Dienstag, 14. Mai 2024

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Johann Ernst Bach
Erstes Werkverzeichnis eines fast vergessenen Bachs

Er war Großneffe und Patenkind vom berühmtesten Bach-Familienmitglied: Johann Sebastian. Die Werke von Johann Ernst Bach sind allerdings zum großen Teil verschollen. Nach fünf Jahren intensiver Recherche ist nun erstmals ein Werkverzeichnis erschienen, das einige spannende Erkenntnisse bietet.

Von Claus Fischer | 01.10.2018
    Aufgeschalgendes Notenheft von der Seite fotografiert.
    Eine Kantate ("Mein Odem ist schwach") wurde eine zeitlang fälschlicherweise Johann Sebastian Bach und nicht Johann Ernst zugeschrieben (imago/McPHOTO )
    Das höchstwahrscheinlich bekannteste Werk von Johann Ernst Bach ist seine Kantate "Mein Odem ist schwach". Interessanterweise findet man sie im Verzeichnis der Werke von Johann Sebastian Bach unter Nummer 222. Das hängt damit zusammen, erzählt der Musikwissenschaftler Klaus Rettinghaus vom Leipziger Bacharchiv, dass sich das Notenmaterial einst im Nachlass von Johann Sebastian Bach befunden hat. Längst hat die Wissenschaft aber Johann Ernst Bach als den eigentlichen Schöpfer des Werkes identifiziert.
    "Die Quellen sprechen da eine eindeutige Sprache. Dass es zeitweise für ein Werk von Johann Sebastian Bach gehalten wurde, zeugt auch von der hohen musikalischen Qualität des Werkes.
    Kantatenwerk von Johann Ernst Bach
    "Also was in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts an protestantischen Kantaten in Mitteldeutschland entstanden ist, ist ziemlich unbedeutend im Großen und Ganzen. Und da sticht das Werk von Johann Ernst Bach schon raus", hat Klaus Rettinghaus festgestellt.
    "Seine Kantaten sind sehr interessant, weil sie einerseits fest verwurzelt in der thüringischen Tradition stehen, andererseits aber auch sehr progressive Züge aufweisen. Teilweise ist es harmonisch interessant, da gibt es sehr viel Chromatik. Andererseits gibt es satztechnisch interessante Experimente. Zum Beispiel legt er in einem Choralsatz die Melodie in den Bass, was sehr ungewöhnlich ist."
    Größerer Teil von Johann Ernst Bachs Werken ist verschollen
    Nur 28 Kantaten aus der Hand von Johann Ernst Bach haben die Zeitläufe überdauert, wie überhaupt wohl der größere Teil seiner Werke heute verschollen ist. Das liegt vor allem daran, dass er sie selbst nicht im Druck herausgegeben hat.
    "Es gab einfach Niemanden, der wie bei Johann Sebastian Bach versucht hat, den ganzen Nachlass zu erhalten und die Werke systematisch zu erfassen und zu sammeln", sagt Klaus Rettinghaus.
    Neben den Kantaten umfasst das von Ihm erstellte Werkverzeichnis 14 Klavierwerke, acht Kammermusiken, 26 Motetten- und Liedkompositionen und lediglich drei weltliche Kantaten. Das erhaltene Hauptwerk von Johann Ernst Bach ist in jedem Fall das Passionsoratorium "Die Martern des Erlösers". Während die Tonsprache in den Kantaten mit der des Bachschülers Johann Ludwig Krebs vergleichbar ist, findet man in diesem Werk besonders Anklänge an Karl Heinrich Graun. Und das ist kein Zufall, diente doch dessen Passionsoratorium "Der Tod Jesu" Johann Ernst Bach bei der Komposition als Vorbild.
    Großneffe und Schüler von Johann Sebastian Bach
    Johann Ernst Bach kam 1722 in Eisenach zur Welt. Und nicht nur derselbe Geburtsort verbindet ihn mit dem Größten aller "Bache", sagt Klaus Rettinghaus.
    "Zunächst einmal war Johann Ernst Bach das Patenkind von Johann Sebastian Bach. Darüber hinaus war der Urgroßvater von Johann Sebastian Bach der Ur-Ur-Großvater von Johann Ernst Bach. Das heißt, Johann Ernst Bach ist ein Neffe dritten Grades von Johann Sebastian Bach. Über seine Jugend in Eisenach ist sehr wenig bekannt. Eigentlich wissen wir nur, dass er wie Martin Luther und Johann Sebastian Bach die Lateinschule besucht hat. Und vermutlich hat er bei seinem Vater schon früh das Orgelspielen gelernt."
    So war es also nur logisch, dass der junge Johann Ernst Bach nach Leipzig in den Thomanerchor geschickt und Schüler seines Patenonkels wurde. Auch über diese Ausbildung wissen wir leider keine Details, doch man kann davon ausgehen, dass er dort sehr gut aufgehoben war.
    "Das Musikleben in Leipzig muss ihn außer ordentlich geprägt haben. Denn als er nach Eisenach zurück musste, hat er sich bei seinem Vetter Johann Elias Bach sehr beklagt, dass er die Stadt verlassen musste. Für die Musiktheorie ist Johann Ernst Bach vor allem wichtig, weil er ein Mitglied der Bach-Familie ist und weil er natürlich zwei ganz wichtige Posten in Mitteldeutschland ausgefüllt hat: Und zwar war er Hof- und Stadtorganist in Eisenach und Hofkapellmeister in Weimar. Das war ein Posten, den sein Patenonkel Johann Sebastian Bach ja lange angestrebt, aber nie bekommen hat. Und Johann Ernst Bach hat es geschafft!"
    Doch allzu viel von diesem Posten hatte er leider nicht. Denn nach nur zwei Jahren löste der Herzog die Hofkapelle auf. Den Titel durfte Johann Ernst Bach allerdings weiter führen. Er ging zurück nach Eisenach. Als Hof- und Stadtmusikdirektor an der Georgenkirche konnte er einige interessierte Eisenacher Kaufleute dafür begeistern, eine "Musikalische Gesellschaft" zu gründen. So entwickelte sich in der Wartburgstadt ein Musikleben, das mit dem im damaligen Leipzig durchaus vergleichbar war.
    Fünf Jahre intensiv Recherche
    Für das Verzeichnis der Werke von Johann Ernst Bach hat Klaus Rettinghaus über fünf Jahre intensiv recherchiert, Archive und Bibliotheken nach Werken abgesucht und auch zahlreiche Zeitungen studiert, um herauszufinden wann und wo Kompositionen von ihm aufgeführt wurden. Eine mühevolle Arbeit, die aber einige spannende neue Erkenntnisse zutage gefördert hat.
    "Zum Beispiel wollte ich die Lektüre einer Zeitung schon ergebnislos beenden, als ich dann doch noch eine Aufführung Mitteilung entdeckte, mit deren Hilfe ich ein Werk, das im einzigen Manuskript Carl Philipp Emanuel Bach zugewiesen ist, dann doch noch. Johann Ernst Bach zuweisen konnte."