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Jahrestag der Proteste auf dem Maidan
Hoffen auf eine neue Qualität in der ukrainischen Politik

Vor einem Jahr begannen auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz, dem Maidan, die Proteste gegen den später gestürzten Präsidenten Viktor Janukowitsch. Fast nichts ist mehr so, wie es damals war. Russland hat die Krim besetzt, im Osten wird gekämpft und es gibt ein neues Parlament. Auf diese Abgeordneten setzen viele Menschen ihre Hoffnungen.

Von Florian Kellermann | 21.11.2014
    Demonstranten in Kiew
    Vor einem Jahr forderten die ersten Pro-EU-Demonstranten in Kiew den Rücktritt der ukrainischen Regierung. (Bild: picture alliance / dpa / Sergey Dolzhenko)
    Um 15 Uhr Kiewer Zeit ließ die Regierung die Bombe platzen: Die Ukraine werde das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union nicht unterschreiben. Ein im Internet veröffentlichtes Dekret machte mit fünf dürren Absätzen die Arbeit vieler Jahre zunichte. Und die Hoffnungen von Millionen Ukrainern.
    Drei Stunden später begann der Protest gegen Präsident Viktor Janukowitsch. Erst eine Handvoll, schließlich ein paar Dutzend kamen auf den Kiewer Unabhängigkeitsplatz, den sogenannten Maidan. "Die Ukraine gehört zu Europa", skandierten sie.
    "Ich hoffe, dass unser Präsident auf die Stimme des Volkes hört und das Abkommen doch noch unterschreibt. Wir sind nicht hier, um ihn zu stürzen, sondern damit unser Land in eine bessere Zukunft geht."
    So sah das damals die 23-jährige Ärztin Oksana. Zwischen diesen Aussagen und heute liegt nur ein Jahr. Aber in der Ukraine fühlt sich das an wie eine halbe Ewigkeit. Fast nichts ist mehr so, wie es damals war. Das Land hat einen neuen Präsidenten und ein neues Parlament, das Assoziierungsabkommen ist doch noch unterschrieben worden. Russland hat die Krim besetzt, und im Osten kämpfen von Russland unterstützte Separatisten. Um das alles zu begreifen, ist Kirill Marlinski noch einmal extra auf den Maidan gekommen, auch er war damals unter den ersten Demonstranten.
    "Es hat geregnet, es war nass und ziemlich kalt. Ich hatte meinen Hut auf, der mich vom ganzen Regen gerettet hat. Ich war da bis ganz spät und dann jede Nacht bis zur Nacht vom 29. auf den 30., in der die Studenten verprügelt wurden. Dann ist einfach alles losgegangen."
    Spurensuche
    Die Europäische Union war für Kirill schon damals keine leerer Begriff: Er lebte als Jugendlicher vier Jahre in Berlin, wo seine Eltern als Wissenschaftler arbeiteten. Der Unabhängigkeitsplatz trägt heute noch die Spuren der Ereignisse. Bildertafeln erinnern an die Gestorbenen, Menschen legen regelmäßig Blumen nieder. Das Gewerkschaftshaus, das völlig ausbrannte, wird gerade renoviert. Aber auch eines der Klaviere ist noch da, auf denen Bewohner der Zeltstadt spielten, es steht unscheinbar vor dem Postgebäude. Ein junger Mann hat eine Parkbank davor gerückt und spielt. Kirill hat sich in ein Café gesetzt. Der Maidan habe nicht nur das Land verändert, sondern auch ihn selbst.
    "Ich war einfach auf Geld ausgerichtet. Mein Ziel war, Geld zu machen. In diesem Jahr habe ich ziemlich viel Geld in diese ganze Automaidan-Bewegung gebracht und es tat mir noch viel besser, als das Geld selbst zu bekommen. Ich habe selbst gesehen, dass die Ukrainer so ein tolles Volk sind. Jetzt verstehe ich den Sinn im Wort 'Patriotismus'."
    "Automaidan" nannten sich diejenigen Teilnehmer der Proteste, die einerseits die Zufahrtsstraßen nach Kiew kontrollierten. Andererseits starteten sie selbst Aktionen, etwa einen Autokorso zur ehemaligen Residenz von Janukowitsch.
    Zurzeit schnüren Kirill und seine Mitstreiter Pakete für die Soldaten in der Ostukraine, vor allem mit warmer Kleidung. In seinen Beruf als Eventmanager ist der 31-Jährige bis heute nicht zurückgekehrt. Seine Frau verstehe das, sagt er, obwohl sie sich oft alleine um die beide Kinder kümmern muss.
    Neues Parlament - neue Politik?
    Kirill rührt nachdenklich in seinem Cappuccino. Heute, zum Jahrestag, werde es wahrscheinlich wieder Proteste geben, sagt er - gegen den neuen Präsidenten. Viele sind nicht zufrieden mit Poroschenko, gerade in den Freiwilligen-Bataillonen. Sie lasten ihm an, dass die Ukraine seit Monaten Geländegewinne der Separatisten im Osten zulässt. Dass nur sie den Waffenstillstand ernst nehmen sollen. Kirill wirbt für Geduld. Erst solle das neue Parlament seine Arbeit aufnehmen. Die neuen Abgeordneten würden auch eine neue Qualität in die ukrainische Politik bringen, hofft er.
    "Viele von denen sind ja aus der Maidan-Bewegung. Ihre eigenen Freunde sind hier gestorben. Ich denke nicht, dass es so einfach wird, sie zu kaufen, einfach für Geld. Es wird nicht mehr so einfach sein, das Parlament zu manipulieren."