Friedbert Meurer: Früher waren die Gipfeltreffen der Europäischen Union ein regelrechter Wanderzirkus. Immer in das Land, das für ein halbes Jahr die Ratspräsidentschaft innehatte, wurden die Staats- und Regierungschefs eingeladen. Das ging jedes Mal ziemlich ins Geld, vor allem für den Gastgeber. Jetzt wird immer in Brüssel getagt, dafür neuerdings fast jeden Monat. So sieht es jedenfalls in der Praxis aus. Mit Ausnahme des April hat es in diesem Jahr in jedem Monat einen Gipfel der EU gegeben, auch heute und morgen, also im Juni.
Ein weiterer Gipfel unter vielen? Das ist jetzt schon der fünfte EU-Gipfel in diesem Jahr, und wir haben erst Juni. – Rebecca Harms ist die Co-Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Europaparlament. Guten Morgen, Frau Harms!
Rebecca Harms: Guten Morgen!
Meurer: Januar, Februar, März, April nicht, Mai, Juni, der fünfte Gipfel - sind die EU-Staats- und Regierungschefs fleißig?
Harms: Sie treffen sich auf jeden Fall oft, wir sagen hier inzwischen zu oft. Herman van Rompuy, der Präsident des Rates nach dem Lissabonvertrag, der braucht was zu tun, deswegen hat er diese hohe Schlagzahl der Gipfel angesetzt, und ganz offensichtlich reißt da so eine Haltung ein, wir sehen uns ja jeden Monat, da verschiebt man dann auch öfter mal was. Man sieht sich ja oft, dann muss man nicht so schnell entscheiden, und das ist für viele Themenbereiche, die hier zur Entscheidung anstehen, sehr gefährlich.
Meurer: Will das nur der Ratspräsident, Herman van Rompuy, oder wollen das auch die Staats- und Regierungschefs, so oft nach Brüssel kommen?
Harms: Sie kommen ja inzwischen sehr oft, aber sie fahren auch immer häufiger, ohne dass es zu Ende verhandelt wird, was auf dem Tisch liegt.
Meurer: Was kann man ändern?
Harms: Ich würde sagen, man muss wieder Schwerpunkte setzen, so wie das auch bei den Gipfelrhythmen oder den Gipfeltagungen vor Lissabon der Fall gewesen ist, und man sollte dann auch, wenn man zu Gipfeln zusammenkommt, entscheiden. Man sollte das Verhältnis zwischen dem, was auf der Fachministerebene bearbeitet wird, und den Entscheidungen während der Gipfel der Staats- und Regierungschefs, das sollte man wieder in Ordnung bringen.
Meurer: Frau Harms, ein Schwerpunkt heute und morgen in Brüssel soll ja sein die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, schlimmes Problem in Europa. Jeder vierte Jugendliche hat keinen Ausbildungsplatz, hat keinen Job, kein Praktikum. Wird da entschieden heute?
Harms: Das kann ich nur hoffen, weil dieses Thema seit ungefähr einem Jahr auf den Gipfeln auch regelmäßig auftaucht. Seit einigen Gipfeln heißt es immer wieder: Schwerpunkt, und wir müssen entscheiden. Jetzt muss was entschieden werden. Wir brauchen erstens ausreichend Mittel und zweitens auch eine Entscheidung, wie wir wirklich mit diesen Geldern umgehen wollen, weil schon die Bezeichnung Jugendarbeitslosigkeit in den Krisenländern zeigt immer wieder, dass gar nicht richtig verstanden ist, dass wir es mit einer sehr, sehr verschiedenen, unterschiedlichen Problemlage zu tun haben.
Man denkt ja da als Erstes immer, es geht um Jugendliche, die von der Schule kommen, keine Ausbildung haben, keinen Ausbildungsplatz finden. Es geht auch darum, aber es geht noch viel mehr in den südlichen Ländern darum, dass wir die bestausgebildetste Generation seit je haben in diesen Ländern und die jetzt alle arbeitslos geworden sind oder nicht in den Arbeitsmarkt hineinkommen. Da braucht man natürlich ganz andere Maßnahmen als bei der klassischen Jugendarbeitslosigkeit.
Meurer: Es geht ja um sechs Milliarden Euro, die dafür aufgewendet werden sollen?
Harms: Ja.
Meurer: Das ist schon beschlossene Sache, das Geld hängt offenbar noch fest im ganz großen Haushaltsstreit. Was soll man mit den sechs Milliarden machen, wenn sie denn endlich frei sind?
Harms: Natürlich sich da, wo es auftritt, um dieses klassische Problem der Jugendarbeitslosigkeit kümmern. Aber nach meinen Besuchen jetzt in Athen und in Lissabon würde ich sagen, wir brauchen erstens Maßnahmen für nachhaltige Erholung der Wirtschaft. Wir müssen dafür sorgen, dass die Rezession in diesen Ländern aufhört und die Wirtschaft sich erholt, damit Arbeit wieder entsteht, neu geschaffen wird.
Und wir müssen – das haben wir auch in Deutschland früher schon gehabt – Kredite verfügbar machen für junge, gut ausgebildete Leute, die dann Start-ups zum Beispiel gründen können in verschiedenen Bereichen. Wir müssen unbedingt verhindern, dass die Länder des Südens, die das erste Mal so eine gut ausgebildete Generation haben, alle diese Leute an den Norden verlieren.
Meurer: Das Zweite, Frau Harms, mit den Krediten für die Start-ups, das werden vermutlich viele unterschreiben. Das Erste, läuft das nicht auf teuere Konjunkturprogramme hinaus?
Harms: Ja, aber da kommt man nicht dran vorbei. Und so oft hier über Wachstum geredet worden ist und dass man da was tun muss, so oft ist nichts entschieden worden. Wir haben in den Ländern, in den Krisenländern des Südens wirklich das Problem, dass durch einseitige Austeritätsmaßnahmen wir nicht Fortschritte machen können für die Stabilisierung des Haushaltes in dem Umfang, wie wir das erhofften. Wir haben als Nebeneffekt den Zusammenbruch der Wirtschaft und alle wissen, dass dagegen etwas getan werden muss.
Das wissen auch die Deutschen, weil die im Zweifelsfall, wenn wir nicht mehr exportieren können innerhalb der EU, ja auch den Ast abhacken, auf dem wir sitzen. Und wann das endlich passiert, das ist die große Frage. Hier heißt es immer wieder, na ja, erst mal muss in Deutschland gewählt sein, bevor wieder Geld lockergemacht wird. Ich befürchte wirklich, dass durch die Zögerlichkeit, auch begründet mit dem deutschen Wahltermin, wir im Süden noch mehr kaputt machen, als bisher schon angerichtet worden ist.
Meurer: Dem wird die Kanzlerin jetzt entgegenhalten, Frau Harms, nächste Woche lade ich ein – das hat sie getan – alle Arbeitsminister von ganz Europa, 27, und wir reden über die jungen Leute und was wir tun können. Wie finden Sie diesen Gipfel in Berlin?
Harms: Ja gut, das ist dann wahrscheinlich ein Gipfel, der auf die Kanzlerin und ihre Wahlkampfnotwendigkeiten zugeschnitten ist. Wenn er liefert, werde ich mich dem natürlich nicht widersetzen. Aber ich finde eigentlich besser, wenn die Gipfel der Europäischen Union die Orte sind, an denen die großen Probleme der Europäischen Union auch gemeinsam gelöst werden.
Meurer: Also es ist ein Nebengipfel an Brüssel vorbei, was da nächste Woche in Berlin geschieht?
Harms: Ja. Das ist ein Schauplatz, der deutschen Bedürfnissen dann entgegenkommt. Wie gesagt: Wenn da geliefert wird, … aber ich habe das jetzt so oft erlebt, dass Wachstum und Rezessionsbekämpfung auf der Tagesordnung standen. Ich kenne die Bekenntnisse zur Jugendgarantie zur Genüge. Wie gesagt, ich bin letzte Woche in Lissabon und in Athen gewesen und da wartet man darauf, dass jetzt endlich was passiert.
Meurer: Rebecca Harms, die Co-Vorsitzende der Fraktion der Grünen im Europaparlament, bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk. Heute und morgen ist wieder EU-Gipfel. Frau Harms, danke und auf Wiederhören!
Harms: Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Ein weiterer Gipfel unter vielen? Das ist jetzt schon der fünfte EU-Gipfel in diesem Jahr, und wir haben erst Juni. – Rebecca Harms ist die Co-Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Europaparlament. Guten Morgen, Frau Harms!
Rebecca Harms: Guten Morgen!
Meurer: Januar, Februar, März, April nicht, Mai, Juni, der fünfte Gipfel - sind die EU-Staats- und Regierungschefs fleißig?
Harms: Sie treffen sich auf jeden Fall oft, wir sagen hier inzwischen zu oft. Herman van Rompuy, der Präsident des Rates nach dem Lissabonvertrag, der braucht was zu tun, deswegen hat er diese hohe Schlagzahl der Gipfel angesetzt, und ganz offensichtlich reißt da so eine Haltung ein, wir sehen uns ja jeden Monat, da verschiebt man dann auch öfter mal was. Man sieht sich ja oft, dann muss man nicht so schnell entscheiden, und das ist für viele Themenbereiche, die hier zur Entscheidung anstehen, sehr gefährlich.
Meurer: Will das nur der Ratspräsident, Herman van Rompuy, oder wollen das auch die Staats- und Regierungschefs, so oft nach Brüssel kommen?
Harms: Sie kommen ja inzwischen sehr oft, aber sie fahren auch immer häufiger, ohne dass es zu Ende verhandelt wird, was auf dem Tisch liegt.
Meurer: Was kann man ändern?
Harms: Ich würde sagen, man muss wieder Schwerpunkte setzen, so wie das auch bei den Gipfelrhythmen oder den Gipfeltagungen vor Lissabon der Fall gewesen ist, und man sollte dann auch, wenn man zu Gipfeln zusammenkommt, entscheiden. Man sollte das Verhältnis zwischen dem, was auf der Fachministerebene bearbeitet wird, und den Entscheidungen während der Gipfel der Staats- und Regierungschefs, das sollte man wieder in Ordnung bringen.
Meurer: Frau Harms, ein Schwerpunkt heute und morgen in Brüssel soll ja sein die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, schlimmes Problem in Europa. Jeder vierte Jugendliche hat keinen Ausbildungsplatz, hat keinen Job, kein Praktikum. Wird da entschieden heute?
Harms: Das kann ich nur hoffen, weil dieses Thema seit ungefähr einem Jahr auf den Gipfeln auch regelmäßig auftaucht. Seit einigen Gipfeln heißt es immer wieder: Schwerpunkt, und wir müssen entscheiden. Jetzt muss was entschieden werden. Wir brauchen erstens ausreichend Mittel und zweitens auch eine Entscheidung, wie wir wirklich mit diesen Geldern umgehen wollen, weil schon die Bezeichnung Jugendarbeitslosigkeit in den Krisenländern zeigt immer wieder, dass gar nicht richtig verstanden ist, dass wir es mit einer sehr, sehr verschiedenen, unterschiedlichen Problemlage zu tun haben.
Man denkt ja da als Erstes immer, es geht um Jugendliche, die von der Schule kommen, keine Ausbildung haben, keinen Ausbildungsplatz finden. Es geht auch darum, aber es geht noch viel mehr in den südlichen Ländern darum, dass wir die bestausgebildetste Generation seit je haben in diesen Ländern und die jetzt alle arbeitslos geworden sind oder nicht in den Arbeitsmarkt hineinkommen. Da braucht man natürlich ganz andere Maßnahmen als bei der klassischen Jugendarbeitslosigkeit.
Meurer: Es geht ja um sechs Milliarden Euro, die dafür aufgewendet werden sollen?
Harms: Ja.
Meurer: Das ist schon beschlossene Sache, das Geld hängt offenbar noch fest im ganz großen Haushaltsstreit. Was soll man mit den sechs Milliarden machen, wenn sie denn endlich frei sind?
Harms: Natürlich sich da, wo es auftritt, um dieses klassische Problem der Jugendarbeitslosigkeit kümmern. Aber nach meinen Besuchen jetzt in Athen und in Lissabon würde ich sagen, wir brauchen erstens Maßnahmen für nachhaltige Erholung der Wirtschaft. Wir müssen dafür sorgen, dass die Rezession in diesen Ländern aufhört und die Wirtschaft sich erholt, damit Arbeit wieder entsteht, neu geschaffen wird.
Und wir müssen – das haben wir auch in Deutschland früher schon gehabt – Kredite verfügbar machen für junge, gut ausgebildete Leute, die dann Start-ups zum Beispiel gründen können in verschiedenen Bereichen. Wir müssen unbedingt verhindern, dass die Länder des Südens, die das erste Mal so eine gut ausgebildete Generation haben, alle diese Leute an den Norden verlieren.
Meurer: Das Zweite, Frau Harms, mit den Krediten für die Start-ups, das werden vermutlich viele unterschreiben. Das Erste, läuft das nicht auf teuere Konjunkturprogramme hinaus?
Harms: Ja, aber da kommt man nicht dran vorbei. Und so oft hier über Wachstum geredet worden ist und dass man da was tun muss, so oft ist nichts entschieden worden. Wir haben in den Ländern, in den Krisenländern des Südens wirklich das Problem, dass durch einseitige Austeritätsmaßnahmen wir nicht Fortschritte machen können für die Stabilisierung des Haushaltes in dem Umfang, wie wir das erhofften. Wir haben als Nebeneffekt den Zusammenbruch der Wirtschaft und alle wissen, dass dagegen etwas getan werden muss.
Das wissen auch die Deutschen, weil die im Zweifelsfall, wenn wir nicht mehr exportieren können innerhalb der EU, ja auch den Ast abhacken, auf dem wir sitzen. Und wann das endlich passiert, das ist die große Frage. Hier heißt es immer wieder, na ja, erst mal muss in Deutschland gewählt sein, bevor wieder Geld lockergemacht wird. Ich befürchte wirklich, dass durch die Zögerlichkeit, auch begründet mit dem deutschen Wahltermin, wir im Süden noch mehr kaputt machen, als bisher schon angerichtet worden ist.
Meurer: Dem wird die Kanzlerin jetzt entgegenhalten, Frau Harms, nächste Woche lade ich ein – das hat sie getan – alle Arbeitsminister von ganz Europa, 27, und wir reden über die jungen Leute und was wir tun können. Wie finden Sie diesen Gipfel in Berlin?
Harms: Ja gut, das ist dann wahrscheinlich ein Gipfel, der auf die Kanzlerin und ihre Wahlkampfnotwendigkeiten zugeschnitten ist. Wenn er liefert, werde ich mich dem natürlich nicht widersetzen. Aber ich finde eigentlich besser, wenn die Gipfel der Europäischen Union die Orte sind, an denen die großen Probleme der Europäischen Union auch gemeinsam gelöst werden.
Meurer: Also es ist ein Nebengipfel an Brüssel vorbei, was da nächste Woche in Berlin geschieht?
Harms: Ja. Das ist ein Schauplatz, der deutschen Bedürfnissen dann entgegenkommt. Wie gesagt: Wenn da geliefert wird, … aber ich habe das jetzt so oft erlebt, dass Wachstum und Rezessionsbekämpfung auf der Tagesordnung standen. Ich kenne die Bekenntnisse zur Jugendgarantie zur Genüge. Wie gesagt, ich bin letzte Woche in Lissabon und in Athen gewesen und da wartet man darauf, dass jetzt endlich was passiert.
Meurer: Rebecca Harms, die Co-Vorsitzende der Fraktion der Grünen im Europaparlament, bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk. Heute und morgen ist wieder EU-Gipfel. Frau Harms, danke und auf Wiederhören!
Harms: Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.