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Italien
Numerus Clausus auf der Kippe

Erst vor einigen Jahren wurde der Numerus Clausus an italienischen Hochschulen eingeführt und hat seit dem immer wieder zu Demonstrationen geführt. Abiturienten, die gegen den Numerus Clausus geklagt hatten,bekamen nun vom höchsten Verwaltungsgericht in Rom recht. Doch die Universität Mailand will Widerspruch einlegen.

Von Thomas Migge | 06.09.2017
    "Diese Fakultäten müssen für alle zugänglich sein! Wir sind gegen diese dummen Zulassungstests."
    Carla Vallici ist eine der Kämpferinnen gegen die in diesem Jahr eingeführten Aufnahmeprüfungen für Geisteswissenschaften an der Università Statale in Mailand. In Italien dienen diese Prüfungen der Ermittlung eines Numerus Clausus, der als Zugangsberechtigung zu bestimmten Studienfächern erforderlich ist. Carla und eine Gruppe anderer Abiturienten klagten gegen diese Prüfung für Geisteswissenschaften vor dem höchsten Verwaltungsgericht in Rom.
    Vor wenigen Tagen gaben die Richter Carla und ihren Mitstreitern recht. Eine richtige Entscheidung, meint Paolo Spinicci, Philosophieprofessor an der Statale in Mailand:
    "Viele Studenten wären bei einem Numerus Clausus außen vor geblieben. Sie hätten nicht die Möglichkeit gehabt, in die einzelnen Bereiche der Geisteswissenschaften hineinzuschnuppern, um dann zu entscheiden, welches Thema sie interessiert. Das Ziel dieser Fakultät ist es ja, bewusste Menschen heranzubilden."
    Gegen das Urteil wird Widerspruch eingelegt
    Gianluca Vago sieht das anders. Vago ist Rektor der Università Statale. Der Pathologe war für die Einführung von Aufnahmeprüfungen plus Numerus Clausus verantwortlich. Sein Hauptargument: zu wenig Lehrpersonal, zu wenig Geld. Ergo: die geisteswissenschaftliche Lehre sei in Gefahr zu veroberflächlichen, so seine Worte. Mit Vagos Tests können ab Ende September etwa 3.200 neue Studenten Geisteswissenschaften studieren. Rund 1.800 weitere Bewerber gingen leer aus - hoffen jetzt aber auf doch noch auf einen Studienplatz. Das Gerichtsurteil aus Rom will Rektor Vago nicht akzeptieren:
    "Wir werden vor dem Staatsrat Widerspruch gegen dieses Urteil einlegen. Solange von dort kein Urteil kommt, werde ich die bereits beschlossene Zugangsberechtigung qua Numerus Clausus nicht aufheben."
    Wann der Staatsrat in Rom entscheiden wird, ist unklar. Tatsache ist aber, dass die vorläufige richterliche Aufhebung von Aufnahmeprüfungen plus Numerus Clausus im Fall der Università Statale in Mailand landesweit für Hoffnung aber auch für Chaos sorgt. Denn: nicht ausgeschlossen ist, dass Studienanwärter, die in der Vergangenheit zu bestimmten Studienfächern, wie etwa Medizin, aufgrund des Numerus Clausus nicht zugelassen wurden, bald schon zugelassen werden müssen.
    Die römische Medizinstudentin Elisa Marchetti, Verantwortliche des Nationalen Studentenbundes:
    "In Italien gibt es abertausend junge Leute, die studieren wollen, aber nicht dürfen, weil sie die Aufnahmeprüfungen nicht bestehen."
    Mehr Finanzmittel müssen zur Verfügung gestellt werden
    Der Unsicherheit in Sachen Prüfungen und Numerus Clausus und möglicher weiterer Klagen seitens der Studierenden und Abiturienten will Italiens Bildungsministerin Valeria Fedeli zuvorkommen:
    "Wir müssen die immense Bedeutung der Geisteswissenschaften aufwerten. Ich denke mir, dass wir Zulassungsprüfungen vermeiden können, wenn die Hochschulen mehr Finanzmittel erhalten. Unsere Hochschulen haben doch nur ein Ziel: eine möglichst umfassende Ausbildung."
    Ministerin Fedeli kündigt also nichts anderes als eine Reform an. Sie verspricht mehr Geld für staatliche Hochschulen, denn nur so, erklärte sie, kann der Mangel an Lehrpersonal - einer der Hauptgründe für die Einführung eines Numerus Clausus - in bestimmten Fakultäten aufgehoben werden. Mit mehr Geld, so ihr Credo, gibt es also mehr Universitätsbildung für mehr junge Leute.
    Große Worte, denen viel Geld folgen muss. Doch woher dieses Geld kommen soll, ist vollkommen unklar. Der mutige und positive Vorstoß der Bildungsministerin hat bei Regierungschef Paolo Gentiloni, aber vor allem bei Finanzminister Pier Carlo Padoan noch keine Reaktion ausgelöst. Ohne ihr Plazet wird nicht ein einziger Cent mehr als geplant in die Bildung fließen.