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Jan Assmanns "Exodus"
Die brutale Kehrseite des Monotheismus

Die Frage nach einem Zusammenhang zwischen Religion und Gewalt ist nach den Anschlägen von Paris hochaktuell. Der Religions- und Kulturwissenschaftler Jan Assmann kommt in seinem Buch "Exodus" zu dem Ergebnis, dass Brutalität ein Wesensmerkmal des Monotheismus ist und keine extremistische Entgleisung.

Von Christiane Florin |
    Gab es diesen Mose wirklich, der die Israeliten hinausführte aus der ägyptischen Sklaverei? Erschien ihm Gott wirklich in einem brennenden Dornbusch? Empfing er wirklich die Zehn Gebote? Wirklich ist keine Kategorie für eine große Erzählung, behauptet der Ägyptologe Jan Assmann. Hauptsache, sie wirkt. Und wirkmächtig ist diese Erzählung. Das macht das neue Buch des emeritierten Professors aus Heidelberg auf faszinierend gelehrte Weise deutlich. "Exodus" hat er sein Opus ebenso schlicht wie wuchtig genannt. Er vertraut auf die Fülle an Assoziationen, die dieses Wort auch bei Bibelunkundigen weckt: Exodus - das sind Aufbruch und Gelobtes Land, Gott und Volk, Gebote und Freiheit. Zum Verhältnis von Wirklichkeit und Wirkung schreibt Jan Assmann:
    "Die Exodus-Erzählung schreibt nicht Geschichte, sondern sie macht Geschichte. Die Welt, auf die sich die Exodus-Erzählung bezieht, entsteht mit dem, was sich auf der Erzählung als einer Gründung aufbaut. Den Pharao, der die Israeliten unterdrückt, hat es mit Sicherheit nie gegeben."
    Das Buch verlangt dem Leser einige Anstrengungen ab. Es ist ein Fachbuch, kein populäres Sachbuch. Dabei legt Assmann seinen Weg scheinbar wenig beschwerlich an: Er stellt grundsätzliche Überlegungen zum Verhältnis von Erinnerung und Ereignis voran, danach nimmt er den Leser mit durch die große Offenbarung. Zeile für Zeile des biblischen Textes deutet er. Bastelbegabte könnten sogar nach seiner Maßgabe jenes Zelt auf den Zentimeter genau nachbauen, in dem Gott laut Exodus 26 wohnte. Den Detailreichtum des Buches ganz auskosten werden nur jene, die mit Assmanns Gesamtwerk sowie der Literatur zu Moses Geschichte vertraut sind. Bei aller Akribie behält Assmann jedoch die ganz breite Schneise im Blick: das unerhört Neue im Alten Testament. Er ist sich sicher:
    "Die Versklavung der Kinder Israels und ihre Leiden in Ägypten ist ein Thema von enormer Bedeutung und Strahlkraft in jüdischer, christlicher sowie islamischer Tradition. Ohne diesen Leidensdruck kein Exodus, ohne den Exodus keine neue Welt, in der sich das Verhältnis von Gott und Welt, Gott und Menschheit, Mensch und Gesellschaft bis hin zu Vergangenheit und Zukunft von Grund auf verändert hat."
    Der Volksbegriff als revolutionäres Element
    Die Exodus-Erzählung sagt nicht nur etwas über das Selbst- und Gottesbild Israels, sie stiftet einen neuen Begriff von Religion. Dieses Neue arbeitet Assmann im zentralen Kapitel seines Buches heraus. Mit dem Begriffspaar "Vertrag und Gesetz" hat er seine Deutung der Zehn Gebote und des Bundesschlusses überschrieben. Die Gebote begründen den Bund zwischen Gott und den Menschen. Was im Rückblick so leicht dahingesagt ist, setzt eine Revolution der Religion in Gang. Gott ist nicht mehr nur Richter und Rechtsgarant, er wird selbst Gesetzgeber. Der Bund ist freiwillig. Wer ihn aber eingeht, verpflichtet sich zu ewiger Treue. In seinen Ausführungen zum ersten Gebot - dem Verbot anderer Götter - schreibt Assmann:
    "Es geht hier nur um JHWH (Jahweh) und Israel und ER nimmt es an sein Herz: mein bist Du! Keines anderen! Ich verlobe mich dir auf ewig. Es ist das Bild der Ehe... Das Eheweib ist unter allen Umständen nur eines Mannes... Im ersten Gebot haben wir das zentrale Bekenntnis des biblischen Monotheismus vor uns. Es handelt sich aber nicht um den "Monotheismus der Wahrheit", für den es die anderen Götter nicht gibt, sondern ganz explizit um den "Monotheismus der Treue"."
    Dieser Bund verändert die Blickrichtung. Religion ist nicht mehr rückwärtsgewandt, sie zementiert nicht das, was immer schon war. Sie wird mit Verheißung aufgeladen. Religion meint eine Bindung, eine Liebesbeziehung, die immer wieder auf die Probe gestellt wird. Wer Gott trotz aller Anfechtungen treu bleibt, den erwartet Heil. Die Theologisierung des Rechts in den Geboten ist neu, der Monotheismus der Treue ist neu. Und noch ein drittes revolutionäres Element macht Assmann aus: den Volksbegriff.
    "Der Bundesgedanke macht das Königtum überflüssig. Das Volk tritt an die Stelle des Königs. In der Abwesenheit des Königs liegt das Spezifische der alttestamentlichen Bundestheologie. (...) Das Volk agiert als souveräner Bundespartner, nicht Mose, nicht die siebzig Ältesten, nicht Aaron und die Leviten. Diese Gottesunmittelbarkeit des Volks gibt dem biblischen Volksbegriff seine demokratische Stoßkraft."
    Ungnädiges Urteil über den beleidigten Gott
    Jan Assmann ist ein Protagonist der Dauerdebatte über das Verhältnis von Monotheismus und Gewalt. Eine seiner Thesen: Mit der Unterscheidung in wahr und falsch, in falsche Götter und den einen wahren Gott, kommt die Gewalt im Namen Gottes in die Welt. Das bedeutet nicht, dass es ohne Gott keine Gewalt gäbe. Es bedeutet aber, dass der Monotheismus der Treue eine brutale Kehrseite hat. Auch in seinem neuen Buch stellt Assmann diesen Zusammenhang her. Gott schließt den Bund mit seinem erwählten Volk aus Liebe, das betont der Autor mehrfach. Wer aber den Bund bricht, etwa Götzen wie das Goldene Kalb anbetet, den erwartet ein grausames Strafgericht. Mose befiehlt in Gottes Namen den Mord an Söhnen und Brüdern. Erst danach zeigt sich Gott gnädig. Assmann urteilt ungnädig über diesen beleidigten Gott:
    "Die Vergebung, die Mose von JHWH erreicht, hat, bedeutet nicht Straffreiheit, sondern nur - das ist jedoch das Entscheidende - das Fortbestehen des Bundes. Innerhalb des Bundes aber gilt, dass die Sünde bestraft werden muss... Zur Treue gehört im Ernstfall ... das fanatische, mörderische Eifern für Gott. Die Verse Exodus 32, 27-29, bilden die Urszene des Gotteseifers, der nun einmal, das ist durch keine Apologetik zu beschönigen, zum Monotheismus der Treue gehört... Hier geht es nicht um Dogmen und Wahrheitsfragen, sondern um die Ehre eines beleidigten Gottes, und da gibt es - bis heute - keine Toleranz."
    Die Verbindung zur aktuellen Nachrichtenlage ist unübersehbar. Keine Religion kann sich damit herausreden, missbraucht zu werden, wenn in ihrem Namen gemordet wird. Assmann zeigt am Gründungsmythos des Exodus die befreiende, heilsame, durchaus demokratische Kraft der Religion. Aber er belegt eben auch, dass Brutalität ein Wesensmerkmal des Monotheismus ist und keine extremistische Entgleisung. Auf das Gottesbild des Neuen Testaments geht der Altertumsforscher kaum ein, es passt nicht recht zu seiner Story. Assmann hat ein Buch für Gläubige und für Atheisten geschrieben. Es ist eleganter und brisanter als vieles, was nach den Anschlägen von Paris über die Gewalt der Religion veröffentlicht wurde.
    Jan Assmann: Exodus. Die Revolution der alten Welt. C.H. Beck, 493 Seiten, 29,95 Euro.