Freitag, 29. März 2024

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John Le Carré: "Das Vermächtnis der Spione"
Neues vom Meister des Spionageromans

1963 gelang dem Schriftsteller John Le Carré mit "Der Spion, der aus der Kälte kam" der literarische Durchbruch. Jetzt, mit 85 Jahren, veröffentlicht er eine Fortsetzung: In "Das Vermächtnis der Spione" fordern die Nachkommen des damals an der Berliner Mauer zu Tode gekommenen Agenten Alec Leamas Schadenersatz.

Von Antje Deistler | 10.10.2017
    Der britische Schriftsteller John le Carré, mit bürgerlichem Namen David Cornwell, aufgenommen 2011.
    Der britische Schriftsteller John le Carré: Den Brexiteers verpasst er einen eleganten Tritt vor die Kniescheibe. (picture alliance / Martin Schutt)
    George Smiley, das legendäre Mastermind hinter der tragischen Aktion Windfall, ist unauffindbar, also halten sich die glatten Anwälte des modernen MI 6 an Smileys rechte Hand. Auch ein alter Bekannter, der inzwischen ergraute Peter Guillam.
    "'Was steht in der Anklageschrift, Bunny?', frage ich höflich, obwohl wir uns langsam auf den Nahkampf vorbereiten. Majestätsbeleidigung?
    'Aaaach, kommen Sie! Anklageschrift ist doch reichlich übertrieben, Peter!', protestiert Bunny ebenso fröhlich. Es gibt einiges zu klären, das ist alles."
    In den Anfangskapiteln von "Das Vermächtnis der Spione" zeigt John Le Carré noch einmal sein geniales Talent für Dialog, für die Charakterisierung seiner Figuren durch Sprache, in der deutschen Hörbuchversion wunderbar auf den Punkt gebracht von Walter Kreye.
    "'Findet die Seele Frieden, wenn einem klar wird, dass die schlimmsten Erwartungen eingetroffen sind? Nicht in meinem Fall. Windfall, sagten Sie, Bunny?'
    'Windfall! Lauter, für den Fall, dass seine Worte meine Hörhilfe nicht erreicht haben. Immer schön langsam, denk dran, du bist in einem gesetzten Alter, dein Gedächtnis ist heute auch nicht mehr das Beste, immer mit der Ruhe.'"
    Geheimnisse aus der großen Zeit der Smiley-Romane
    Peter Guillam, "der Spion, der aus der Rente kam", wie die "Welt" kalauerte, und sein nassforscher Gegenspieler, ein Anwalt namens Bunny, liefern sich ein amüsantes verbales Versteckspiel. Bis Guillam sich geschlagen geben und auspacken muss. Und dann kommen neue Details und nie gelüftete Geheimnisse aus der großen Zeit der Smiley-Romane ans Licht. Man taucht ein in das Universum der Intriganten und Geheimnistuer, der toten Briefkästen und Täuschungsmanöver, die nach Räuber und Gendarm für Erwachsene klingen.
    "Sie hat ein grünes Halstuch um. Kein Tuch heißt, keine Übergabe. Ich trage eine Parteimütze mit einem roten Stern, die ich an einem Straßenstand gekauft habe. Stecke ich die Mütze in die Tasche, keine Übergabe."
    "Wenn ich eine Mission gehabt habe, dann bestand sie in Europa"
    Wer sich in unseren unklaren Zeiten nach den Gewissheiten und dem guten alten Schwarz-Weiß des Kalten Krieges zurücksehnt, der fühlt sich in "Das Vermächtnis der Spione" wahrscheinlich zuhause. Aber John Le Carré erteilt ihm gleichzeitig eine Abfuhr: Nostalgie ist fehl am Platz. Die alten Zeiten waren alles andere als gut, und überhaupt war alles umsonst. Erst recht, seit das Vereinigte Königreich Europa verlassen will. Am Ende verpasst George Smiley – ja! Er lebt noch! den Brexiteers und Theresa May einen eleganten Tritt vor die Kniescheibe.
    "England, Bürger von nirgendwo. Ich bin Europäer. Wenn ich eine Mission gehabt habe, falls mir je eine bewusst gewesen ist, über unser Geschäft mit dem Feind hinaus, dann bestand sie in Europa. Wenn ich herzlos war, dann für Europa."
    Wie Keith Richards und Kakerlaken sei George Smiley offenbar unverwüstlich, schrieb die "New York Times". John Le Carré dagegen ist sich seiner Vergänglichkeit sehr wohl bewusst. Mit "Das Vermächtnis der Spione" hat er den Kreis seines Werks geschlossen. Meisterhaft. Wie eh und je.
    "Es ist vorbei. Ich habe bis zur letzten Lüge gekämpft, ich habe keine Munition mehr."
    "Das Vermächtnis der Spione" von John Le Carré; übersetzt von Peter Torberg
    Ullstein Verlag Berlin, 320 Seiten, 24 Euro

    Die ungekürzte Hörbuchversion, gesprochen von Walter Kreye, ist bei Hörbuch Hamburg erschienen. 8 CDs kosten 24 Euro.