Rechtspopulismus in Japan
"Japaner zuerst!"

Ausländerfeindlichkeit war lange Zeit kein Thema in Japan. Doch seit einigen Jahren dreht sich die Stimmung, die rechtspopulistische Partei Sanseitō heimst Wahlerfolge ein – mit Attacken gegen Ausländer. Darauf zog die regierende LDP nach.

    Menschen folgen gebannt einer Rede des Politikers Sohei Kamiya bei einer Straßenkundgebung der rechtspopulistischen Sanseitō-Partei am 21. Juli 2025 in Tokio
    Die rechtspopulistische Partei Sanseitō hat bei den Oberhauswahlen im Sommer in Teilen der japanischen Bevölkerung einen Nerv getroffen (picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Kaname Muto)
    Nahezu 124 Millionen Menschen leben in Japan, darunter rund 3,4 Millionen Ausländer. Ausländerfeindlichkeit war lange Zeit kein Thema. Doch als nach dem Ende der Corona-Pandemie immer mehr Ausländer übersiedelten, sahen manche ihr Land und ihre Kultur bedroht.
    Insbesondere in den sozialen Netzwerken beschweren sich einige über rüpelhaftes Verhalten von Ausländern und meinen damit auch ausländische Touristen. Schätzungsweise 42 Millionen sollen es 2025 gewesen sein. Die Ausländer würden Regeln brechen, in der Öffentlichkeit Alkohol trinken und trennten den Müll falsch. All das mögen Japanerinnen und Japaner nicht, weil sie im Einhalten von Regeln die Basis ihres friedlichen Zusammenlebens sehen.
    Seit einigen Jahren macht die rechtspopulistische Partei Sanseitō Stimmung gegen Nicht-Japaner – und wird dafür gewählt. Wie konnte es dazu kommen?

    Inhalt

    Die rechtspopulistische Partei Sanseitō und ihre Vorbilder

    Erst 2020 gründete Sōhei Kamiya mit Anfang 40 die Partei Sanseitō. Parallel dazu verbreitete er auf seinem Youtube-Kanal nationalistische, antisemitische und verschwörungsideologische Inhalte. Sanseitō bedeutet wörtlich übersetzt "Partei der politischen Teilhabe". Ihr Wahlslogan: „Nihonjin Fasto“ – „Japaner first“.
    Im Wahlkampf zur Oberhauswahl im Juli 2025 machte die Partei unverhohlen Stimmung gegen Ausländer: Sie hetzte gegen Kurden, die aus der Türkei geflohen sind und auf eine Anerkennung als Flüchtlinge hoffen. Sie forderte, dass Ausländer nur für eine begrenzte Zeit in Japan arbeiten sollten und dann wieder gehen müssen, ungeachtet dessen, dass Japan wegen seiner alternden und schrumpfenden Bevölkerung ausländische Arbeitskräfte braucht.
    Die Botschaften der Sanseitō verfingen in Teilen der japanischen Bevölkerung. Die Zahl ihrer Abgeordneten im Oberhaus sprang von einem auf fünfzehn Sitze.
    Anfang August tauschte sich Kamiya in Tokio mit dem AfD-Bundesvorsitzenden Tino Chrupalla aus, der den Japaner motivierte, seinen Kurs fortzusetzen. Der AfD-Politiker gilt als sein politisches Vorbild. Weitere Vorbilder sind die „Make America Great Again“-Bewegung von US-Präsident Donald Trump und die rechtspopulistischen Parteien Rassemblement National aus Frankreich und Reform UK aus Großbritannien.

    Gründe für den Erfolg der Rechtspopulisten

    Die japanische Bevölkerung ist eher konservativ geprägt und war bislang recht homogen. Deshalb glauben manche, dass Ausländer die bestehende Ordnung gefährden könnten, erklärt der japanische Autor und Journalist Norihide Miyoshi.
    "Japan hat, abgesehen vom Volk der Ainu, eine ausgeprägte Einheitsidentität in Ethnie, Sprache und Geschichtsbewusstsein", sagt er. "Daher sind das Unbehagen oder die Vorsicht gegenüber Fremden relativ stark. Das nennt man dann Fremdenfeindlichkeit, aber ich würde eher von einem Schutzinstinkt sprechen, der die Ordnung vor Ort nicht gestört sehen will."
    Der Lebensstandard in Japan sinkt seit Jahren. Löhne und Preise stagnierten, so dass die Japaner immer ärmer wurden. Seit der Inflation vor drei Jahren steigen die Preise schneller als die Löhne. Reis kostet heute doppelt so viel wie vor einem Jahr. Auch ausländische Waren wurden teurer, da der japanischen Yen gegenüber Euro und US-Dollar an Wert verlor.
    Sanseitō wurde womöglich auch aus Protest gegen die regierende LDP gewählt, weil sie nicht genug gegen den sinkenden Lebensstandard unternommen hat. Für diese These spricht, dass die LDP ebenfalls keine Einwanderung und keine multikulturelle Gesellschaft will.
    Den Zuwachs bei der Sanseitō führt der Japanologe und Politikwissenschaftler Axel Klein auch auf junge Japaner zurück, die bisher nicht wählen gegangen sind und sich nicht für Politik interessiert haben. Sie hätten sich aber nun durch die teilweise extremen Aussagen der Sanseitō-Anhänger und -Politiker in sozialen Medien angesprochen gefühlt.
    Die japanischen Medien würden eher neutral über Sanseitō berichten, sagt die Japanologin Ayaka Löschke. Anstatt sie kritisch im rechten Parteienspektrum zu verordnen, vermieden sie es meist, sie überhaupt als rechtsradikale Partei zu bezeichnen – aus Angst vor dem Vorwurf, sie würden der Partei ein negatives Etikett verpassen.

    Den Japanern fehlt die Wut

    Zwar hat die Sanseitō bei den vergangenen Oberhauswahlen viele Stimmen gewonnen, aber tatsächlich sei das Wachstum der Partei überschaubar, sagt der Japanologe und Politikwissenschaftler Axel Klein. Aus seiner Sicht fehle eine Grundvoraussetzung für das Gedeihen des Rechtspopulismus in Japan, nämlich Wut.
    Japanische Kinder und Jugendliche würden nicht lernen, sich eine eigene Meinung zu bilden und dafür einzustehen. „Wenn Sie eine Bevölkerung haben, bei der das gar nicht mit sozialisiert wird, bei der die Leute sehr viel mehr ihre Meinung auch für sich selbst behalten, dann ist auch das Potenzial für diese Wut viel, viel kleiner“, sagt Klein.
    Trotzdem reagierte die LDP regelrecht panisch auf den Wahlerfolg der Sanseitō und stellte konservative Parteimitglieder in die erste Reihe. Die neue Parteichefin und Japans erste Ministerpräsidentin Sanae Takaichi gilt als nationalistisch.
    Der langjährige Koalitionspartner, die buddhistisch geprägte Partei Komeitō, verabschiedete sich aus der Regierung, weil ihr die neue Parteichefin zu rechts war.
    Sanae Takaichi ernannte erstmals eine „Ministerin für eine geordnete und harmonische Koexistenz mit ausländischen Staatsangehörigen“ und will bis 2027 ein Aufnahmekontingent für Ausländer festlegen. Diese Signale wirken offenbar: In Umfragen sank die Unterstützung für die Sanseitō um fast die Hälfte auf sechs Prozent.

    OnAir-Beitrag: Martin Fritz
    Onlinetext: rey