Mittwoch, 24. April 2024

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Italien und die EU
"Spielraum für Investitionen schaffen"

Italien fordert wie Frankreich mehr Zeit für die Einhaltung der EU-Haushaltsziele. Zugleich müssten die Maastrichter Regeln für Investitionen gelockert werden, sagte die italienische Abgeordnete Laura Garavini (Partito Democratico) im Deutschlandfunk. Es gehe nicht nur darum zu sparen, sondern es müsse mehr für Wachstum getan werden.

Laura Garavini im Gespräch mit Mario Dobovisek | 25.06.2014
    Porträtfoto der italienischen Abgeordneten der Demokratischen Partei, Laura Garavini, aufgenommen am 28.08.2013
    "Zuerst über Inhalte sprechen" (dpa picture alliance / Fredrik von Erichsen)
    Italien wolle nun das umsetzen, was vor zehn Jahren auch bereits in Deutschland unter Bundeskanzler Gerhard Schröder erfolgreich getan worden sei: Damals habe die Bundesregierung als erstes Land die EU-Defizit-Regel gebrochen, um die Wirtschaft im eigenen Land anzukurbeln. Parallel seien Reformen eingeleitet worden - mit dem Ergebnis, dass die Wirtschaft wieder in Schwung gekommen sei und das Defizit gesenkt werden konnte. "Das ist genau das, was wir jetzt auch vorhaben.
    Italien habe schon mehrere wichtige Reformen auf den Weg gebracht. Es sei aber nicht "alles von heute auf morgen" zu schaffen, sondern man benötige einige Jahre, so wie Deutschland vor zehn Jahren auch Zeit gebraucht habe.
    Als eine weitere Sparmaßnahme will Italien unter anderem den Senat abschaffen. Das Vorhaben bezeichnete die italienische Abgeordnete der Demokratischen Partei, Laura Garavini, im Deutschlandfunk als "historisches Reformprojekt. Auch hier diene das deutsche System als Vorbild: "Die geplante Reform übernimmt das deutsche System. Der Senat würde eine Art von Bundesrat werden".

    Das Interview in voller Länge:
    Mario Dobovisek: Italien steht unter Druck. Der Schuldenberg ist enorm, die Reformaufgaben sind gewaltig: Wahlrecht, Arbeitsmarkt, Verwaltung. Und das Wirtschaftswachstum lässt zu wünschen übrig. Premier Matteo Renzi wird nicht müde, bei seinen Partnern in Brüssel zu betonen, wie sehr sich sein Land doch bemühe, und das erst recht so kurz vor Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft in knapp einer Woche.
    Hausaufgaben ja, aber mit Einschränkungen. So pocht Renzi auf ein Aufweichen des Stabilitätspaktes in der EU. Ihm im Nacken sitzen der frühere Komiker Beppe Grillo mit seiner Fünf-Sterne-Bewegung, dem MoVimento 5 Stelle, zweitstärkste Kraft im Parlament, zweitstärkste Partei Italiens auch bei den Europawahlen, und zwar mit einem klaren EU-skeptischen Kurs. – Am Telefon begrüße ich Laura Garavini, im italienischen Parlament ist sie Abgeordnete des Partito Democratico, der italienischen Demokraten in der Regierungskoalition. Guten Morgen, Frau Garavini.
    Laura Garavini: Schönen guten Morgen.
    Dobovisek: Stichwort Euro-Stabilitätspakt und Schulden. Italien will die EU-Haushaltsregeln flexibler anwenden, sagt Renzi. Was bedeutet das, flexibler?
    Garavini: Es bedeutet, dass wir unsere Hausaufgaben erledigen wollen, aber gleichzeitig müssen die Maastricht-Regeln für Investitionen gelockert werden, so wie es vor zehn Jahren sehr erfolgreich für Deutschland gemacht wurde. Also es geht nicht nur darum, weniger zu sparen, sondern es soll vor allem mehr für Wachstum getan werden.
    Dobovisek: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble warnt vor einem Aufweichen des Euro-Stabilitätspaktes. Er sagte gestern in der ARD, mehr Schulden führten nur dazu, dass man die Probleme, anstatt sie zu lösen, vertagt. Wie wollen Sie die Probleme lösen, anstatt sie zu vertagen?
    "Auch Deutschland hat Drei-Prozent-Defizitgrenzen durchbrochen"
    Garavini: Wir schlagen genau das vor, was Deutschland unter der Regierung Schröder vor genau zehn Jahren erfolgreich gemacht hat. Damals hat Deutschland als erstes Land die Drei-Prozent-Defizitgrenzen durchbrochen, um die Wirtschaft im eigenen Land anzukurbeln. Parallel sind Reformen gemacht worden mit dem Ergebnis, dass die Wirtschaft wieder in Schwung kam und das Defizit gesenkt werden konnte, und das ist genau das, was wir jetzt auch vorhaben.
    Dobovisek: Wie viel mehr Zeit braucht Italien?
    Garavini: Wir sind schon dabei, wichtige Reformen zu schaffen. Das heißt, es ist klar, dass man nicht alles von heute auf morgen schaffen kann. Aber innerhalb einiger Jahre, genauso wie es in Deutschland vor zehn Jahren der Fall gewesen war, könnten wir es hinkriegen. Wir sind übrigens auch nicht dabei, den Sozialstaat in Italien zu beschneiden, weil es ihn eigentlich nie gegeben hat. Wir haben aber schon das Rentensystem reformiert beispielsweise. In Italien geht man künftig noch später in Rente als in Deutschland. Wir sind dabei, die Arbeitsgesetze zu reformieren und sie noch flexibler zu machen, obwohl es schmerzhaft ist, gerade für eine Partei wie unsere. Wir schaffen die Provinzen ab. Also wir sind dabei, wirklich große Sparmaßnahmen zu schaffen. Aber wie gesagt: Hier geht es darum, nicht nur Sparmaßnahmen zu schaffen. Es geht auch darum, einfach Spielraum für Investitionen zu schaffen. Das ist das, was Italien nötig hat.
    "Ein historisches Reformprojekt"
    Dobovisek: Ein Teil der Reformen, die Matteo Renzi bei seinem Amtsantritt angekündigt hatte, war der Aufbruch des immer wiederkehrenden politischen Stillstandes im Land. Die Parteien rutschten von einem Patt in den nächsten. Schuld war das Wahlrecht, das sogenannte Porcellum, die große Schweinerei, wie es heißt. Renzi änderte es inzwischen und will nun auch die zweite Kammer des Parlaments, den Senat entmachten. Was soll das bringen?
    Garavini: Es handelt sich um ein historisches Reformprojekt. Es wurde schon seit Jahrzehnten darüber geredet und jetzt sind wir dabei, auch diese wichtige Reform zu schaffen. Es sieht vor, dass der Senat faktisch abgeschafft wird und es künftig nur noch eine Parlamentskammer geben wird, eben die Abgeordnetenkammer. Was in Italien zurzeit existiert ist eigentlich ein Unikum, und das hat daher die Folge gehabt, dass die Gesetzgebung in Italien ungeheuer langsam war oder immer noch ist. Auch diese Reform ist nicht nur politisch, sondern auch finanziell sehr positiv, weil wir unheimlich viel damit sparen werden. Es ist nicht einfach, weil eigentlich wir verlangen von den Senatoren faktisch, dass sie ihre eigene Abschaffung beschließen, und das ist natürlich nicht einfach. Aber ich bin sehr optimistisch, dass wir nach Jahrzehnten der Diskussion endlich Fakten schaffen können, und zwar, ich vermute mal, innerhalb des nächsten Jahres.
    Dobovisek: Auch in Deutschland haben wir eine zweite Kammer, den Bundesrat, mit den Vertretern der Länder. Niemand würde hier auf die Idee kommen, auch wenn es manchmal schwierig ist, zu sagen, wir schaffen den Bundesrat ab. Sie repräsentieren vor allem die in Deutschland lebenden Italiener, Frau Garavini, und die sind es auch, die zum Beispiel im Internet-Forum "Italians Online" gerade rege über die Abschaffung des Senats diskutieren mit dem Thema, die Macht auf eine Parlamentskammer zu diskutieren sei undemokratisch. Was halten Sie dem entgegen?
    Garavini: Die geplante Reform übernimmt genau das System, was wir aus Deutschland kennen. Das heißt, der Senat wird eine Art von Bundesrat werden. Das heißt, es gäbe nur die Abgeordnetenkammer mit gewählten Mitgliedern und der Senat würde genauso wie es in Deutschland ist, zu einem Bundesrat werden.
    Dobovisek: Allerdings ohne Macht, ohne eigene Macht, Gesetze zu verabschieden, ohne Macht, möglicherweise auf die Regierung einwirken zu können.
    Garavini: Ja. Aber auch ohne Kosten und sie würden schon gewisse Mächte behalten. Und wie gesagt: Das würde ähnlich so funktionieren wie in Deutschland, und keiner kann mir sagen, dass die Demokratie in Deutschland schlecht funktioniert. Im Gegenteil!
    Dobovisek: Sie gelten als ausgesprochene Gegnerin Silvio Berlusconis, Frau Garavini. Ihr Parteichef und Ministerpräsident Renzi arbeitet nun aber mit dem Lager Berlusconis zusammen, mit der Forza Italia und der Lega Nord. Ein richtiger Schritt?
    Garavini: Wir arbeiten mit Forza Italia und mit der Lega Nord zusammen, um die Verfassungsreformen zu schaffen. Das heißt, wir schreiben zusammen die grundsätzlichen Regeln neu, um zu vermeiden, mit denen wieder regieren zu müssen, und in diesem Sinn finde ich das schon in Ordnung und wichtig. Grundsätzliche Regeln sollte man am liebsten zusammen schreiben dürfen können, und das ist genau das, was wir zurzeit versuchen zu schaffen, aber mit dem Ziel, zusammen nicht mehr regieren zu müssen.
    EU: Erst über Inhalte, dann über Posten diskutieren
    Dobovisek: Seit der Europawahl wird heftig über die Posten an der EU-Spitze diskutiert. Wie kommt dieses Postengeschacher in Italien an?
    Garavini: Italien hat von Anfang an gesagt, sprechen wir zuerst über die künftigen Inhalte der Politik in Europa und erst dann über die Posten. Jetzt wird alles ein bisschen vermischt, das stimmt, aber es ist schon wichtig, dass nicht nur über Posten gesprochen wird. Und das jetzige Signal, dass es zu einer Korrektur der bisherigen EU-Politik kommen kann, das ist sehr positiv.
    Dobovisek: Laura Garavini, Abgeordnete der Sozialdemokraten im italienischen Parlament.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.