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Jodie Devos mit "Colorature"
Gerne mehr davon!

Die Koloratur-Arien von Jacques Offenbach haben mehr Dimensionen als nur die der Virtuosität. Das zeigt die Belgierin Jodie Devos mit ihrer neuen CD. Darauf hat sie viele unbekannte Arien von Offenbach zusammengestellt und singt diese wahnwitzigen Passagen mit einer Vielseitigkeit, die staunen macht.

Von Bjoern Woll | 06.02.2019
    Eine Frau trägt einen schwarzen Pulli und blickt freundlich keck in die Kamera.
    Wildeste Koloraturen sind für sie ein Klacks: die Belgierin Jodie Devos. (Marco Borggreve)
    Schon nach den ersten Tracks ist klar, wohin die Reise geht: Was Offenbach von der Sängerin hier verlangt, kann man getrost als halsbrecherisch bezeichnen. Die wahnwitzigen Koloraturen im Walzer aus der komischen Oper "Robinson Crusoe" zum Beispiel, die sich in immer neuen Tonkaskaden zum Höhepunkt schrauben:
    Musik: "Conduisez-moi vers celui que j’adore" aus "Robinson Crusoé"
    Jodie Devos singt das mit einer erfrischenden Selbstverständlichkeit, die staunen macht. Selbst diese instrumentale Virtuosität scheint sie vor keinerlei Schwierigkeiten zu stellen. Dass sie in Sachen Koloratur mit allen Wassern gewaschen ist, hat sie auf der Bühne schon mit Rollen wie Mozarts Königin der Nacht oder Delibes Lakmé bewiesen. Und auch auf ihrer Offenbach-CD lässt sie daran keinen Zweifel. Zum Beispiel mit dem höllisch schwierigen Duett mit der Flöte aus Offenbachs Oper "König Karotte":
    Musik: "Le voilà c'est bien lui" aus "Le roi carotte"
    Jodie Devos glänzt hier mit perfekten Staccato-Noten und wunderbar geformten Trillern. Hinzu kommt das einnehmende Timbre ihrer Stimme. Denn ihr Koloratursopran ist erstaunlich rund und warm, selbst in den allerhöchsten Höhen wird er nie schrill oder dünn. Zugute kommt ihr dabei ihre farbenreiche Mittellage, in der sich die lyrische Qualität dieser Stimme zeigt. Vor allem im Piano bekommen die Töne einen quecksilbrigen Schimmer, der ihnen einen edlen Glanz verleiht. Diese Eigenschaft kommt besonders in den innigen Arien Offenbachs zur Geltung, zum Beispiel in Eurydices Klagegesang aus "Orpheus in der Unterwelt":
    Musik: "La mort m’apparaît souriante" aus "Orphée aux enfers"
    Diese CD lohnt sich aber nicht nur wegen der stimmlichen Qualitäten von Jodie Devos. Auch ihre kluge Auswahl an Ausschnitten aus dem überreichen Schaffen Offenbachs bereitet viel Hörvergnügen. Denn abgesehen von den Arien aus "Hoffmanns Erzählungen" sind es vor allem Stücke aus unbekannten Werken, die die Belgierin hier präsentiert. Unterstützung hatte sie dabei von niemand Geringerem als Alexandre Dratwicki, dem künstlerischen Leiter der Stiftung Palazzetto Bru Zane. Dort kümmert man sich bereits seit Jahren um das vergessene Repertoire der französischen Romantik. Ein besserer Kenner der Materie ist derzeit also kaum vorstellbar. In Jodie Devos fand Dratwicki nun eine ebenso enthusiastische Partnerin, die mit ihren überaus gelungenen Interpretationen ein flammendes Plädoyer für Offenbachs Musik hält. Die steckt oft voller Witz, verlang von der Sängerin also nicht nur stimmliches, sondern auch komisches Talent. Zum Beispiel in der ulkigen Darstellung der nervösen Prinzessin aus der Zauberoper "Die Reise zum Mond":
    Musik: "Je suis nerveuse" aus "La voyage dans la lune"
    Vielleicht ist das sogar die größte Herausforderung dieser Musik. Denn die Komik Offenbachs steckt oft voller Ironie und ist doppelbödig. Sie fordert von der Interpretin also die Kunst der feinen Zwischentöne und des Augenzwinkerns, um den oft doppeldeutigen Wortwitz auch in Klang übersetzen zu können. Jedoch ohne dabei überzogen oder aufgesetzt zu klingen. Da braucht es schon Fingerspitzengefühl in der Dosierung sängerischer Effekte, wie zum Beispiel dem Einsatz der Bruststimme in Corillas Arie "Quels rôles dites-vous?" Darin macht sich die Sängerin über ein vermeintlich ungebildetes Publikum lustig, das die Worte der Dichter eh nicht verstehe und sich stattdessen mit vokalen Kunststückchen zufrieden gibt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!
    Musik: "Les plus beaux vers sont toujours fades" aus "Vert-Vert"
    Autor: Natürlich spielt Jodie Devos ihren Trumpf als Muttersprachlerin aus, jongliert mit den Worten ebenso virtuos wie mit den Tönen. Und wird dabei kongenial vom Münchner Rundfunkorchester unter Laurent Campellone unterstützt. Der zeigt mit seinen Musikern, dass Offenbach auch ein Meister der Instrumentierung war: hier eine elegische Cellokantilene, dort ein klagendes Horn oder kecke Holzbläsereinwürfe. Der ganze Farbenreichtum der Musik ist hier in allerbesten Händen, hat sich das Orchester im Auftrag des Palazzetto Bru Zane in den letzten Jahren doch regelmäßig mit diesem so speziellen Repertoire auseinandergesetzt. Und so hätten wir dann gerne mehr von solch hervorragenden Einspielungen. Offenbach hätte es jedenfalls verdient – und das nicht nur im Jubiläumsjahr.
    Offenbach - Colorature
    Jodie Devos, Koloratursopran
    Münchner Rundfunkorchester
    Laurent Campellone, Leitung
    Alpha Classics