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Jonas Lüscher: "Kraft"
Die Antwort auf die Eine-Million-Dollar-Frage

Warum ist alles, was ist, gut und wie können wir es dennoch verbessern? Für die beste Antwort auf diese philosophische Kernfrage winkt in Jonas Lüschers Roman "Kraft" ein Preisgeld von einer Million Dollar. Damit will ein altlinker Professor all seine Sorgen loswerden. Warum das scheitern muss, erklärt Autor Jonas Lüscher im DLF-Gespräch.

Dina Netz im Gespräch mit Jonas Lüscher | 07.03.2017
    Der Schweizer Schriftsteller Jonas Lüscher diskutiert am 13.03.2014 auf der Leipziger Buchmesse am Stand der Schweiz.
    Jonas Lüscher: "Das Problem ist natürlich, dass Kraft als Neoliberaler einen Geburtsfehler mit sich rumträgt" (Hendrik Schmidt/dpa)
    Dina Netz: Die Hauptfigur in Jonas Lüschers neuem Roman heißt perfiderweise genau wie das, was ihm fehlt: Kraft. Richard Kraft ist Rhetorikprofessor in Tübingen, aber in dieser Funktion lernen wir ihn nicht kennen. Wir lernen ihn als unglücklichen Ehemann und Vater zweier Töchter kennen, der sich gern aus seiner Ehe freikaufen würde. Und dafür muss er bei einem Wettbewerb gewinnen, bei dem die Preisfrage lautet: Warum ist alles, was ist, gut, und wie können wir es dennoch verbessern? Das ist an Leibniz' Theodizee-Frage angelehnt, hat aber mehr mit dem Silicon Valley zu tun: Ein Internet-Mogul hat für die beste Antwort eine Million Dollar ausgelobt. Und je mehr Kraft sich ins Thema eindenkt, desto schwerer fällt es ihm, eine plausible Antwort zu geben. Denn gut erscheint ihm ziemlich wenig. "Kraft" ist ein ausgesprochen komisches Buch, weil Richard Kraft immerhin noch über einen gewissen Sinn für Ironie verfügt und seine Lage mit zum Teil verzweifeltem Witz analysiert. Alles Weitere soll uns jetzt der Autor selbst erzählen. Jonas Lüscher, das ist wirklich ziemlich garstig von Ihnen, dass Sie ausgerechnet einen kulturkritischen deutschen Professor eine Preisfrage aus dem Silicon Valley beantworten lassen, oder?
    Jonas Lüscher: Ja, das stimmt, das ist nicht allzu nett, genau, da ist eigentlich das Scheitern schon vorprogrammiert.
    Netz: Und warum schicken Sie Ihren Kraft in diese aussichtslose Situation?
    Lüscher: Mich hat dieses Aufeinandertreffen interessiert, von dem, was Donald Rumsfeld damals "Old Europe" und das nicht-mehr-bedeutungsvolle Europa genannt hat und diesem Silicon Valley, wo doch irgendwie ein Geist herrscht, der das Gefühl hat, das wäre jetzt tatsächlich der Nabel der Welt, da, wo das Wichtige passiert.
    Dina Netz: Gemeinerweise hängt ja ein Porträt des früheren US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld auch an der Wand in dem Büro, wo Kraft versucht, seine Antwort auf die Frage aufzuschreiben. Steht Kraft eins zu eins für das alte Europa?
    Lüscher: Nee, das kann man nicht sagen, glaube ich, also, erstens, weil ich sowieso grundsätzlich nicht versuche, Figuren zu schreiben, die irgendwie eins zu eins für etwas stehen. Ich glaube, man sollte Literatur auch nicht so lesen, dass etwas für etwas steht. Dann ist es aber auch so, dass ich sehr bewusst diesen Kraft etwas ungewöhnlich gestaltet habe, weil, ich glaube, naheliegend wäre gewesen, irgendwie so einen durch und durch linksliberalen Geisteswissenschaftler ins Silicon Valley zu schicken.
    Dina Netz: Einen Altachtundsechziger, genau.
    Lüscher: Eher so, ja, genau. Mein Kraft aber ist einer, der doch ein Leben lang sehr dem Marktliberalismus und dem Konservativen angehängt ist und der eigentlich da im Silicon Valley auf etwas stößt, von dem er sozusagen immer geträumt hat und merken muss, dass es eigentlich nichts Schlimmeres gibt, als wenn die Träume in Erfüllung gehen.
    Dina Netz: Sie haben eben auch noch eine weitere Zeitebene eingefügt: die 80er-Jahre, in denen Kraft eben genau gegen den Strom schwimmt, indem er streng neoliberal auftrat, was damals eine Provokation war. Brauchten Sie das nur, um eben zu markieren, dass er kein Altachtundsechziger ist oder wofür braucht es diese Zeitebene in Ihrem Buch?
    Lüscher: Ja, ich glaube, es ist interessant zu sehen, dass es in der Entwicklung des Liberalismus weltweit, aber eben auch in der alten Bonner Republik, in dieser Entwicklung seit, sagen wir mal, Mitte der 70er-Jahre in der Folge der Ölkrise, wo sich der Sozialliberalismus als eigentlicher Partner der SPD komplett gewandelt hat und eben zu dieser marktliberalen Ausprägung kam, und ich glaube, es lässt sich da eine direkte Linie zeichnen eigentlich zu dem hin, was wir heute im Silicon Valley eben haben an Liberalismus. Ich wollte zeigen, dass der Liberalismus durchaus auch eine andere Richtung hätte nehmen können, aber dass eben diese Entwicklung, deren Auswüchse wir jetzt sehen, dass das eine alte Entwicklung ist, die durchaus auch in der Bonner Republik ihre Rolle gespielt hat.
    Ein intellektuell redlicher Schwätzer
    Dina Netz: Dieser Auswuchs ist unter anderem der Internetmilliardär Tobias Erkner, der die Preisfrage ausgelobt hat. Der steht ja nun irgendwie stellvertretend wiederum für das Silicon Valley, auch wenn Sie gesagt haben, Ihre Figuren stehen ja nie stellvertretend für irgendwas, und der verkörpert eben genau diese gemeine Fratze des Marktliberalismus, oder wofür steht der?
    Lüscher: Ja, er ist sicher ein Vertreter dieses nicht nur Liberalismus, sondern wirklich des libertären Denkens, wie man es dann eben da teilweise findet, wo also der Staat wirklich nur noch die Funktion eines Nachtwächterstaates erfüllen soll, also irgendwie das Eigentum beschützen, und der Rest soll alles dem Markt überlassen werden, und da ist er sicher einer der ganz großen, lautesten Denker im Silicon Valley, und dafür gibt es natürlich Vorbilder.
    Dina Netz: Erschreckend ist ja, dass Kraft diesem neuen Marktliberalismus des Silicon Valley überhaupt nichts entgegenzusetzen hat. Der scheitert ja auf der ganzen Linie. Das einzige, was er dem entgegensetzen kann, ist, dass er selbst einfach nicht in den Begrifflichkeiten von Abendland und Untergang denkt. Ist das einzige, was Europa noch retten kann, Ironie, Distanz zu sich selbst oder ist es die Kunst? Ich meine, Sie haben immerhin einen Roman aus dem Thema gemacht.
    Lüscher: Ja, in gewisser Weise ja. Das Problem ist natürlich, dass Kraft als Neoliberaler sozusagen einen Geburtsfehler mit sich rumträgt. Das Geld interessiert ihn nicht, und das andere große Problem, auf das er stößt, ist, dass ich ihn immer wieder auch als Schwätzer karikiere, dass er eine gewisse intellektuelle Redlichkeit mit sich bringt, auf die er dann im Silicon Valley gar nicht mehr stößt – also dieser Erkner, der denkt sich ja die Welt zurecht, wie sie ihm passt –, und das logische Argumentieren spielt keine Rolle mehr oder eben die intellektuelle Redlichkeit, sondern man kann sich da unendlich verbiegen, und das ist natürlich etwas, was wir gerade heute im politischen Amerika ja in den schlimmsten Auswüchsen finden. Ich glaube, dass Kraft in dem Moment, wo er sieht, dass diese intellektuelle Redlichkeit, die er doch immer noch hochgehalten hat, dass die nichts mehr zählt, dem hat er nichts entgegenzusetzen. Man hat der Lüge wenig entgegenzusetzen.
    Dina Netz: Was kann Europa dann noch retten?
    Lüscher: Ich glaube, Europa muss sich selber bleiben oder auch Amerika sollte sich selber bleiben. Ich glaube gar nicht, dass es unbedingt ein Konflikt zwischen Amerika und Europa ist. Der wird ja eher stilisiert, dieser Konflikt. Ich glaube eher, dass es gewisse Formen der Ehrlichkeit und der Anständigkeit, die wir aufrechterhalten sollten, und zwar auf beiden Seiten des Atlantiks.
    Dina Netz: Es gibt ja auch ähnliche Entwicklungen bei uns, wenn wir an den Rechtspopulismus denken, genau.
    Lüscher: Ja, ich glaube, gerade das, was wir in Amerika im Moment erleben, ist ja eigentlich gar nicht besonders amerikanisch. Also Trump ist ja im Grunde genommen ein Populist komplett europäischen Zuschnitts, so ein bisschen urbane Fremdenfeindlichkeit und ein bisschen italienische Bunga-Bunga-Party und ein bisschen den Antisemitismus von einer Le Pen, das ist alles da irgendwie in Europa zu finden.
    Dina Netz: Jetzt haben wir schon, Herr Lüscher, ohne, dass ich das eigentlich wollte, den Boden Ihres Romans verlassen und sind auf die Ebene der Politik getreten, und das ist aber vielleicht auch kein Zufall: Ihr Buch ist schon ganz viel besprochen worden und immer in dem Tenor, das sei nun das Buch der Stunde, das Buch zu unserer Zeit. Ist Ihnen das eigentlich recht? War das eigentlich Ihr Ziel, so eine Zeitdiagnose abzuliefern?
    Lüscher: Ja, im Grunde genommen brauche ich mich jetzt nicht unbedingt wundern, dass das passiert, auch wenn ich das gar nicht so gerne mag, aber das ist natürlich immer ein bisschen die Gefahr, dass fast zu viel verlangt wird von einem einzelnen Buch. Ich glaube, ein Buch kann das nicht tragen, eine Zeit komplett zu beschreiben, sondern ich beschreibe ganz bestimmte Auswüchse, die in ganz bestimmten Bereichen eine Rolle spielen, aber das war natürlich tatsächlich meine Idee, und jetzt ist es natürlich so, dass die neusten Ereignisse das alles noch irgendwie mehr in den Fokus gerückt haben.
    Dina Netz: Eins muss ich Sie abschließend noch fragen, um doch wieder zum Buch zurückzukommen: Sie haben zwar die intellektuelle Redlichkeit von Kraft jetzt immer betont, aber ich finde ihn ja schon auch eine ziemlich lächerliche Figur. Also um eine der peinlichsten Szenen mal zu beschreiben: Da bricht er mit dem Ruderboot auf, um sich am Ende splitternackt und ohne Boot retten lassen zu müssen. Das ist ganz schön mutig von Ihnen, so eine lächerliche Figur zur Hauptfigur eines Romans zu machen, also der ist ja nun wirklich das Gegenteil von einem Sympathieträger.
    Lüscher: Ja, das ist er nicht, das stimmt, aber ich glaube, was ich an dieser Figur so mochte, das sind eben gerade ihre Schwächen. Ich glaube, auch darin kann ich mich teilweise erkennen und denke, dass auch der Leser das manchmal kann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Jonas Lüscher: "Kraft"
    C.H. Beck Verlag, München 2017. 236 Seiten, 19,95 Euro