Mario Dobovisek: Guten Morgen, Herr Jahn!
Roland Jahn: Schönen guten Morgen!
Dobovisek: Zum Versetzen der Mitarbeiter brauche man kein Gesetz, sagt auch der Sozialdemokrat und frühere Bürgerrechtler Wolfgang Thierse. Warum, Herr Jahn, brauchen wir es doch?
Jahn: Das ist eine Frage des Gesetzgebers. Ich kann diese Frage nicht beantworten. Ich habe die Aufgabe, ein Gesetz umzusetzen. Und ich kann hier ja nicht Debatte des Bundestages fortsetzen.
Dobovisek: Aber um Ihre Antrittsrede aus dem März 2011 zu zitieren: Sie sagten damals, jeder ehemalige Stasi-Mitarbeiter, der in der Behörde angestellt sei, sei ein Schlag ins Gesicht der Opfer. Das ist ja soweit auch nachzuvollziehen. Sie haben sich aber schon stark gemacht für das Gesetz?
Jahn: Ich habe mich nicht starkgemacht für das Gesetz, ich habe auf ein Problem hingewiesen und dieses Problem solle gelöst werden, weil meine Aufgabe ist es, Aufarbeitung zu gewährleisten. Und ja, in den Debatten ist es angeklungen. Es geht um Menschen, es geht um Opfer der Staatssicherheit, die doch ernst genommen werden sollten mit ihrem Empfinden. Und ihr Empfinden ist, dass es eine Zumutung ist, wenn sie in die Behörde kommen, dass sie dort ehemalige Mitarbeiter der Staatssicherheit finden in einer Behörde, die gerade dazu da ist, dass sie das Empfinden der Opfer ernst nimmt und die Aufarbeitung der Staatssicherheit, der Tätigkeit der Staatssicherheit, leistet.
Dobovisek: Für den damaligen Innenminister Schäuble sowie für Ihre Vorgänger Joachim Gauck und Marianne Birthler stellten die heute noch 45 Mitarbeiter mit Stasi-Vergangenheit offenbar kein so großes Problem dar, zumindest kämpften sie nicht so öffentlich und so vehement dagegen. Warum sehen Sie das jetzt so anders?
Jahn: Also, erst mal muss man klar und deutlich sagen: Marianne Birthler hat immer davon gesprochen, dass es eine schwere Hypothek ist, dass ehemalige Stasi-Offiziere in dieser Behörde arbeiten. Und für mich ist es eine ganz normale Sache, dass, wenn ich mit den Opferverbänden zusammen bin, ich wenn ich ihr Leid höre, das sie klagen, dass ich sie ernst nehme und dass ich das Problem benenne und die Politik bitte, hier auch mitzuhelfen, eine Lösung anzustreben.
Dobovisek: Welche Funktionen hatten denn die betreffenden 45 Mitarbeiter in Ihrer Behörde?
Jahn: Die Mitarbeiter haben an verschiedenen Positionen gearbeitet oder arbeiten immer noch an verschiedenen Positionen, im Archiv, aber auch hauptsächlich im Haussicherungsdienst, am Empfang. Jeder, der in diese Behörde kommt, kann auf einen Mitarbeiter, der früher für die Staatssicherheit gearbeitet hat, treffen.
Dobovisek: Und da war es nicht möglich, im Einvernehmen mit diesen betroffenen Mitarbeitern eine Lösung zu finden, sich möglicherweise in andere Büros, in andere Behörden versetzen zu lassen?
Jahn: Mein Weg ist immer die einvernehmliche Lösung. Ich suche nach einvernehmlichen Lösungen schon deshalb, weil ich Respekt habe vor diesen Menschen, vor diesen Menschen, die in den letzten 20 Jahren auch für diese Behörde gearbeitet haben. Es geht darum, dass wir wirklich hier eine Lösung finden, die allen gerecht wird, sowohl den Mitarbeitern, die früher für die Staatssicherheit tätig waren, als auch den Opfern und ihren Empfindungen. Die Politik ist immer herausgefordert, Lösungen für Menschen zu finden. Und eine Versetzung in andere Bereiche der öffentlichen Verwaltung der Republik Deutschland entspricht ja auch ihrem Arbeitsvertrag. Sie haben Arbeitsverträge mit der Bundesrepublik Deutschland und in dem Sinne würde hier nur eine Versetzung stattfinden, die natürlich eine gleichwertige Arbeitsstelle beinhaltet, die natürlich gleichwertige Arbeitssituationen beinhaltet und, aber an einem anderen Ort ist, in einer anderen Verwaltung, dort, wo sie nicht auf Menschen treffen können, die unter der Staatssicherheit gelitten haben.
Dobovisek: Warum, Herr Jahn, wenn sie sagen, das steht ja sowieso in deren Arbeitsverträgen drin, dass eine Versetzung möglich sein könnte, warum brauchten wir dann tatsächlich erst mal dieses Gesetz dazu, um dann diese Mitarbeiter zu versetzen? Das hätten Sie ja dann schon gleich nach Ihrem Antritt tun können?
Jahn: All das müssen Sie den Gesetzgeber fragen. Ich habe gleich nach meinem Antritt mit den Kollegen gesprochen, ich habe ihnen Stellen angeboten, vorgelegt, und bis jetzt hat es noch keine Möglichkeit gegeben, dass einer eine Stelle gefunden hat, die ihm entsprochen hat. Aber das ist ein Prozess, der im Gange war. Der Gesetzgeber hat jetzt noch mal deutlich machen wollen, dass es sein politischer Wille ist. Und das ist dann seine Angelegenheit. Meine Angelegenheit ist es, die Gesetze umzusetzen.
Dobovisek: Die Argumentation, die immer zu Felde geführt wurde, um diese Mitarbeiter in Ihrer Behörde zu beschäftigen, war ja, dass sie durchaus auch einen Mehrwert bringen können für die Aufarbeitung der Stasi-Akten. Gab es diesen Mehrwert?
Jahn: Das ist mühselig, darüber zu streiten. Ich habe diesen Mehrwert nie gesehen, andere haben es gesehen. Wir müssen jetzt mit dem Problem umgehen, wir müssen jetzt dafür sorgen, dass wir die Empfindungen der Opfer ernst nehmen, dass wir eine Lösung finden, die auch den Stasi-Menschen, den ehemaligen Stasi-Menschen gerecht wird. Und das ist die Herausforderung von Politik, das müssen wir leisten im Interesse der Aufarbeitung.
Dobovisek: Danken Ihnen dafür die Stasi-Opfer, für Ihren Einsatz auch, was die Gesetzesnovelle angeht, oder überwiegt da die Post der Kritiker?
Jahn: Ich kann nur sagen: Überall, wo ich im Lande bin, wo ich bei Veranstaltungen bin, wo ich Menschen treffe, wird gesagt, es ist wichtig, dass wir hier eine Lösung finden, dass wir wirklich Aufarbeitung leisten können der Tätigkeit der Staatssicherheit, dass wir den Opfern gerecht werden können, dass wir ihnen helfen können, wenn sie in ihre Akten schauen. Das ist immer ganz, ganz wichtig, dass die Opfer so etwas wie Genugtuung erfahren, wenn sie die Stasi-Akten nutzen, wenn sie in Veranstaltungen über das erzählen können, was sie erlebt haben und erlitten haben. Und das ist das Ziel des Gesetzes. Ein Opferschutzgesetz, was den Menschen helfen soll.
Dobovisek: Wie war das für Sie, Herr Jahn, als Sie das erste Mal den Einblick in Ihre eigene Akte erhalten haben?
Jahn: Das war schon sehr, doch, eindrücklich. Und wichtig ist, dass wir ja aufklären über die Tätigkeit der Staatssicherheit, dass wir aufklären darüber, wie diese Diktatur funktioniert hat. Und das ist das Entscheidende. Wir müssen hier Möglichkeiten schaffen, dass wir sensibel mit dem Thema umgehen, dass wir differenziert das betrachten. Aber das können wir nur, indem wir offenlegen, indem wir aufklären und indem wir Vertrauen schaffen vor allen Dingen. Vertrauen in einen Rechtsstaat, Vertrauen in eine Demokratie. Und da können wir die Opfer nicht zurücklassen mit ihrer Empfindung.
Dobovisek: Übermorgen begehen wir gemeinsam den Tag der Deutschen Einheit, zum 21. Mal bereits. Ist die Stasi-Unterlagen-Behörde nach dem Auslaufen des Stasi-Unterlagen-Gesetzes im Jahr 2019 ein Auslaufmodell?
Jahn: Die Behörde wird so lange existieren, wie sie Aufgaben hat. Eins ist sicher, dass Aufklärung, Aufarbeitung immer nötig ist. Das zeigen diese Debatten. Und das ist auch der Anspruch einer demokratischen Gesellschaft: Transparenz. Aufklärung ist ja ein Grundpfeiler der demokratischen Gesellschaft, und deswegen muss natürlich der Zugang zu den Akten immer möglich sein und er muss organisiert werden, in welcher Form auch immer.
Dobovisek: Eine Aufgabe, die niemals endet?
Jahn: Ja, eine Gesellschaft kann auf Aufklärung nicht verzichten, wenn sie demokratischen Anspruch hat. Der Zugang zu den Akten muss immer möglich sein.
Dobovisek: Was können frühere autoritäre Regime, beispielsweise der Irak oder jetzt auch Libyen, von der Arbeit Ihrer Behörde lernen?
Jahn: Ja, wir sind weltweit Vorbild in der Art, wie wir den Zugang zu den Akten gewährleisten. Wir haben Besucher aus dem arabischen Raum, erst diese Woche war wieder eine Delegation aus dem Irak da, Ägypter kommen ganz oft, sie wollen wissen, wie haben wir hier den Zugang zu diesen Akten organisiert, wie sorgen wir dafür, dass mit den Akten auch sorgsam umgegangen wird? Wie gehen wir um auch mit den Menschen, die in den Akten stehen? Es geht immer um menschliche Schicksale und nicht nur um Papier.
Und das Wichtige ist, dass hier auch ein Weg gefunden ist gerade zwischen Transparenz des Würgens des Geheimdienstes und der Geheimpolizei auf der einen Seite und auf der anderen Seite des Schutzes der Daten der Menschen, die bespitzelt worden sind, die ausgespäht worden sind. Das zusammenzubekommen, das, denke ich, ist in Deutschland sehr gut gelungen und vor allen Dingen durchaus – und das weise ich noch mal klar zurück, was im Eingang der Sendung gesagt worden ist –, Menschenjagd: Hier findet keine Menschenjagd statt. Hier findet Aufklärung statt, Transparenz statt, das ist die Grundlage, dass wir überhaupt auf einen Weg kommen, der in Richtung einer Versöhnung bringen kann, einer Versöhnung, die es möglich macht, dass wir hier, Täter und Opfer sich in einer friedlichen Art begegnen.
Und das ist in Deutschland, denke ich, zum großen Teil sehr gut gelungen und da sind wir großes Vorbild. Und diesen ruhigen, besonnenen Weg sollten wir weiter gehen und nicht mit zugespitzten Parolen und Polemiken von Menschenjagd hier diese Aufklärung beschädigen.
Dobovisek: Sagt uns heute Morgen Roland Jahn, der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Roland Jahn: Schönen guten Morgen!
Dobovisek: Zum Versetzen der Mitarbeiter brauche man kein Gesetz, sagt auch der Sozialdemokrat und frühere Bürgerrechtler Wolfgang Thierse. Warum, Herr Jahn, brauchen wir es doch?
Jahn: Das ist eine Frage des Gesetzgebers. Ich kann diese Frage nicht beantworten. Ich habe die Aufgabe, ein Gesetz umzusetzen. Und ich kann hier ja nicht Debatte des Bundestages fortsetzen.
Dobovisek: Aber um Ihre Antrittsrede aus dem März 2011 zu zitieren: Sie sagten damals, jeder ehemalige Stasi-Mitarbeiter, der in der Behörde angestellt sei, sei ein Schlag ins Gesicht der Opfer. Das ist ja soweit auch nachzuvollziehen. Sie haben sich aber schon stark gemacht für das Gesetz?
Jahn: Ich habe mich nicht starkgemacht für das Gesetz, ich habe auf ein Problem hingewiesen und dieses Problem solle gelöst werden, weil meine Aufgabe ist es, Aufarbeitung zu gewährleisten. Und ja, in den Debatten ist es angeklungen. Es geht um Menschen, es geht um Opfer der Staatssicherheit, die doch ernst genommen werden sollten mit ihrem Empfinden. Und ihr Empfinden ist, dass es eine Zumutung ist, wenn sie in die Behörde kommen, dass sie dort ehemalige Mitarbeiter der Staatssicherheit finden in einer Behörde, die gerade dazu da ist, dass sie das Empfinden der Opfer ernst nimmt und die Aufarbeitung der Staatssicherheit, der Tätigkeit der Staatssicherheit, leistet.
Dobovisek: Für den damaligen Innenminister Schäuble sowie für Ihre Vorgänger Joachim Gauck und Marianne Birthler stellten die heute noch 45 Mitarbeiter mit Stasi-Vergangenheit offenbar kein so großes Problem dar, zumindest kämpften sie nicht so öffentlich und so vehement dagegen. Warum sehen Sie das jetzt so anders?
Jahn: Also, erst mal muss man klar und deutlich sagen: Marianne Birthler hat immer davon gesprochen, dass es eine schwere Hypothek ist, dass ehemalige Stasi-Offiziere in dieser Behörde arbeiten. Und für mich ist es eine ganz normale Sache, dass, wenn ich mit den Opferverbänden zusammen bin, ich wenn ich ihr Leid höre, das sie klagen, dass ich sie ernst nehme und dass ich das Problem benenne und die Politik bitte, hier auch mitzuhelfen, eine Lösung anzustreben.
Dobovisek: Welche Funktionen hatten denn die betreffenden 45 Mitarbeiter in Ihrer Behörde?
Jahn: Die Mitarbeiter haben an verschiedenen Positionen gearbeitet oder arbeiten immer noch an verschiedenen Positionen, im Archiv, aber auch hauptsächlich im Haussicherungsdienst, am Empfang. Jeder, der in diese Behörde kommt, kann auf einen Mitarbeiter, der früher für die Staatssicherheit gearbeitet hat, treffen.
Dobovisek: Und da war es nicht möglich, im Einvernehmen mit diesen betroffenen Mitarbeitern eine Lösung zu finden, sich möglicherweise in andere Büros, in andere Behörden versetzen zu lassen?
Jahn: Mein Weg ist immer die einvernehmliche Lösung. Ich suche nach einvernehmlichen Lösungen schon deshalb, weil ich Respekt habe vor diesen Menschen, vor diesen Menschen, die in den letzten 20 Jahren auch für diese Behörde gearbeitet haben. Es geht darum, dass wir wirklich hier eine Lösung finden, die allen gerecht wird, sowohl den Mitarbeitern, die früher für die Staatssicherheit tätig waren, als auch den Opfern und ihren Empfindungen. Die Politik ist immer herausgefordert, Lösungen für Menschen zu finden. Und eine Versetzung in andere Bereiche der öffentlichen Verwaltung der Republik Deutschland entspricht ja auch ihrem Arbeitsvertrag. Sie haben Arbeitsverträge mit der Bundesrepublik Deutschland und in dem Sinne würde hier nur eine Versetzung stattfinden, die natürlich eine gleichwertige Arbeitsstelle beinhaltet, die natürlich gleichwertige Arbeitssituationen beinhaltet und, aber an einem anderen Ort ist, in einer anderen Verwaltung, dort, wo sie nicht auf Menschen treffen können, die unter der Staatssicherheit gelitten haben.
Dobovisek: Warum, Herr Jahn, wenn sie sagen, das steht ja sowieso in deren Arbeitsverträgen drin, dass eine Versetzung möglich sein könnte, warum brauchten wir dann tatsächlich erst mal dieses Gesetz dazu, um dann diese Mitarbeiter zu versetzen? Das hätten Sie ja dann schon gleich nach Ihrem Antritt tun können?
Jahn: All das müssen Sie den Gesetzgeber fragen. Ich habe gleich nach meinem Antritt mit den Kollegen gesprochen, ich habe ihnen Stellen angeboten, vorgelegt, und bis jetzt hat es noch keine Möglichkeit gegeben, dass einer eine Stelle gefunden hat, die ihm entsprochen hat. Aber das ist ein Prozess, der im Gange war. Der Gesetzgeber hat jetzt noch mal deutlich machen wollen, dass es sein politischer Wille ist. Und das ist dann seine Angelegenheit. Meine Angelegenheit ist es, die Gesetze umzusetzen.
Dobovisek: Die Argumentation, die immer zu Felde geführt wurde, um diese Mitarbeiter in Ihrer Behörde zu beschäftigen, war ja, dass sie durchaus auch einen Mehrwert bringen können für die Aufarbeitung der Stasi-Akten. Gab es diesen Mehrwert?
Jahn: Das ist mühselig, darüber zu streiten. Ich habe diesen Mehrwert nie gesehen, andere haben es gesehen. Wir müssen jetzt mit dem Problem umgehen, wir müssen jetzt dafür sorgen, dass wir die Empfindungen der Opfer ernst nehmen, dass wir eine Lösung finden, die auch den Stasi-Menschen, den ehemaligen Stasi-Menschen gerecht wird. Und das ist die Herausforderung von Politik, das müssen wir leisten im Interesse der Aufarbeitung.
Dobovisek: Danken Ihnen dafür die Stasi-Opfer, für Ihren Einsatz auch, was die Gesetzesnovelle angeht, oder überwiegt da die Post der Kritiker?
Jahn: Ich kann nur sagen: Überall, wo ich im Lande bin, wo ich bei Veranstaltungen bin, wo ich Menschen treffe, wird gesagt, es ist wichtig, dass wir hier eine Lösung finden, dass wir wirklich Aufarbeitung leisten können der Tätigkeit der Staatssicherheit, dass wir den Opfern gerecht werden können, dass wir ihnen helfen können, wenn sie in ihre Akten schauen. Das ist immer ganz, ganz wichtig, dass die Opfer so etwas wie Genugtuung erfahren, wenn sie die Stasi-Akten nutzen, wenn sie in Veranstaltungen über das erzählen können, was sie erlebt haben und erlitten haben. Und das ist das Ziel des Gesetzes. Ein Opferschutzgesetz, was den Menschen helfen soll.
Dobovisek: Wie war das für Sie, Herr Jahn, als Sie das erste Mal den Einblick in Ihre eigene Akte erhalten haben?
Jahn: Das war schon sehr, doch, eindrücklich. Und wichtig ist, dass wir ja aufklären über die Tätigkeit der Staatssicherheit, dass wir aufklären darüber, wie diese Diktatur funktioniert hat. Und das ist das Entscheidende. Wir müssen hier Möglichkeiten schaffen, dass wir sensibel mit dem Thema umgehen, dass wir differenziert das betrachten. Aber das können wir nur, indem wir offenlegen, indem wir aufklären und indem wir Vertrauen schaffen vor allen Dingen. Vertrauen in einen Rechtsstaat, Vertrauen in eine Demokratie. Und da können wir die Opfer nicht zurücklassen mit ihrer Empfindung.
Dobovisek: Übermorgen begehen wir gemeinsam den Tag der Deutschen Einheit, zum 21. Mal bereits. Ist die Stasi-Unterlagen-Behörde nach dem Auslaufen des Stasi-Unterlagen-Gesetzes im Jahr 2019 ein Auslaufmodell?
Jahn: Die Behörde wird so lange existieren, wie sie Aufgaben hat. Eins ist sicher, dass Aufklärung, Aufarbeitung immer nötig ist. Das zeigen diese Debatten. Und das ist auch der Anspruch einer demokratischen Gesellschaft: Transparenz. Aufklärung ist ja ein Grundpfeiler der demokratischen Gesellschaft, und deswegen muss natürlich der Zugang zu den Akten immer möglich sein und er muss organisiert werden, in welcher Form auch immer.
Dobovisek: Eine Aufgabe, die niemals endet?
Jahn: Ja, eine Gesellschaft kann auf Aufklärung nicht verzichten, wenn sie demokratischen Anspruch hat. Der Zugang zu den Akten muss immer möglich sein.
Dobovisek: Was können frühere autoritäre Regime, beispielsweise der Irak oder jetzt auch Libyen, von der Arbeit Ihrer Behörde lernen?
Jahn: Ja, wir sind weltweit Vorbild in der Art, wie wir den Zugang zu den Akten gewährleisten. Wir haben Besucher aus dem arabischen Raum, erst diese Woche war wieder eine Delegation aus dem Irak da, Ägypter kommen ganz oft, sie wollen wissen, wie haben wir hier den Zugang zu diesen Akten organisiert, wie sorgen wir dafür, dass mit den Akten auch sorgsam umgegangen wird? Wie gehen wir um auch mit den Menschen, die in den Akten stehen? Es geht immer um menschliche Schicksale und nicht nur um Papier.
Und das Wichtige ist, dass hier auch ein Weg gefunden ist gerade zwischen Transparenz des Würgens des Geheimdienstes und der Geheimpolizei auf der einen Seite und auf der anderen Seite des Schutzes der Daten der Menschen, die bespitzelt worden sind, die ausgespäht worden sind. Das zusammenzubekommen, das, denke ich, ist in Deutschland sehr gut gelungen und vor allen Dingen durchaus – und das weise ich noch mal klar zurück, was im Eingang der Sendung gesagt worden ist –, Menschenjagd: Hier findet keine Menschenjagd statt. Hier findet Aufklärung statt, Transparenz statt, das ist die Grundlage, dass wir überhaupt auf einen Weg kommen, der in Richtung einer Versöhnung bringen kann, einer Versöhnung, die es möglich macht, dass wir hier, Täter und Opfer sich in einer friedlichen Art begegnen.
Und das ist in Deutschland, denke ich, zum großen Teil sehr gut gelungen und da sind wir großes Vorbild. Und diesen ruhigen, besonnenen Weg sollten wir weiter gehen und nicht mit zugespitzten Parolen und Polemiken von Menschenjagd hier diese Aufklärung beschädigen.
Dobovisek: Sagt uns heute Morgen Roland Jahn, der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.