Mittwoch, 08. Mai 2024

Archiv

Journalismus und Meinungsforschung
Presserat billigt Civey-Umfrage

Jeden Tag erscheinen in Medien neue Umfragen – erstellt von klassischen Meinungsforschern und neuen Konkurrenten aus dem Netz. Aber müssen Redaktionen prüfen, wie deren Ergebnisse zustandekommen? Der Presserat hat sich im Falle einer Umfrage des Anbieters Civey nun dagegen entschieden.

Von Stefan Fries und Mirjam Kid | 05.12.2018
    Eine Hand nimmt einen Teil eines Tortendiagramms weg.
    Umfragen sind für Medien ein beliebter Inhalt (imago)
    Im Mai waren die deutschen Fußballnationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan wegen ihrer Fotos mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in die Kritik geraten. In der Debatte ging es auch um die Frage, ob Özil und Gündogan noch Teil der Nationalmannschaft sein durften. "Focus online" gab dazu beim Berliner Startup Civey eine Umfrage in Auftrag. Dabei tendierten 80 Prozent der Befragten zu Nein. Eine Zahl, die Meinungsforscher Manfred Güllner anzweifelte, Geschäftsführer von Forsa in Berlin.
    Meinungsforscher zweifeln an Civey-Methoden
    "Das war eine Befragung, wo eben eine Mehrheit meinte, die beiden Herren sollten ausgeschlossen werden aus der deutschen Nationalmannschaft, während wir ja auch mit anderen seriösen Instituten festgestellt hatten, dass das die große Mehrheit nicht wollte."
    Civey hatte seine Umfrage als repräsentativ bezeichnet – in Deutschland gilt das als Gütesiegel. Focus Online hatte sich auf die Angaben von Civey verlassen. Forsa findet aber, dass die Journalisten die Umfrage hätten prüfen müssen, wie es Richtlinie 2.1 des Pressekodex verlangt. Das weist Focus-online-Chefredakteur Florian Festl zurück. In seiner Stellungnahme für den Presserat wirft er den Beschwerdeführern vor, dass sie sich nicht trauen würden, das Problem innerhalb der Branche oder vor Gericht zu klären.
    Presserat: "Redaktion durfte der Aussagekraft vertrauen"
    Genau damit begründet der Presserat jetzt, warum er die Beschwerde zurückweist. Aus seiner Sicht gab es deshalb nämlich keinen Anlass, an der Seriosität von Civey zu zweifeln:
    "Vor diesem Hintergrund durfte die Redaktion der Aussagekraft der Ergebnisse vertrauen. Eine eigene wissenschaftliche Prüfung der Umfragemethodik von Civey ist der Redaktion hier nicht abzuverlangen."
    Forsa: "Bankrotterklärung des Journalismus"
    In einer Stellungnahme nennt Forsa diese Entscheidung eine "Bankrotterklärung des Journalismus" und bezieht sich auf die gestiegene Menge an Desinformation und Falschmeldungen, die im Umlauf seien.
    "Sollen Journalisten nun den Freibrief bekommen, alle diese kruden Thesen ohne weitere Prüfung zu verbreiten, solange nicht von Gerichten oder Wettbewerbern das Gegenteil bewiesen ist? Dann wird es wohl künftig noch leichter werden, mit skandalösen Falschmeldungen in den Medien durchzudringen, solange das Erregungspotential einer Meldung im immer schneller drehenden Nachrichtenkarussell nur hoch genug ist."
    Für Focus online sei es bei der Umfrage "auch ohne spezielles Fachwissen" möglich gewesen, festzustellen, dass daran etwas nicht stimmen könne. Rainer Schnell, Professor für empirische Sozialforschung an der Universität Duisburg-Essen, bezweifelt allerdings auch ganz grundsätzlich, dass Journalisten in der Lage sind, die Qualität von Umfragen zu prüfen.
    Müssen Journalisten Qualität von Umfragen prüfen?
    "Wenn Sie jemanden haben, der ein konkurrenzlos preiswertes Produkt anbietet und Sie nicht das als sinnlos identifizieren können, dann werden Sie, weil Sie ja sonst keine Kriterien haben, vermutlich den billigeren Anbieter wählen."
    In den Methodenstreit, der hinter der Beschwerde steht, hat sich der Presserat nicht eingemischt. Darin geht es um die Frage, ob reine Online-Umfragen überhaupt repräsentative Ergebnisse hervorbringen können. Die Civey-Umfragen erscheinen unter Artikeln etwa von "Spiegel online", dem "Tagesspiegel" und der "Augsburger Allgemeinen". Damit würden nicht zufällig Menschen angesprochen, sagt Rainer Schnell, sondern Teilnehmer meldeten sich freiwillig, was die Umfrage bereits verzerre.
    "Selbst rekrutierte Personen unterscheiden sich nach den Untersuchungen in der Psychologie systematisch von Nicht-Freiwilligen, und das heißt, die sind im Durchschnitt ein bisschen jünger, ein bisschen intelligenter, ein bisschen sozialer, ein bisschen neurotischer."
    Civey sieht sich in Methodik bestätigt
    Civey-Mitgründerin und Geschäftsführerin Janina Mütze sagt dagegen: "Wir nutzen ganz bewusst, dass jemand, der auf einem Medium sich einen Artikel der Innenpolitik zum Thema Flüchtlingskrise durchliest, genau zu diesem Thema auch gefragt wird. (...) Und der Nutzer beantwortet dann nach der Frage zur Flüchtlingskrise im Schnitt 19 weitere Fragen, und das sind die Stimmen, die für uns wertvoll werden, weil wir ihn dort immer mehr aus dem Kontext, der ihn eigentlich interessiert, rausholen und Fragen zu ganz unterschiedlichen Themen stellen."
    Durch die Entscheidung des Presserats sieht sich Civey in seiner Methodik bestätigt. Damit hat sich der Presserat aber gar nicht beschäftigt. Forsa will jetzt eine Klärung innerhalb der Branche forcieren – in den Verbänden, beim Rat der Deutschen Markt- und Sozialforschung und notfalls auch vor Gericht.