Dienstag, 07. Mai 2024

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Jens Ivo Engels
"Alles nur gekauft?"

Die Korruption in Deutschland werde oft schlimmer dargestellt als sie sei. Zu diesem Ergebnis kommt der Historiker Jens Ivo Engels, er forscht an der Technischen Universität Darmstadt. Man dürfe die Verbindungen der Politik zu Wirtschaft und Verbänden weder leugnen noch verteufeln.

Von Katja Scherer | 30.09.2019
Hintergrundbild: Der Konzernchef Friedrich Karl Flick (M) stand am 15.03.1984 als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages in Bonn. Er bestritt mit Nachdruck, dass er oder ein Angehöriger des Flick-Konzerns in die Parteispenden-Affäre verwickelt sei. Vordergrundbild: Buchcover
Konzernchef Friedrich Karl Flick (M) war 1984 Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages in Bonn zur Spendenaffäre (picture alliance / Roland Witschel / wbg Theiss Verlag)
Einen Aufschrei über korrupte Machenschaften in der Bundesrepublik oder gar die Aufdeckung bislang unbekannter Seilschaften – das sollte man von Jens Ivo Engels Buch nicht erwarten. Schon in der Einleitung stellt der Historiker klar:
"Stimmenkauf, Bestechung, Verfilzung, Patronage, Mikropolitik, Hinterzimmergespräche und die verschwiegenen Praktiken der Macht sind nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Jedenfalls sind sie es nicht direkt: Es wird um Debatten und Skandale gehen, die sich mit diesen Phänomenen beschäftigten."
Anders als der Titel des Buches vermuten lässt, geht es Engels also nicht um die Frage, in welchem Ausmaß Korruption in Deutschland tatsächlich stattfindet, sondern darum, wie sich der gesellschaftliche Diskurs darüber verändert hat und welche Folgen das mit sich bringt.
Drei unterschiedliche Phasen der Bewertung
Zeitlich betrachtet unterscheidet er dabei mehrere Phasen, angefangen mit der Nachkriegszeit. Damals, so schreibt Engels, sei Korruption von der deutschen Öffentlichkeit zwar kritisiert, aber doch milde beurteilt worden – etwa als politischer Stimmenkauf dafür sorgte, dass Bonn neue Bundeshauptstadt wurde:
"Man versuchte unter allen Umständen, eine Hexenjagd auf die Demokratie zu vermeiden. Das war keine spontane Entscheidung der Handelnden, sondern beruhte auf einer längeren Auseinandersetzung mit Korruption seit dem Ende des Nationalsozialismus."
Denn die junge Demokratie habe damals noch als saubere Alternative zum korruptionsverseuchten Nazi-Regime gegolten. Auch spätere Skandale wie die Stimmenkäufe im Bundestag Anfang der 70er Jahre seien als Einzelfälle und nicht als systemgefährdend beurteilt worden, schreibt Engels. Eine Zäsur bildet für ihn in dieser Hinsicht allerdings die Korruptionsaffäre um den Düsseldorfer Flick-Konzern Anfang der 80er Jahre:
"Die Flick-Affäre enthielt unzählige Aspekte und Unteraffären – von einer ministeriellen Erlaubnis für die Steuerbefreiung von Aktienverkäufen des Flick-Konzerns über ausgeklügelte Schwarzgeldsysteme der Parteien […] bis hin zu den Strafverfahren gegen ehemalige Minister [...]. Dabei entstand in den Jahren zwischen 1981 und 1986 ein düsteres Sittenbild der politischen Kultur."
Engels bezeichnet dieses Ereignis als Grundlage für ein wachsendes Misstrauen gegen den Staat und Parteien im Allgemeinen, das durch spätere Skandale wie die Spenden-Affäre um Helmut Kohl immer weiter befeuert wurde.
Generalverdacht und Herabsetzung
Aus Engels Sicht auch durch die Medien: Denn diese hätten immer öfter selbst kleinere Verfehlungen von Politikern undifferenziert als Beweis für das Handeln einer korrupten Politikelite herangezogen. Für Engels eine Berichterstattung mit weitreichenden Folgen:
"Der Generalverdacht und die moralische Entwertung von Politikerinnen und Politikern der politischen Mitte sind eine Grundlage des aktuellen Populismus."
Interessant ist dabei der größere wirtschaftspolitische Kontext, in den Engels diesen Wandel in der Beurteilung von Korruption einordnet. So habe die zunehmende Skepsis gegenüber der Politik vor allem jenen neoliberalen Vertretern in die Hände gespielt, die nur allzu gern weniger Staat und mehr Markt durchsetzen wollten. Denn deren zentrales Argument...
"...lautete so: Wenn der Staat zu stark in der Wirtschaft interveniere, etwa mit Subventionen und Regulierungen, dann schaffe dies eine Art staatliches Monopol. Dieses würden dann Beamte und Staatsbedienstete ausnutzen, um Gewinne daraus zu erzielen. […] Von solchen Ideen ist der Schritt zur Korruption nicht weit."
Auch die Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen wie Transparency International sieht der Historiker kritisch. So führe der Ruf nach immer stärkerer Transparenz im Politikbetrieb mitnichten automatisch zu mehr Vertrauen in die Politik, argumentiert er. Stattdessen bleibe das Versprechen auf absolute Transparenz meist unerfüllbar – und schaffe so nur neue Zweifel:
"Transparenz an einer Stelle schafft [...] immer Intransparenz an einer anderen. […] Die anscheinend guten Gründe für Misstrauen gegenüber dem Staat werden mithin nicht einfach verschwinden. Oft trägt Transparenz zur Misstrauensspirale noch bei."
Weniger Moral – mehr Pragmatismus
Jens Ivo Engels Buch ist einerseits eine kurzweilige Abhandlung über die jüngere Geschichte der Bundesrepublik. Älteren Lesern dürften viele der dargestellten Affären und Debatten bekannt sein; für jüngere Leser ist das Buch eine gute Auffrischung ihres Geschichtsunterrichts. Die Lektüre von "Alles nur gekauft?" lohnt sich darüber hinaus aber aus einem weiteren Grund. Zwar bietet das Buch wie angekündigt keine neuen Erkenntnisse über Korruptionsaffären in Deutschland. Aber es regt dazu an, darüber nachzudenken, was der richtige Umgang mit Korruption in einer Gesellschaft sein kann. Engels selbst plädiert dabei für weniger Moral und mehr Pragmatismus in der Debatte – gerade auch von Seiten der Medien.
"Anstelle der lebensfernen Fiktion vom uneigennützigen Spitzenpersonal sollten realistische Erwartungen gelten. Politiker sind selbstverständlich keine Gutmenschen, noch sind sie allesamt Spesenritter. Politische Akteure sind untereinander vernetzt und sie sind Unterstützern in Parteigliederungen, Nichtregierungsorganisationen und Lobbies verpflichtet. Das sollte weder geleugnet noch verteufelt werden."
Über die Interpretation dieser "realistischen Erwartungen" lässt sich sicherlich im Einzelfall streiten. Eines aber macht Engels in seinem Buch deutlich: Nur weil Korruption gesellschaftlich unerwünscht ist, muss nicht jede Art von Korruptionskritik automatisch ein gesellschaftlicher Gewinn sein.
Jens Ivo Engels: "Alles nur gekauft? Korruption in der Bundesrepublik seit 1949",
wbg Theiss, 399 Seiten, 35 Euro.