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Jede Minute zählt

Jedes Jahr erleiden rund 280.000 Menschen einen Schlaganfall. Je früher die Patienten behandelt werden, desto eher werden bleibende Schäden verhindert. In Berlin gibt es einen speziellen Rettungswagen, in dem Schlaganfallpatienten direkt versorgt werden.

Von Marieke Degen | 29.10.2013
    Es gibt Symptome, die ziemlich eindeutig sind: Lähmungserscheinungen, Sprachstörungen, Doppelbilder. Wenn so ein Notruf in der Leitstelle der Berliner Feuerwehr eingeht, dann wissen die Mitarbeiter: Es handelt sich sehr wahrscheinlich um einen Schlaganfall. Und dann schicken sie nicht irgendeinen Rettungswagen, sondern das Stroke-Einsatzmobil, kurz STEMO.

    "Das STEMO, das Stroke-Einsatzmobil, ist letztendlich ein Fahrzeug, mit dem wir all das, was wir in der Rettungsstelle eines Krankenhauses für die akute Schlaganfallbehandlung brauchen, bereits zum Patienten mitnehmen, das heißt, wir haben neben der normalen Rettungswagenausstattung einen Computertomografen und ein Minilabor an Bord und sind telemedizinisch mit der Charité vernetzt."

    Sagt der Neurologe Heinrich Audebert, der das Pilotprojekt leitet. Das STEMO soll wertvolle Zeit sparen: Der Schlaganfall kann nämlich schon im Rettungswagen diagnostiziert und behandelt werden – und nicht erst im Krankenhaus. Mit an Bord sind immer ein neurologischer Notarzt, ein Rettungsassistent und ein Röntgenassistent.

    "Dann wird der Patient so schnell wie möglich in den Krankenwagen gebracht, er erhält eine Blutabnahme, die Laboruntersuchungen laufen dann, während gleichzeitig auch das Computertomogramm gemacht wird."

    Per Telemedizin werden die Bilder vom Gehirn an die Charité geschickt und dort von einem Radiologen begutachtet.

    "Und wir sehen im Grunde genommen in der Minute, nachdem die Untersuchung mit dem Computertomografen durchgeführt worden ist, ob im Gehirn des Patienten eine Blutung ist, oder zum Beispiel ein Tumor. Wenn das nicht der Fall ist und die Symptome eindeutig sind, gehen wir davon aus, dass es eine Durchblutungsstörung ist und können dann sofort mit der Behandlung, mit dieser Auflösungstherapie des Blutgerinnsels anfangen."

    Die Auflösungstherapie – auch Lyse genannt – wirkt wie Rohrfrei, sagt Heinrich Audebert: Sie löst das Blutgerinnsel, das die Schlagader verstopft, auf. Je schneller sie eingesetzt wird, desto eher können bleibende Schäden verhindert werden.

    Das STEMO ist seit mittlerweile zweieinhalb Jahren in Berlin im Einsatz. Und: Es kann die Versorgung von Schlaganfallpatienten tatsächlich verbessern - das haben Heinrich Audebert und sein Team in einer Studie mit 6200 Patienten gezeigt. Sie alle hatten Verdacht auf Schlaganfall. Die einen wurden mit einem normalen Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht, die anderen wurden schon im STEMO versorgt.

    "Also wir kommen immer, ich sag's so ganz gerne, mit einem Sondereinsatzkommando zum Patienten. Das heißt, wir haben ein hoch eingespieltes Team, das sich gerade bei Schlaganfällen und neurologischen Erkrankungen sehr gut auskennt. Der Patient wird vor Ort besser eingeschätzt. Wir entdecken mehr Patienten, die einen Schlaganfall haben, und deswegen kriegen mehr Patienten am Schluss auch diese Lyse, diese Auflösungstherapie, die hocheffektiv ist. Wir behandeln nicht nur mehr Patienten, sondern wir behandeln diese Patienten auch erheblich schneller."

    Mit einem normalen Rettungswagen dauert es nach dem Notruf 77 Minuten, bis der Patient im Krankenhaus ist und die Lyse eingeleitet werden kann – das ist schon ziemlich schnell. Aber mit dem STEMO dauert es gerade einmal 52 Minuten, also 25 Minuten weniger - weil die Lyse schon im Wagen gegeben werden kann.

    "Wenn die Patienten in dieser ersten Stunde nach dem Schlaganfall behandelt werden, sehen wir unglaublich viele Patienten, die sich trotz schwerster Symptome massiv erholen, ganz häufig wieder komplett erholen, und diese Häufigkeit sehen wir, wenn wir die Lyse später durchführen, eindeutig nicht."

    Das Spezialmobil eignet sich am ehesten für Großstädte, wo viele Menschen auf engem Raum zusammenleben. Auf dem Land wären die Anfahrtszeiten im Zweifelsfall zu lang. Da sind die Patienten mit einem normalen Rettungswagen, der sie schnell ins nächste Krankenhaus bringt, besser bedient.