seiner Wirtschaftskraft, hat Italien schon vor Jahren einen Sonderprozess einleiten müssen, um sein strukturelles Defizit deutlich abzubauen. Verabredet war damals, dass in nächsten Jahr nur 0,8 Prozent Neuverschuldung gemacht werden dürfen. Wenn Sie schon einen riesigen Schuldenberg haben und da immer noch draufsatteln, draufsatteln, draufsatteln, dann werden Sie irgendwann von Ihren Schulden erdrückt. Das ist genau die Sorge, die wir bei Italien haben. Ratingagenturen haben Italien jetzt schon abgestuft. Das heißt, die Kredite für den Staat Italien werden teurer, an den Märkten jetzt schon deutlich über drei Prozent für zehnjährige Staatsanleihen. Das heißt, dass Italien auf einer schiefen Ebene sich befindet, wo es am Ende das Rutschen nicht mehr verhindern kann. Das ist Aufgabe der Kommission, genau das zu verhindern.
    Heuer: Aber, wie Sie richtig sagen: Der Abbau der strukturellen Defizite in der von Ihnen genannten Höhe, das war eine Verabredung. Welche Möglichkeiten hat denn die Kommission, Italien, die neue Regierung dort jetzt zum Sparen zu zwingen?
    Ferber: Der Stabilitätspakt sieht ja vor, dass entsprechend der Fortschritte im Verfahren – und wir sind in Italien schon in der dritten Stufe angekommen – am Ende auch Einlagen Italiens bei der Kommission gemacht werden müssen.
    Ein strukturelles, kein konjunkturelles Defizit
    Heuer: Also Bußgelder?
    Ferber: … Bußgelder verhängt werden können, weil dieser Prozess schon länger läuft. Ein Regierungswechsel heißt ja nicht, dass ein Land seine Verpflichtungen aufgibt, sondern in der Europäischen Union gehen wir schon von Rechtstreue aus und müssen wir auch ausgehen. Wir sind eine Rechtsgemeinschaft. Deswegen kann ein Regierungswechsel nicht ein Verfahren wieder auf null setzen und man fängt von vorne an.
    Das zweite Problem ist natürlich, dass dieses Defizit, das Italien jetzt neu aufbaut, ein strukturelles Defizit ist, kein konjunkturelles. Das heißt, sollte sich der Konjunkturhimmel eintrüben, wegen Herrn Trump und seiner Handelspolitik, wegen anderer Probleme, die aufscheinen, hat Italien keine Spielräume mehr, konjunkturell dagegenzuwirken, und das ist eigentlich das zweite Problem, das man hier ganz offen sehen muss.
    Heuer: Das Defizit abzubauen, ist eine Aufgabe Italiens. Andererseits sagt Rom, mit den neuen Investitionen können wir die Wirtschaft ankurbeln. Da ist er wieder, der alte Streit zwischen Berlin und südeuropäischen Staaten, die dann sagen, Investitionen sind gut, und Berlin sagt, wir müssen aber unbedingt sparen. Wer sagt denn eigentlich, dass die Deutschen da immer recht haben, Herr Ferber?
    Ferber: Es geht ja hier nicht um die Deutschen. Es ist ein französischer Haushaltskommissar, der hier den Blauen Brief geschrieben hat. Es geht um ein Verfahren bei der Europäischen Union. Darum sage ich eindeutig, das ist nicht ein deutsches Thema, sondern ein europäisches Thema. Wenn Sie den Haushalt genau anschauen, dann erhöhen die ja nicht die Investitionsausgaben, sondern sie erhöhen die Sozialausgaben, und zwar ganz drastisch. Das Renteneintrittsalter soll abgesenkt werden, das in Italien sowieso unter dem EU-Durchschnitt liegt. Es soll eine Grundsicherung eingeführt werden in einer Art und Weise, die das Budget wahnsinnig viel Geld kostet, und die Investitionen kommen wieder zu kurz. Wir würden uns ja freuen, wenn Italien mehr investieren würde.
    "Die EU steht geschlossen gegen Italien"
    Heuer: Aber das ist ja Teil dessen, was Italien vorschlägt. Darüber müsste man sich dann unterhalten. Wir wollen nicht zu sehr ins Detail gehen, Herr Ferber, aber ist es denn so, dass die EU da wirklich geschlossen gegen Italien steht?
    Ferber: Da steht die EU geschlossen gegen Italien, weil jeder weiß, wenn Italien aufgrund des schlechteren Ratings, aufgrund der höheren Verschuldung seine Staatsschulden nicht mehr bedienen kann, dann kommen wir in eine Situation, die vergleichbar ist mit der von Griechenland im Jahr 2010, und das würde bedeuten, dass Italien sich nicht mehr an den Kapitalmärkten refinanzieren kann. Das würde die Eurozone vor eine große Belastungsprobe stellen, wenn ein hoch industrialisiertes Land, das ja zu den G7 gehört, zu den führenden Wirtschaftsnationen dieser Erde, nicht mehr in der Lage ist, seinen Schuldendienst zu bedienen. Das würde alle runterreißen und deswegen steht hier Europa auch geschlossen.
    Heuer: Italien wäre schlimmer als Griechenland?
    Ferber: Ja, natürlich, weil Italien mit einem Gesamtschuldenstand von 2,3 Billionen dasteht. Im Verhältnis 2010 hatte Griechenland einen Gesamtschuldenstand von 310 Milliarden, also ein Siebtel davon. Dann kann man sich ungefähr vorstellen, worum es geht.
    Heuer: Wäre die Eurozone bereit, Italien dann zu helfen? Griechenland wurde geholfen.
    Ferber: Zunächst mal geht es darum, dass Italien aus eigener Kraft nicht dahin kommt, dass man ihm zwingend helfen muss. In Griechenland war es ja die Situation unmittelbar nach der Weltwirtschaftskrise mit einer hohen Neuverschuldung auf der ganzen Welt, was Italien in den Strudel getrieben hat, weil keine wirtschaftliche Basis vorhanden war.
    Heuer: Griechenland!
    Ferber: Griechenland. Entschuldigung! In Italien gibt es eine wirtschaftliche Basis und deswegen muss Italien auch ein bisschen mehr leisten und kann auch mehr leisten.
    "Italien muss sich wieder auf den Stabilitätspfad zurückbegeben"
    Heuer: Müsste die Eurozone helfen oder nicht?
    Ferber: Nein. Zunächst mal muss Italien selber sich wieder auf den Stabilitätspfad zurückbegeben, und diese Prozedur haben wir zurzeit.
    Heuer: Und später würde dann die Eurozone einspringen?
    Ferber: Zunächst mal geht es darum, das zu vermeiden, weil ein Land wie Italien hat einen jährlichen Refinanzierungsbedarf von bis zu 300 Milliarden Euro nur auf die bestehende Staatsschuld. Das zeigt, dass wir da in einer Größenordnung sind, die dem Gesamtschuldenstand Griechenlands entspricht. Wie da geholfen werden soll, noch dazu bei einer führenden Industrienation, wo der Internationale Währungsfonds sagen wird, das kann ich jetzt nicht der Weltgemeinschaft aufbürden, das zeigt das Problem Italiens. Deswegen müssen sie sich selber erst mal aus dem Strudel ziehen oder gar nicht in den Strudel reinkommen.
    Heuer: Markus Ferber, CSU-Politiker, Mitglied im Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europaparlaments. Herr Ferber, danke fürs Gespräch!
    Ferber: Gerne, Frau Heuer.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.