Archiv

Italiens Steuerpolitik
Der Vatikan muss zahlen - eigentlich

Anfang November entschied der Europäische Gerichtshof: Kommerziell genutzte kirchliche Gebäude in Italien dürfen nicht mehr von der Steuer befreit werden, das wäre eine verbotene Subvention. Laizisten feierten das als Sieg, doch die Regierung in Rom zeigt wenig Interesse daran, die Schulden einzutreiben.

Von Thomas Migge |
    Ausblick auf Petersplatz oder Piazza San Pietro und Rom von der Kuppel des Petersdoms, Vatikan, Rom, Latium, Italien
    Etwa 9.000 Schulgebäude, Kliniken und andere Sozialeinrichtungen sind in Italien im Besitz der Kirche. Für wie viele davon müssen jetzt Steuern nachgezahlt werden? (imago/imagebroker)
    Rund 500 Personen demonstrierten zuletzt Anfang November am römischen Stadttor Porta Pia. Organisiert hatte die Demo die Partei der Radikalen. Unterstützt wurde sie von den wichtigsten laizistischen Vereinigungen Italiens.
    Grund der Demonstration waren jene Steuern, die der Kirchenstaat jahrelang dem italienischen Staat nicht überwiesen hat. Ausstehende Steuern in Höhe von mehreren Milliarden Euro, an deren Eintreibung der italienische Staat, bekanntermaßen nicht gerade im Geld schwimmend, nicht interessiert zu sein scheint.
    "Basta" in Sachen Immobiliensteuer
    Protestiert wurde nicht nur gegen den Umstand, dass Italien einem anderen Staat, dem Heiligen Stuhl, Steuerzahlungen erlässt: Italien kommt auch für die laufenden Kosten des Kirchenstaates auf, wie dieser Demonstrant beklagt:
    "Wir Italiener zahlen für die vatikanische Müllentsorgung. Auch die Kosten des elektrischen Stroms für den Kirchenstaat zahlt Italien. Und ich weiß nicht, was sonst noch! Basta!"
    "Basta" heißt es jetzt zumindest in Sachen Immobiliensteuern. Die nämlich muss der italienische Staat beim Heiligen Stuhl eintreiben. So entschied es am 6. November der Europäische Gerichtshof EuGH in Luxemburg.
    Illegale staatliche Hilfe
    Geklagt hatten eine römische Montessori-Schule und ein B&B-Betreiber. Deren Argumentation: Während sie auf ihre Immobilie saftige Steuern zahlen müssten, käme der Heilige Stuhl, Roms größter Immobilienbesitzer, gratis davon.
    Mit einer Liveschaltung aus dem Luxemburger Gerichtssaal verfolgten interessierte Italiener das Urteil in Sachen Steuernachzahlung. Begründung des Urteils: Die vor dem Jahr 2012 gewährte Steuerfreiheit für religiöse Einrichtungen war eine wettbewerbswidrige und illegale staatliche Hilfe. Das neue Urteil setzt eine Entscheidung der Europäischen Kommission von 2012 außer Kraft. Darin hatte es geheißen, dass die Befreiung von der kommunalen Immobiliensteuer für kirchliche Einrichtungen zwar rechtswidrig sei, aber auf eine Rückforderung wegen des immensen bürokratischen Aufwands verzichtet werden könne.
    Schwerer Schlag für Kirchenkassen
    Sofort nach der jüngsten Urteilsverkündung brach Jubel aus. Nicht nur bei den Klägern in der Montessori-Schule, sondern auch bei allen überzeugten italienischen Laizisten und jenen Verfassungsrechtlern und Politikern, die seit Jahren die illegale Steuerbegünstigung des Vatikans durch Italiens Regierungen beklagen.
    Der römische Steuerjurist Carlo Manzonitti:
    "Der italienische Staat muss jetzt rückwirkend für die Jahre 2006 bis 2011 Immobiliensteuern einkassieren. Ein Haufen Geld. Damit werden die Bestimmungen vorheriger Regierungen, die diese Steuerfreiheit entschieden haben, aufgehoben."
    Experten aus dem italienischen Finanzministerium zufolge beziffern die möglichen Steuernachzahlungen auf rund fünf Milliarden Euro. Der Betrag könnte niedriger ausfallen, wenn der Italo-Fiskus auf die Zahlung von Zinsen und Mahngebühren verzichtet. Aber auch wenn der Heilige Stuhl nur drei Milliarden Euro nachzahlen müsste, handelt es sich für den Vatikan um eine hohe Summe.
    Steuern auf kommerzielle Aktivitäten
    Monsignore Stefano Russo, Generalsekretär der italienischen Bischofskonferenz, begrüßt allerdings das Urteil des Europäischen Gerichtshofes:
    "Es ist nur richtig, dass die Kirche keine Privilegien genießt. Deshalb befürworte ich dieses Urteil, denn es schafft Klarheit. Denn es ist ja nur richtig so, dass, wenn eine kirchliche Immobilie nur rein kommerziell genutzt wird, dafür auch die entsprechende Steuer gezahlt wird."
    Seit 2012 zahlt die katholische Kirche Steuern für jene Gebäude, in denen Hotels, Restaurants und andere kommerzielle Aktivitäten stattfinden. Auch wenn diese von Orden oder Kirchengemeinden betrieben werden. Doch diese Regelung betrifft nicht die Zeit zwischen 2006 und 2011. Damals gab es noch keine steuerlichen Bestimmungen in diesem Sinn. Deshalb klagte die Montessori-Schule in Brüssel.
    Mit oder ohne Kapelle?
    Theoretisch müsste der italienische Staat jetzt definieren, welche kirchlichen Immobilien zwischen 2006 und 2011 rein kommerziell genutzt wurden. Eine Herkulesaufgabe, denn die Kirche besitzt neben 26 000 Kirchen, Klöstern, Sporteinrichtungen und Geschäften auch etwa 9.000 Schulgebäude, Kliniken, Kindergärten und andere Sozialeinrichtungen. Besitzt eine dieser Einrichtungen, wie etwa ein von einem Orden betriebenes Hotel, eine eigene Kapelle, muss für die entsprechende Immobilie keine Steuer gezahlt werden.
    Festzustellen, ob eine Immobilie der Kirche rein kommerziell genutzt wird, ist schon jetzt ein immenses Unterfangen, denn jedes dieser Gebäude muss auf die Präsenz eines geweihten Ortes hin überprüft werden.
    Monsignore Russo weiß genau, dass Italien nicht die logistischen Möglichkeiten besitzt, um festzustellen, welche kirchlichen Immobilien in den entsprechenden Jahren steuerpflichtig waren und welche nicht. Er sagt:
    "Tja, sicherlich hat der italienische Staat jetzt viel zu tun, um festzustellen, was Sache ist. Das sind ja immerhin fünf Jahre, die überprüft werden müssen. Auch die Definition einer Geldsumme, die gezahlt werden müsste, wird sehr schwierig sein."
    Kein staatliches Interesse an Kirchengeld
    Der Generalsekretär der italienischen Bischofskonferenz weiß auch, dass die amtierende Regierung keinerlei Interesse daran hat, die Beziehungen zur Kirche mit hohen Geldforderungen zu belasten. Vor allem nicht Innenminister Matteo Salvini von der rechtsradikalen Partei Lega, der nur mit Rosenkranz in der Hosentasche seine Wohnung verlässt und sich als christlicher Kreuzritter gegen den Islam inszeniert. Er und auch die übrigen Regierungsmitglieder ignorieren deshalb das Urteil aus Luxemburg.
    Ein Unding, schimpft die laizistische Partei der Radikalen. Sie will deshalb die italienische Regierung beim EuGH verklagen. Italien und die Immobiliensteuern der Kirche: Fortsetzung folgt.