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Jahresgutachten
Paritätischer beklagt wachsende soziale Ungleichheit

Der Paritätische Gesamtverband sieht den gesellschaftlichen Zusammenhalt massiv gefährdet. Die Kluft zwischen Arm und Reich werde immer tiefer. In seinem Jahresgutachten fordert der Verband eine Reform der Sozialsysteme und einen steuerpolitischen Kurswechsel.

Von Johannes Kuhn |
Bedürftige Menschen in der Wohnungslosen-Tagesstätte der Berliner Stadtmission
Armut nimmt zu - der gesellschaftlicher Zusammenhalt sei gefährdet, bewertet der Paritätische Gesamtverband die Lage (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
Deutschland kann wirtschaftlich auf einige gute Jahre zurückblicken. Doch wer davon profitiert, sei eine andere Sache, so Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbands.
"Die Einkommenszuwächse sind höchst ungleich verteilt und die Vermögenskonzentration und damit auch die Spreizung nehmen zu. Die Einkommen des einkommensstärksten Zehntels der Bevölkerung sind zwischen 1991 und 2016 real, also kaufkraftbereinigt, um 35 Prozent gewachsen, die des einkommensärmsten Zehntels der Bevölkerung haben real um acht Prozent abgenommen."
Schwerwiegende soziale Probleme
In seinem Jahresgutachten bewertet der Verband regelmäßig die soziale Lage in Deutschland. Dabei kommt er auch 2019 zum Ergebnis: Die stabile Wirtschaftsentwicklung kann schwerwiegende soziale Probleme nicht verdecken.
Der gesellschaftliche Zusammenhalt sei gefährdet. Durch Spaltung zwischen Arm und Reich, zwischen abgehängten und florierenden Regionen. Zwischen Jung und Alt, Ost und West, zwischen den Geschlechtern, zwischen Einheimischen und Zugewanderten.
Auch Prozesse wie das Erstarken des Rechsextremismus sind laut Gutachten sozial und wirtschaftlich grundiert. Die Forderung deshalb: Eine neue Sicherheitspolitik. Und damit ist nicht die Landesverteidigung gemeint.
Neue Sicherheitspolitik
"Was wir brauchen, meine Damen und Herren, ist eine neue Sicherheitspolitik, verstanden als Politik der sozialen Sicherheit und für den sozialen Zusammenhalt. Bausteine einer sozialen Sicherheitspolitik aus unserer Sicht: Erstens – eine existenzsichernde Kindergrundsicherung. Zweitens – höhere Leistungen für junge Menschen in Ausbildung und Studium. Drittens - ein Mindestlohn, der auch im Alter vor Armut schützt, also deutlich oberhalb von zwölf Euro."
Die Politik der Bundesregierung bewertet der Paritätische Gesamtverband in diesem Zusammenhang kritisch. Positive Erwähnung finden die Lohnzuschüsse für Langzeitarbeitslose im Rahmen des Teilhabechancengesetzes. Auch die staatliche Förderung von Weiterbildungsmaßnahmen in Unternehmen begrüßt der Verband.
Aber nur im Ansatz: Die Programme seien oft an strenge Vorbedingungen geknüpft oder zu klein dimensioniert. Sie erreichen nur Bruchteile der gewünschten Zielgruppe, so das Fazit.
Höhere Leistungen seien deshalb in zahlreichen Feldern nötig: In der Grundsicherung und bei der Arbeitslosenversicherung, und auch bei der Übernahme von Pflegekosten. Auch in die Infrastruktur müsse endlich investiert werden, lautet die Forderung.
Eine solche Politik: Rolf Rosenbrock bezweifelt, dass dies mit der großen Koalition machbar wäre.
"Klar ist sozusagen, dass die gegenwärtige Konstellation und die vorhergende Koalition, also weder Schwarz-Gelb, noch Schwarz-Rot, imstande sind, so etwas zu tun."
Vermögens- und Erbschaftssteuer
Berechnungen über den finanziellen Aufwand und die Gegenfinanzierung hat der Verband in seinem Gutachten nicht vorgelegt. Er verweist auf eine Zahl aus dem Jahr 2014: Damals hatte man 45 Milliarden Euro veranschlagt.
"Das ist nicht so kompliziert: Alleine jetzt die Vorschläge zur Wiedereinführung der Vermögenssteuer sollen auf 10-15 Milliarden hinauslaufen. Die Einkommenssteuer liegt jetzt bei 42 Prozent, die ist unter Kanzler Kohl von 56 auf 53 Prozent gesenkt worden und dann immer weiter gesenkt worden. Es werden pro Jahr in Deutschland 400 Milliarden Euro vererbt und die Erbschaftssteuer ist im unteren einstelligen Bereich dazu."
Wenn die SPD nun eine Vermögenssteuer vorschlage, könne dies also nur der erste Schritt sein. Deutschland müsse wieder Gemeinnutz vor Gewinnorientierung stellen.