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Jan Schlürmann
„1920. Eine Grenze für den Frieden“

Vor 100 Jahren stimmten die Menschen in Schleswig darüber ab, ob ihre Heimat zu Deutschland oder zu Dänemark gehören soll. Der Norden entschied sich für Dänemark, der Süden für Deutschland. Diese damals neue Grenze gilt bis heute. Die Gebietsstreitigkeiten dauerten aber noch eine Weile an.

Von Johannes Kulms | 10.02.2020
Im Hintergrund der Entwurf eines Pro-Deutschen Plakats von C. Kreutzfeld aus dem Jahre 1919 über die Volksabstimmung der territorialen Zugehörigkeit Nordschleswigs. Rechts im Bild das Buchcover.
1920 wurde per Volksabstimmung die deutsch-dänische Grenze festgelegt. Sie hat bis heute Bestand. (Hintergrund: picture-alliance / akg-images/ Buchcover: Wachholtz/ )
"Es gibt zwei Jahreszahlen, glaube ich, die jeder Däne kennt. Das eine ist 1864; wird assoziiert mit dem größten Verlust in der Geschichte Dänemarks. Und 1920 – das ist sozusagen der Rückgewinn dieses Verlustes."
Der Historiker Jan Schlürmann ist Redenschreiber des Schleswig-Holsteinischen Landtagspräsidenten. Die deutsch-dänischen Beziehungen sind dabei immer wieder Thema.
Schlürmanns Buch zeichnet zum einen die Monate rund um die Volksabstimmungen 1920 in Deutschland und Dänemark nach. Dieses Votum schuf die heute noch bestehende Grenze und war Ausgangspunkt für eine vorbildhafte Minderheitenpolitik. Zum anderen beschäftigt sich der Text mit dem Jahrhunderte langen Weg dorthin.
"Der nationale Konflikt, an dem das Herzogtum Schleswig als Einheit buchstäblich zerbrach, füllt gerade einmal einhundertfünfzig Jahre seiner viel längeren Geschichte aus. Über viele Jahrhunderte hinweg lebten und erlebten die Menschen Schleswig als eine gewachsene Einheit, in der die Sprachenvielfalt aus Deutsch, Dänisch und Friesisch kein Grund für Streit und Zwietracht und erst recht nicht für eine nationale Teilung war."
Wie das Herzogtum Schleswig zum Spielball wurde
Im Herzogtum Schleswig – oder Sønderjylland, wie die Dänen sagen – wurden ab dem 9. Jahrhundert dänische und deutsche Machtansprüche ausbalanciert. Leider ist das erste Kapitel, in dem Jan Schlürmann diese Entwicklungen beschreibt, nicht immer ganz einfach zu verstehen. Das mag am knappen Platz, an manchen abrupten Zeitsprüngen, aber auch an der einen oder anderen fehlenden Karte liegen.
Danach wird es deutlich verständlicher. Und vor allem spannend! Zu Beginn des 19. Jahrhunderts erwachte auch in Dänemark und den deutschen Staaten der Nationalismus. Das Herzogtum Schleswig wurde zum Spielball.
"Ja, also natürlich, die nationalen Bewegungen auf beiden Seiten im 19. Jahrhundert hatten eine enorme Kraft und die nationale Idee hat natürlich immer eine exklusive Wirkung, das heißt, sie schließt dann andere aus."
Nach seiner Niederlage im Krieg gegen Preußen und Österreich musste Dänemark 1864 Schleswig, aber auch die benachbarten Herzogtümer Holstein und Lauenburg abtreten. Alle drei Herzogtümer wurden schließlich preußisch - und die dänischen Schleswiger zur Minderheit.
Die Grenzinitiative nach dem Ersten Weltkrieg
Mehr als 50 Jahre später - mit der sich abzeichnenden Niederlage im Ersten Weltkrieg erschien plötzlich eine deutsch-dänische Grenzkorrektur möglich. Vor allem Hans Peter Hanssen-Nørremølle, kurz H.P. Hanssen, erkannte die Chance. Als Abgeordneter der dänischen Minderheit saß er im Deutschen Reichstag.
1918 entwarf H.P. Hanssen zusammen mit zwei Kollegen eine mögliche neue Grenzlinie. In seinem Tagebuch hielt er fest: "Wir beschlossen, unsere Bestrebungen dahin zu begrenzen, das, was wirklich nach Sprache und Gesinnung dänisch ist, für Dänemark zurückzufordern. Wir zogen auf der Karte eine Grenzlinie von südlich Tondern, hart nördlich von Aventoft, an der Au und dann weiter am Scheidebeck entlang, südlich um Fröslee zum Bahnhof Pattburg, von dort mit dem Lauf der Au abwärts und mit einem kleinen Bogen an der Kupfermühle in die Flensburger Förde hinein."
"Dieser H.P. Hanssen, das war eben auch ein ganz toller politischer Stratege, der kannte eben auch deutsche Abgeordnete, er wusste auch, wen er ansprechend sollte und er wusste auch, wie er das Thema vorbringen sollte. Und der Zeitpunkt war enorm günstig", betont Jan Schlürmann. Bei den Friedensverhandlungen in Versailles wurde auch die Nordschleswig-Frage verhandelt. Doch Deutschland blieb dabei außen vor.
Nord- und Südschleswig stimmten gegensätzlich ab
Zwei Volksabstimmungen in zwei unterschiedlichen Zonen wurden beschlossen. Der Wahlkampf verlief hitzig. Aber nach Jan Schlürmanns Einschätzung dennoch fair. Bei der ersten Abstimmung am 10. Februar 1920 kam es so, wie viele erwartet hatten: Dreiviertel der stimmberechtigten Nordschleswiger stimmten für eine Vereinigung mit Dänemark. Da das Referendum en bloc organisiert wurde, fielen selbst Dörfer darunter, die mehrheitlich für Deutschland gestimmt hatten. Bei der zweiten Abstimmung am 14. März kam es anders. In Südschleswig – inklusive Flensburg, der wichtigsten Stadt der Region – votierten fast 80 Prozent für einen Verbleib bei Deutschland.
Ab Sommer 1920 galt die neue Grenze. Und sie blieb unverändert. Bis heute. Auch während der NS-Zeit hatte Deutschland zwar Dänemark besetzt - aber den Grenzverlauf nicht angetastet.
Doch erst die Bonn-Kopenhagener Erklärungen beruhigten 1955 die Forderungen nach einer Grenzrevision und schafften die Grundlagen für eine gut funktionierende Minderheitenpolitik. Das Jahr 1955 war der wohl wichtigste Wendepunkt in der Geschichte Schleswigs seit 1864, schreibt Jan Schlürmann zum Ende seines Buches.
Auf die Versöhnung und die Bedeutung der Grenze geht der Autor leider nur noch sehr knapp ein. Trotzdem bietet Schlürmanns klar verständlich geschriebenes Buch insgesamt einen tollen Einblick in ein spannendes Kapitel europäischer Geschichte. Gerade im Jahr der Feierlichkeiten verdient es viel Beachtung.
Jan Schlürmann: "1920. Eine Grenze für den Frieden. Die Volksabstimmungen zwischen Deutschland und Dänemark",
Wachholtz Verlag, 160 Seiten, 18 Euro.